Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
(c) Matthias Cameran

Zwesche Kölle und Marokko

In seinen Songs greift Wolfgang Niedecken seine Gedanken und Erlebnisse auf, nicht als Mundartbewahrer, sondern in authentischer Umgangssprache. Ein Stück musikalische Identität und Heimat

Die Frage stellte Matthias Cameran

Welche Sinneseindrücke verbindest Du mit Heimat?

Das ist ganz einfach. Wir hatten damals im Südstadtviertel zwei große Arbeitgeber, abgesehen
von den kleinen Geschäften und Handwerksbetrieben: die Schokoladenfabrik und
die Reissdorf-Brauerei. Je nachdem welche Gerüche über der Südstadt waberten, wusste
ich, in welchem Produktionsablauf die gerade waren. Manchmal stank der Gärungsprozess
von der Brauerei unglaublich furchtbar. Und je nachdem wie der Wind stand, waren es
die Gerüche der Schokoladenfabrik. Das war dann schon etwas besser, roch aber teilweise
auch recht streng. Die Gerüche sind mir immer noch abrufbar. Stollwerck gibt es seit ewigen
Zeiten nicht mehr und die Reissdorf-Brauerei ist irgendwann tatsächlich an den Stadtrand
gezogen. Aus sentimentalen Gründen trinke ich – wenn ich überhaupt einmal Bier trinke –
nach wie vor unser Südstadt-Bier.

Heimat ist demnach auch trinkbar?

Ja, in diesem Fall tatsächlich (lacht). Das gibt es sogar noch steigerungsfähig: Kölsch
und dann Reissdorf.

In Deiner Autobiografie berichtest Du von einem anderen Geruch, der Dich an Deine Heimat
erinnert und der Dir in Afrika entgegenkam: vergorene Milch.

Das war echt ein Erlebnis. Das war am Viktoriasee zu einer sehr schönen Jahreszeit.
Ich bin durch die Stadt Jinja, wo der Nil aus dem See fließt, spaziert. Irgendwann kommt
ein Geruch an, der mir total vertraut war, den ich jedoch nicht direkt zuordnen konnte. Ich
wusste nur, dass er mir vertraut war. Dann sehe ich, wie jemand mit Lauge Milchkannen
spült und rieche die etwas angeranzte Milch. Als Kind musste ich bei uns im Laden immer
die Milchkannen putzen. Ich habe es natürlich gehasst, weil ich ja eigentlich viel lieber
Winnetou war. Den Geruch werde ich nie vergessen.

Vergorene Milch – assoziativ denke ich da an eine Aussage von
Dir: „Wenn ich an meine Heimat denke, rebelliert etwas bei mir
im Magen.“ Ist das immer noch so?

Ja, kommt darauf an. Was ich nicht mag, ist diese Kölsch-Besoffenheit
mancher Kölner. Da muss man aufpassen. Wir Kölner
sind sehr verliebt in unsere Stadt und übertreiben das teilweise
ins Überhebliche. Auf der anderen Seite ist die Heimatliebe
der Kölner wirklich legendär, was man im Fußballstadion sehr
deutlich merkt; daher darf man diese Heimatliebe auch nicht
missbrauchen. Das wäre unfair.

»Sprache ist ein
Teil der Identität
und kann auch
Heimat bieten.«

Wolfgang Niedecken

Stimmt. Kurz vor Fastnacht gab es im Deutschlandfunk eine Sendung über die Herkunft des
Ausrufs „Kölle Alaaf“. Er stammt wohl aus dem Mittelalter und bedeutet so viel wie „Köln über
Alles“.

Make Cologne great again (lacht). Nein, man muss aufpassen, dass man die Heimatliebe
nicht künstlich hochjazzt. Auf dem letzten BAP-Album „Lebenslänglich“ nehme ich das in
dem Stück „Tausende von Liebesliedern“ liebevoll auf den Arm. Gleichzeitig sage ich auch:
von platt bis charmant ist das in Ordnung. Lass sie. Tausende von Liebesliedern handeln
von der Stadt. Weißt Du, ich habe meinen Heimathafen hier in Köln; wo ich gerne aufbreche
und gerne auch wieder hin zurückkomme. Es fühlt sich gut an, Kölner zu sein. Auch ich bin
von dieser Sentimentalität nicht befreit. Es ist eine Stadt, die reichlich Heimat bietet.

Der Kölner Lokalpatriotismus sei auch gleichzeitig ein Globalpatriotismus, sagtest Du in einem
Interview. Heimat besitzt ja dennoch stets einen exklusivistischen Aspekt. „Mir san mir“, würde
jetzt jemand aus Bayern sagen.

Ja, ja, also Mauern hochziehen. Das ist so sehr Trump-verdächtig. In Köln heißt es eher:
„Ihr könnt alle mitmachen." Das finde ich sehr sympathisch. Hier hast du an der Theke
kaum eine Chance, in Ruhe dein Bier zu trinken. Du bist direkt im Gespräch. Kölner sind
sehr kommunikativ.

Dieses in vielen Liedern besungene Selbstnarrativ des Kölnischen hat ja durchaus geschichtliche
Wurzeln. Das Fremde war durchaus immer ein Teil der Heimat.

Köln war aufgrund seiner Lage an dieser Stelle des Rheins stets eine wichtige Handelsstadt.
In Köln wurden die Schiffe umgeladen, weil rheinaufwärts die Kähne flacher werden
mussten. Köln war Mitglied der Hanse und besaß das Stapelrecht: Die Waren mussten zum
Verkauf angeboten werden. Zur Zeit der Römer gab es die erste Brücke über den Rhein;
so haben sich große Verkehrswege gekreuzt. Und wo sich Verkehrswege kreuzen, treffen
sich seit jeher Kulturen. Ich glaube, dass das dazu beigetragen hat, dass Köln irgendwie
weltoffener war. General Harras in Zuckmayers Drama „Des Teufels General“ bringt es in
seinem Monolog auf den Punkt. Kennst Du den?

Ja. Der Monolog erinnert mich an eine Zeile aus dem BAP-Song „Für ne‘ Moment“: „Mir sinn
Bastarde un stolz drop“.

Genauso ist es. Den Monolog finde ich absolut klasse. Er hängt bei mir zu Hause ausgedruckt
an der Wand.

Durch die Globalisierung und den gesellschaftlichen Wandel entsteht bei vielen Menschen eine
Sehnsucht nach einer Idylle und Vergangenheit, die es so nie gegeben hat.

Vor Nostalgie und einer Verklärung einer idealisierten Vergangenheit bin ich eigentlich
gewappnet. Das menschliche Gehirn vergisst manchmal schlimme Erlebnisse aus der Vergangenheit,
weil man sonst depressiv würde. Wenn du immer nur diese schrecklichen Erinnerungen
vor Augen hättest, wie sollst du in diesem Schatten leben? Dennoch erinnere ich mich an ziemlich
viele Sachen, die nicht so schön waren. Man hat mich mal als melancholische Frohnatur bezeichnet.
Ein Oxymoron, in dem ich mich wiederfinde.

Melancholische Frohnatur – das klingt verwirrend. Im eben genannten Song „Für ne‘ Moment“ heißt es
dazu passend weiter: „Dat mer uss uns nit schlau weed“.

Ja, melancholische Frohnatur geht ja eigentlich auch nicht. Aber trotzdem bin ich das (lacht).
Man muss auch nicht aus allem schlau werden. Manchmal sind die Fragen wirklich interessanter als
die Antworten. Ich kann mir meine Existenz als melancholische Frohnatur auch nur erlauben, weil
meine Frau so ein Sonnenschein ist. Und manchmal habe ich richtig Gewissensbisse. Je nachdem
welches Thema ich drauf habe, kann ich ziemlich bedrückt zu Hause durch die Gegend schleichen.
Dann strahle ich nicht gerade viel Optimismus aus.

„Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert – E’ bessje jet hann ich kapiert.“

Ja, ja, genau „Verdammp lang her“. Ich weiß gar nicht, wo die Zeile hergekommen ist. Oft sind
die Liedtexte viel schlauer als derjenige, der sie geschrieben hat. Ja, manchmal kommt viel aus dem
Unterbewusstsein heraus.

Mit Woody Guthrie und Bob Seeger kennt die amerikanische Tradition der Folkmusic Vertreter, die einen
unverstellten Blick auf gesellschaftliche Zustände boten. Beide waren in der Bürgerrechtsbewegung aktiv.
Bob Dylan hat sich dem recht schnell entzogen – war er auch desillusioniert?

Ne, glaube ich nicht. Dylan hat ja irgendwann aufgehört offensichtlich politische Lieder zu
schreiben. Weil er nie etwas anderes sein wollte als ein Geschichtenerzähler. Ebenso wollte er auch
nicht die Verantwortung übernehmen, die Leute anzuführen. Dylan merkte, dass er zusehen musste,
Poet zu bleiben. Sonst findest du dich als Liedermacher schnell in einer belehrenden Rolle wieder.
Auch ich will niemanden belehren oder Menschen zu etwas direkt auffordern. Meine Songs greifen
Gedanken und Erlebnisse auf. Mit ihnen singe ich mich praktisch selber an. Man muss sowieso immer
erst einmal vor der eigenen Türe kehren (lacht).

Der Produzent verschiedener Volksmusikformate und Musiker Hans Beierlein sprach einmal davon, dass
Volksmusik Geborgenheitsangebote bereithält und dass sie keine Revolutionsmusik, sondern die konservativste
Musik überhaupt sei. Stellt BAP dazu einen Gegenentwurf dar?

(Atmet tief durch) Es gibt natürlich auch eine aufständische Volksmusik, aber davon spricht er
nicht. Er redet wohl von einer kommerzialisierten, verkitschten Form der Volksmusik. Kitsch ist der
Paravent, der den Blick auf die Wirklichkeit verstellt. Hierzu braucht es auf jeden Fall einen Gegenentwurf.
Insofern stimmt es schon, dass BAP hier einen Gegenentwurf darstellt. Hier werden Dinge
beim Namen genannt – auch wenn Heimat nicht schön und idyllisch ist.

Vergleichbar mit dem Stück Bruce Springsteens „My Hometown“ schlägst Du zum Beispiel in „Südstadt
verzäll nix“ kritische Töne an.

Letztendlich ist das viel interessanter und auch ehrlicher. Das Stück „Südstadt verzäll nix“ entstand
zu Zeiten der Stadtsanierung. Wir hatten alle unglaubliche Angst davor, vertrieben zu werden.
Den Begriff Gentrifizierung gab es noch gar nicht – jedenfalls, uns war er unbekannt. Gott sei Dank ist
es nicht so schlimm gekommen. Das Schöne ist: Die Südstadt wird einfach nicht schick! Abgesehen
vom Rheinau-Hafen, wo eine Eigentumswohnung bis zu zwei oder drei Millionen kostet. Man kann jedoch
auch nicht erwarten, dass über die Jahre dieses alte Biotop Südstadt erhalten bleibt. Keine Ahnung,
wie viele Leute überhaupt noch wissen, dass es jemals das besetzte Stollwerck gegeben hat. Geschweige
denn, dass es von Kreativen besetzt wurde; in der Hoffnung, dort New-York-artige Lofts mit
Ateliers einzurichten. Aber da ist wenigstens bezahlbarer Wohnraum geschaffen worden. Die größte städteplanerische Sünde ist die Nord- Süd-
Fahrt. In den sechziger Jahren dachte man, das
sei hochmodern und die Zukunft. Tatsächlich
hat man zugunsten der Blechlawine eine ganze
Stadt zerschnitten. Jedoch glaube ich, dass sich
eine Stadt alle zehn Jahre häutet. Dann gibt es
eben Städte, die trotz alledem erkennbar bleiben.
Ich kenne Köln seit den 50er Jahren, einer
Zeit, wo über 50 Prozent der Häuser zerbombt
waren. Wir haben in Trümmern gespielt. Ohne
ein Foto zu sehen, weiß ich noch, wie der Kartäuserwall
ausgesehen hat oder wie sich in den
vergangenen Jahrzehnten die Severinstraße
entwickelt hat. Mal gucken, wie viele Jahrzehnte
ich noch erleben darf. Eines vielleicht? (lacht)

»Oft sind die
Liedtexte viel
schlauer, als
derjenige, der
sie geschrieben
hat.«

Wolfgang Niedecken

Im eben erwähnten Song „My Hometown“ zeigt ein Vater seinem Sohn seine Heimatstadt, so
wie er sie zuvor von seinem Vater ebenso gezeigt bekam. Hast Du das damals mit Deinen Kindern
auch gemacht?

Musste ich nicht machen. Das erleben die ja ständig. Alle meine vier Kinder sind in der
Südstadt aufgewachsen. Ich muss eher aufpassen, dass ich nicht zu viel erzähle (lacht). Meine
Kinder haben da alles mitbekommen. Auch habe ich bereits genug Lieder zur Südstadt
gemacht. In einem Lied wie „Chlodwigplatz“ ist alles drin. Der Umkreis von 800 Metern um
den Chlodwigplatz ist mein Nabel der Welt, da ist alles Wichtige passiert, von dort konnte
ich weitergehen.

Im BAP-Song „Stadt em Niemandsland“ mit dem Köln gemeint ist, singst Du: „Du häss mich
ussjedraare, du häss mich ussjespeut. Ich hann mich affjenabelt, dat hann ich nie bereut.“ Und
gleichzeitig „Un wenn ’sch op Heim ahnfahre, hann ich dat noch nie bereut.“ Du scheinst doch
ein wenig hin- und hergerissen zu ein.

Ja. Das habe ich erkannt, dass es so ist. Wäre es andersrum gewesen: Köln hätte mich
nicht ausgespuckt. Köln hätte mich nicht irgendwie teilweise weggetrieben. Ich hätte womöglich
nie über den Tellerrand geguckt. Durch dieses Musikerdasein habe ich so viel von
der Welt kennenlernen dürfen. Wenn wir in Nicaragua oder in Mosambik gespielt haben oder
damals die Tour durch die UdSSR und China; aber auch durch die Reisen im Zusammenhang
mit den Rebound-Projekten in Uganda, im Ost-Kongo und im Sudan lernt man Länder und
Menschen anders als ein Tourist kennen. Ich darf mir gar nicht vorstellen, das alles wäre
nicht passiert. Ich hätte immer nur in meinem Atelier gestanden und Bilder gemalt. Wahrscheinlich
wäre mir dann irgendwann tatsächlich die Decke auf den Kopf gefallen.

Kann man Wolfgang Niedecken demnach als einen „beheimateten Rastlosen“ bezeichnen?

Ja, das ist schön. Das passt (lacht). Ich bin häufig auf Reisen, das ist etwas Wunderbares.

Als Kind war es für Dich wunderbar, Deinen Vater für Besorgungen in den Kölner Rheinhafen
zu begleiten, weil er für Dich die Verbindung zur großen, weiten Welt war. Hattest Du damals
schon Fernweh verspürt?

Es war die pure Abenteuerlust. Nach wie vor übt der Rhein auf mich eine unglaubliche
Faszination aus. Damals wusste ich, da werden Sachen aus der ganzen Welt angeliefert. Als
Kinder standen wir auch häufig auf der Südbrücke und dachten: Die Waggons, die da herüberfahren,
die fahren ja nach Osten; wahrscheinlich bis Russland, Indien und bis nach China.
An den rostbraunen, gestrichenen Güterwagons gab es damals kleine Bremserhäuschen.
Wir haben uns vorgestellt mit genug Proviant und Glück in hochgeguckt haben, konnte man
an klaren Tagen das Siebengebirge sehen. Das haben wir für die Alpen gehalten und dahinter
fängt Italien an, dann kommt das Meer und dahinter liegt schon Afrika. Wir haben uns
die Welt schön zusammengeträumt. Noch heute stelle ich mich auf die Südbrücke und dann
fällt mir alles wieder ein, was ich damals als kleiner Junge gedacht habe. Ist schon klasse.
Als Kind war Richtung Norden gucken völlig uninteressant. Süden. Immer nur nach Süden.

Eines dieser Ziele im Süden scheint Marokko zu sein. In „Rövver noh Tanger“ widmest Du sogar
der Fahrt dorthin ein Lied.

Marokko war schon immer so ein Sehnsuchtsland für mich und die Fahrt hat tatsächlich
stattgefunden. Wobei, um ehrlich zu sein, ich mich so gefreut habe, dieses Lied auf der
Reise schreiben zu können, dass ich es schon vorher fertig hatte (lacht). Ich bin ja oft dort
gewesen und kannte die Strecke. Ich habe die Strecke sozusagen antizipiert (lacht).

Von Reisen kehrt man immer wieder zurück in die Heimat, anders vielleicht als Bob Dylan, er
war rastlos unterwegs. Im Dokumentarfilm von Martin Scorsese sagte er: „I was born very far
from where I'm supposed to be, and so I'm on my way home.“

Ja, seine Heimat wäre ihm wohl zu eng gewesen. Mit zehn Jahren ist er aus Duluth nach
Hibbing Minnesota gezogen und dort wäre er versauert. Gleichzeitig hat er anfänglich ein
gewisses Hobo-Image gepflegt. Die Wanderarbeiter waren eine Art Vorbild und Inspirationsquelle
für ihn.

„How does it feel, to be without a home? Like a complete unknown? Like a rolling stone?“ singt
Dylan. Hast Du Dich diesem Gefühl auch ausgesetzt – durch Deinen Aufenthalt in New York?

In New York war das tatsächlich so. Meine zwei Kumpels hatten mir unter anderem
eine Assistentenstelle bei Larry Rivers vermittelt, dem Maler der Beat Generation. Er hing
mit Ginsberg und Kerouac ab und spielte in Kerouacs Film „Pull My Daisy“ mit. Das habe
ich aber damals alles noch nicht gewusst. Ich hing bei Larry Rivers in seinem Loft herum
und der war ein total lieber Kerl. Der hat auch gesehen, dass ich keine Kohle mehr hatte. Er
hat mir dann Jobs gegeben, um mich dann ein bisschen nützlich zu machen, damit ich mir
was zu Essen kaufen konnte. Es war schon alles sehr bohèmemäßig. Aber das brauchte ich
nicht unbedingt. Besser, ich fahr nach Hause und mache mein eigenes Ding. Wobei ich mir
das nur deswegen erlauben konnte, weil meine beiden Freunde diese Erfahrungen für mich
bereits mitgemacht hatten. Ich war vielleicht auch ein bisschen feige, aber ich habe eigentlich
in einer sehr kurzen Zeitspanne alles kapiert, was da abgegangen ist. Mein Horizont hat
sich immens erweitert. Die Erfahrungen sind ganz tief abgespeichert bei mir. Ich bin auch
unglaublich dankbar dafür. Aber es hat dann auch gereicht.

Retrospektiv könnte man sagen, dass es eine Art Fügung war, dass Du – wie Dylan auch – Station
in New York gemacht hast.

Kann man so sagen. Damals in New York kannte ich die Sachen von Dylan schon und ich
weiß, als ich in New York herumgelaufen bin, hatte ich dazu nur Dylan im Ohr. Tatsächlich
gibt es auch BAP-Hörer, denen es bei einem Gang durch Köln mit unserer Musik ähnlich
geht. Das rührt mich sehr, weil ich mich in sie hineinversetzen kann.

Für eine mehrteilige WDR-Dokumentation bist du auf den Spuren Dylans quer durch die USA
gereist. War das eine Reise in deine musikalische Heimat?

Ganz klar. Ich glaube nicht, dass ich Musiker geworden wäre, wenn meine Quelle nur
die deutschsprachige Musik gewesen wäre. Zur Musik haben mich die Beatles und die Rolling Stones gebracht und anschließend hat Bob Dylan mich mit Poesie infiziert. Bruce Springsteen
hat einmal gesagt, dass Elvis dem Rock ‘n‘ Roll den Unterleib und Bob Dylan das Gehirn gegeben hat
(lacht).

Für den Poeten Bob Dylan spielt Sprache eine herausragende Rolle. Im Stück „Für ‘ne Moment“ wird
deutlich, dass sie für Dich auch ein Stück Heimat darstellt.

Sprache ist ein Teil der Identität und kann auch Heimat bieten. Sowieso muss man immer aufpassen,
dass man diese Begriffe nicht den Rechten überlässt. Gleichzeitig muss man bedenken, dass
die Dialekte in der heutigen Form aussterben werden. Die Entwicklung ist natürlich in Berlin, in
großen Metropolen eine ganz andere als in Köln, aber mittlerweile findet ja selbst im Karneval nicht
mehr viel auf Kölsch statt.

Es gibt ja durchaus auch Lieder von BAP, die hochdeutsche Versatzstücke enthalten.

Meine letzte Instanz sind für mich immer meine Nackenhaare. So wie bei dem Text des Songs
„Absurdistan“, den ich im Studio zuerst auf Kölsch singen wollte und dachte „Nein, das fühlt sich
nicht gut an.“ Anschließend habe ich ihn ein bisschen hochdeutscher umformuliert: einzelne Worte,
einzelne Sätze und dann doch lieber auf hochdeutsch gesungen und festgestellt: „So jetzt fühlt es
sich richtig an.“ Sätze, die ich im Alltag nicht sagen würde, darf ich eben auch nicht singen. Ich
bin ja nicht als Mundartbewahrer angetreten, sondern als Musiker, der in seiner Umgangssprache
singt. Für Rock 'n' Roll ist Umgangssprache eh deutlich geeigneter, sie ist authentisch und hat was
Lässiges. Von vielen bayrischen und österreichischen Kollegen von Haindling bis zum Hannes Ringsgwandl,
die ich gerne höre und gut kenne, weiß ich, dass sie authentisch sind. Das ist mir lieber als
Texte, die für Musiker maßgeschneidert wurden.

Bruce Springsteen sagte einmal in einem Interview, dass er irgendwann verstanden hätte: „Once you’re
a Catholic, your’re always a Catholic“. Auch wenn er am Kirchenleben nicht mehr teilnehme, verspüre er
dennoch: „I’m still on the team.“ Du bezeichnetest Dich einmal selbst als „restkatholisch“.

Der Begriff „restkatholisch“ ist mir eingefallen, weil ich glaube, dass das in der DNA angelegt
ist. Es lässt sich bis ins sechszehnte Jahrhundert zurückverfolgen, dass meine Vorfahren katholische
Winzer waren. Warum sollte ich dann plötzlich diese DNA nicht mehr in mir spüren? Ich weiß nicht,
an welchen Gott ich glaube, das heißt, ich stelle mir jetzt wirklich nicht den Mann mit dem Bart
auf der Wolke vor. Ich bin kein Atheist. Ich bete ja sogar. Wenn ich das jetzt irgendwie humorvoll
beschreiben soll: Ich habe eher so dieses Gottesverhältnis, wie es Don Camillo in den Filmen hat.
Manchmal befinde ich mich in einem Gespräch mit einem guten Freund, dem ich vertraue und der
mich manchmal zurückpfeift. Das ist mein Beten. Das Wichtigste: Der liebe Gott ist kein Zyniker, der
irgendwie die Leute drangsaliert, und ich bin auch sicher, dass der Herrgott Humor hat.

Dass Du jetzt so frei darüber sprechen kannst, empfinde ich – nach dem, was Du in der Internatsschule
erlitten hast – als nicht selbstverständlich. Kann man
sagen, dass Dich diese Erfahrung Deiner religiösen Heimat ein Stück weit beraubt hat?

Das siehst du ja daran, dass ich immer wieder darüber nachdenke und dass ich immer wieder
darüber geschrieben habe. Es treibt mich noch immer um. Aber ich habe nicht Schaden genommen.
Ich entschied mich aus der Kirche auszutreten, weil ich damit nichts mehr zu tun haben wollte, und
bin trotzdem kein Atheist. Teilweise bereue ich sogar, dass ich meine Kinder nicht in einem Glauben
habe aufwachsen lassen. Ihnen fehlt eine gewisse kulturelle Grundlage. Was die Kirche in der Gegenwart
betrifft: Ich bin mir nicht sicher, ob das den meisten Funktionsträgern wirklich bewusst ist,
was dieser Papst für eine Chance bietet. Er bietet im Blick auf Menschen weltweit eine ganz andere
Perspektive auf den Glauben.