Das Absolute trinitarisch denken
Absolut gut ist nur die absolute Liebe. Wenn Gott die Liebe ist und wir Gott als die Liebe denken wollen, müssen wir ihn trinitarisch denken. Absolute Liebe kann nicht anders sein als zu dritt. Ein Denkweg mit Jörg Splett.
Karl Rahner hat einmal die Behauptung
gewagt, „dass, wenn man die
Trinitätslehre als falsch ausmerzen
müsste, bei dieser Prozedur der Großteil der
religiösen Literatur fast unverändert erhalten
bleiben könnte“ und „dass für den Katechismus
des Kopfes und des Herzens (im Unterschied
zum gedruckten Katechismus) die
Vorstellung des Christen von der Inkarnation
sich gar nicht ändern müsste, wenn es keine
Dreifaltigkeit gäbe“.
Während der Gedanke der Inkarnation einigermaßen
bekannt ist und auch seinen Niederschlag
in der Verkündigung findet, fristet
die Trinität ein Nischendasein. Am Trinitätssonntag
hört man dann meist von der Kanzel,
dass dies eben alles ein sehr großes Geheimnis
sei und wohl auch bleibe. Gerne wird
dann die Augustinus-Legende bemüht, nach
der ihm ein Kind, das Meerwasser in ein Loch
schaufelt, darlegt, dass so wenig wie das
Meer in die Pfütze die Trinität in seinen Verstand
passe. Wenn man aber unter dem, was
man glaubt, nichts versteht, dann kann man
diesen Glauben gleich eliminieren. Nur würden
wir mit dieser Eliminierung, die ja, wenn
nicht programmatisch verkündet, so doch
de facto vielerorts längst vollzogen ist, tatsächlich
die Grundlage dafür verlieren, dass wir Christen daran glauben, dass der letzte Grund aller Wirklichkeit absolute Liebe ist.
Diese Zusammengehörigkeit von Gott als
der Liebe und der Dreiheit der göttlichen
Personen soll hier im Anschluss an Jörg
Splett gezeigt werden. Aus der Fülle von
philosophischen Erkenntnissen, die wir ihm
verdanken, ragt eine in besonderer Weise
heraus: sein philosophisches Argument für
die Dreipersonalität Gottes. Die Ur-Intuition
hat er bei Richard von St. Viktor gefunden,
aber sie nach allen Seiten hin ausgearbeitet
und damit eine originär trinitarische Philosophie
vorgelegt zu haben, ist seine Leistung.
Deren Grundthese lautet: Wenn wir Gott als
die Liebe denken wollen, dann müssen wir
ihn trinitarisch denken. Es ist also ein philosophischer
Gedankengang und nicht ein offenbarungstheologischer
(so sehr es so sein
mag, dass die philosophische Einsicht nicht
möglich gewesen wäre, wenn sie nicht von
der Offenbarung inhaltlich wie existenziell
angestoßen worden wäre). Er setzt nicht an
beim Offenbarungsgeschehen, sondern bei
der Frage, was die Liebe ist und was gelten
muss, wenn das Absolute absolute Liebe ist.
Was ist nun Liebe?
Viele sehen in der Selbstliebe ihre höchste Form. Wenn
es in Diskussionen um die Nächstenliebe geht, begegnet
mit unschöner Regelmäßigkeit die Aussage, man
müsse erst sich selbst lieben, dann könne man auch die
anderen lieben. Der Nächste hätte sich dann zu gedulden,
bis ich mich hinreichend selbst geliebt habe? Das
kann dauern!
Natürlich soll man auch zu sich in einem Verhältnis
der liebevollen Annahme stehen, aber im eigentlichen
Sinne lieben kann eine Person sich deshalb nicht, weil
sie eben sie selbst „ist“. Man kann sich nicht in die
Augen sehen, man kann sich nicht in die Arme laufen.
Splett hat es so gesagt: Die höchste Form der Liebe ist
ästhetisch „Hingerissen sein von“, ethisch „Leben und
Sterben für jemanden“. Wendet man diese Spitzenformen
aber auf die Selbstliebe an, ergibt sich: Hingerissen
sein von sich selbst ist komisch, Leben und
Sterben für sich ist tragisch. In summa: Der Primat der
Selbstliebe ist tragisch komisch.
Was aber ist Liebe, wenn nicht primär Selbstaffirmation?
Alles Mögliche wird Liebe genannt – vom Höchsten
(Gottesliebe, Nächstenliebe, Elternliebe) bis zum
Niedrigsten (käufliche Liebe, Knabenliebe). Es ist also
mitnichten alles, was Liebe heißt, liebenswert. Die Liebe,
die uns aufleben lässt, wenn sie sich uns zuwendet,
die uns erfüllt, wenn wir sie selbst einmal hinbekommen,
und die wir wie nichts sonst bewundern, wenn wir
sie an anderen beobachten, ist jene Haltung, in der sich
der Eine um das Wohlergehen des Anderen sorgt und
nach Kräften dafür tätig ist. Emanuel Levinas nennt
diese Haltung das „Der-eine-für-den-Anderen“ oder
die Güte (bonté). Was den Menschen als Menschen gut
macht, ist seine Güte. Dies zeigt ein einfaches Gedankenexperiment:
In welchen Hinsichten kann man gut
sein, ohne deshalb schon als guter Mensch gelten zu
können? Ein begnadeter Kaufmann, ein genialer Fußballer,
ein Jahrhundertwissenschaftler kann doch ein
schlechter Mensch sein. Nur im Feld der Güte kann
man nicht gut sein, ohne dadurch als Mensch gut zu
sein. Ein gütiger Mensch, das „ist“ ein guter Mensch.
Also: Die Liebe, die uns als Menschen gut sein lässt,
besteht darin, dass der Eine für den Anderen da ist.
Die Einheit im Lieben
Wenn Gott als absolute Liebe gedacht werden soll,
dann kann er nicht bloße Einheit sein. Denn dann würde
er höchstens zum Selbstbezug in der Lage sein. Und
so sieht es ja bei Aristoteles aus: Gott ist das Edelste,
und das Edelste für die Griechen ist Denken. Was aber
soll er denken? Natürlich wieder das Edelste, also sich.
Gott ist Denken des Denkens. Vollkommen hermetische
Selbstspiegelung. Gott wäre also so selbstbezogen wie
auf Erden der ärmste Tropf? Das kann nicht sein.
Wenn wir ihn als Liebe denken wollen, dann muss
er „in sich“ schon für den Anderen sein, und damit
stehen wir auf dem Boden einer Zweipersonalität in
Gott. Nicht eine, die den Monotheismus aufhebt, sondern
die den Monotheismus zu einem Theismus der
Liebe macht. So gedacht nämlich, dass Gott in keinem
logischen Moment die Absolutheit, die er ist, für sich
ist, sondern sich immer schon „in sich“ so verschenkt,
dass dieses Schenken in einem Gegenüber kulminiert,
das, weil es nicht bloß etwas, sondern alles, und das
heißt eben auch und vor allem, die Macht zu schenken
erhält, dieses Geschenk total erwidert. Damit haben
wir eine Zweipersonalität in Gott erreicht. Gott sagt
so restlos Du, dass alles, was er ist und hat, zugleich
diesem Du zukommt; und deshalb kommt diesem Du
zu, seinerseits Du sagen zu können, und so wie sein Ursprung
restlos für ihn ist, seinerseits restlos für seinen
Ursprung zu sein. Biblisch heißen diese beiden Beziehungspole
Vater und Sohn.
Und der Geist? Es ist festzustellen, dass viele trinitätstheologischen
Modelle über die Zweipersonalität
kaum hinauskommen. Der Geist ist dann der „Kuss“,
das „Zwischen“, die „Liebe“, die „Einheit“, und so stellt
sich dies auch bei dem Philosophen dar, der der Trinität
den größten Stellenwert einräumt: Hegel. Bei ihm
ist die Trinität „der Vater und der Sohn, und dieser Unterschied
in seiner Einheit als der Geist.“
Dies aber ist zu kurz gesprungen. Das christliche
Bekenntnis spricht ja nicht von einer dritten Dimension,
welche dann die Einheit von zweien wäre, sondern
von einer dritten Person, einem dritten „Wer“ in Gott.
Soweit die Vorgabe des Glaubens. Lässt sie sich philosophisch
einholen? Ich meine ja, und zwar nicht in
einer falschen Dienstbarkeit der Philosophie, die die
Wirklichkeit zurechtbiegen muss, damit sie irgendwie zu den Glaubensaussagen passt. Vielmehr
lässt sich aus einer originär philosophischen
Erkenntnis heraus sagen, dass die absolute
Liebe nicht anders sein kann als zu dritt. Wie
und woher dieses?
Nun: Wenn zwei sich lieben, dann sind sie
in ihrer Liebe nicht eins. Denn, wenn A B liebt
und B A, dann hat A eine B-Liebe und B eine
A-Liebe, und insofern sind sie gerade in ihrem
Höchsten, nämlich ihrer Liebe, isoliert.
Dies ist nicht eine Spitzfindigkeit, sondern ein
sich durch die menschlichen Täler und Hügel
der Beziehungslandschaft hindurchziehende
Wahrheit, die, weil sie das ist, tausendfach
Niederschlag in der Liebesliteratur findet.
»Die Trinität fristet
ein Nischendasein«
Die Liebenden sehnen sich nach ihrer Einheit,
aber sie können sie zu zweit nicht finden.
Und würden sie sie finden, wäre es vorbei
mit ihrer Liebe, denn zwei miteinander verschmolzene
Hälften, in denen Aristophanes
das Ziel der Liebenden sieht, wären ja eine
Einheit, die sich dann mangels Differenz
noch allenfalls selbst lieben könnte, aber
nichts mehr hätte von dem Glanz und Glück
des Der-Eine-für-den-Anderen.
Ein zweites Dilemma kommt hinzu: Liebe
will sich mitteilen, und zwar in ihrem Höchsten,
d.h. in ihrer Liebe. Weil aber A ganz und
gar erfüllter Bezug auf B ist und damit keinen
originären Blick auf sich selbst hat und
B eben ganz auf A und damit nicht auf sich
selbst bezogen ist, kann weder A noch B den
anderen an seiner Liebe zum anderen teilhaben
lassen. So klagt Liane in Jean Pauls Titan:
„Albano, wie oft hab‘ ich gewünscht, du wärest
zugleich meine Freundin, damit ich mit
dir von dir reden könnte. Wer weiß es auf der
Erde, wie ich dich achte, als ich allein!“
Zwei Dilemmata also: Die beiden haben
keine Einheit, und sie haben niemanden, mit
dem sie ihr Höchstes, nämlich die Liebe zum
anderen, teilen könnten. Beide Dilemmata
werden nun aufgelöst, wo die Liebe kein
zweipersonales, sondern ein dreipersonales
Geschehen ist, wo also von beiden einem
Dritten das Ihre geschenkt wird, nämlich zu
lieben. Denn durch die Gegenwart des Dritten
haben nun A und B eine Gemeinsamkeit
in ihrer Liebe; sie können nun gemeinsam
C lieben. Und sie sind nicht mehr isoliert in
ihrer Liebe zum jeweils anderen. Denn nun
kommt C zur Hilfe, der mit B A liebt und mit
A B. Richard von Sankt Viktor hat dies auf die
drei Termini gebracht: „dilectio“, „redilectio“,
„condilectio“ – jemanden lieben, von ihm, die
Liebe erwidernd, geliebt werden und mit ihm
einen anderen lieben. Erst diese Struktur
schenkt „Ich“ und „Du“ die Einheit des „Wir“.
Das Vollkommene an der Dreiheit ist nun,
dass hier alle drei Personen gleichen Ranges
sind. Jeder ist auf jeden hin „dilectio“, jeder
empfängt von jedem die „redilectio“, jeder
hat mit jedem „condilectio“ und jeder steht
den beiden anderen als von ihnen gemeinsam
Geliebter in ihrer „condilectio“ gegenüber
und schenkt ihnen so ihre Einheit im Lieben.
Jeder Zweck eines jeden, keiner Mittel, wohl
aber „Mittler“ – nämlich der Mit-Einheit der
beiden anderen. Ohne diese Vollzähligkeit liebender
Bezüge wäre Gott nicht die Liebe und
mithin nicht Gott.
Um nun nicht in ein schlechtes mythisches
Denken zu verfallen, gilt es, zu erfassen, dass
dies nicht eine Geschichte Gottes ist, also etwas,
zu dem er sich – sozusagen „eines Tages“
– entschlossen hat, sondern eben genau das,
was er ist. Er ist also zu keiner Sekunde, auch
nicht zu einer logischen, etwas anderes als
dieses Dreispiel, das dennoch der eine Gott
bleibt, weil alles einer Quelle entspringt –
nämlich dem Vater. Es ist in diesem Geschehen
nichts, was nicht von ihm ist, aber alles
ist so von ihm, dass es sich zugleich selbst gegeben ist; er gibt eben nicht bloß das Geliebtwerden,
sondern die Liebe; die kann etwas aber nur so haben,
dass es selbst liebt, deshalb entfließen seiner Liebe
Liebende, und deshalb fließt er nicht aus, sondern sein
Strom ist so, dass das Ausfließen zugleich ein Zurückfließen
ist – in antwortender Liebe.
Warum sollten wir Christen Trinitarier sein?
Warum ist das wichtig? Weil wir nur dann theoretisch
rechtfertigen können, was unser edelstes Bekenntnis
ist, nämlich, dass unser Gott nicht etwa – auch und
bisweilen – liebt, sondern dass er wesentlich die Liebe
„ist“. Dazu gibt es nur eine Alternative, welche sich
allerdings näherem Hindenken als bloß scheinbare
entlarvt. Sie lautet, dass Gott erst seiner Schöpfung
gegenüber zum Liebenden wird, und sie ist aus zwei
Gründen inakzeptabel. Erstens ist er dann nicht die
absolute Vollkommenheit, die der Name Gott benennt,
sondern bloß von dem Niveau besonders mächtiger,
aber eben unvollkommener Hyperwesen, welches Niveau
er dann prinzipiell nicht übersteigen könnte.
Denn was nicht vollkommen ist, kann nicht – schon gar
nicht im Gegenüber zu solchen Mängelwesen, wie wir
es sind – vollkommen werden. Und zweitens: Wir sind
dann da, damit er das Lieben lernt, und damit ist der
Mensch eben nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur
Selbstvervollkommnung Gottes („Schon unter uns, so
nötig wir einander haben, ist im Ernst von Liebe erst
die Rede, wo eine Beziehung nicht ganz in Bedürfnisbefriedigung
aufgeht“).
Aber ist ein solches Denken nicht zu vorwitzig? Hält
die Vernunft hier nicht mehr auf sich, als ihr zusteht.
Hört man nicht allerorten, Gott sei der Namenlose und
das Beste und Frömmste, was man tun könne, sei, von
ihm zu schweigen? Auf einer ersten Ebene ist dazu zweierlei
zu sagen: Erstens sollte man Wittgenstein genau
zitieren. Er sagt nämlich nicht, wie immer wieder zu
hören, „davon“ soll man schweigen, sondern „darüber“
– was die meditative Haltung des „über“ etwas Nachsinnens
zumindest evoziert. Wovon man schweigt,
das gerät in Vergessenheit; worüber man schweigt, das
lässt sich vielleicht nach ausreichendem Schweigen
ins Wort heben. Und so ist Wittgenstein ja auch selbst
nicht dabei stehen geblieben, sondern hat versucht etwas
„davon“ zu sagen. – Womit wir schon beim zweiten
wären, denn: Wie ließe sich „über“ etwas schweigen,
wovon überhaupt nichts zu sagen wäre? Wie unterscheidet sich ein solcher Gott vom Nichts,
über das sich ja auch nichts sagen lässt? Und
erst recht: Wie sollte man sich einem solchen
Gott anvertrauen können? Einem Menschen
jedenfalls sollte man in dem Maße weniger
Vertrauen entgegenbringen, wie er sich nicht
zu erkennen geben mag.
Wenn wir von Gott nicht sagen können,
dass er die Liebe ist, dann können wir auch
nicht mehr sagen, dass er Gott ist. Denn Vollkommenheit
– das ist das große Erbe, das
wir dem Judentum verdanken – ist keine,
wenn sie nur numinose Machtfülle meint. Die
Macht, von der Juden und Christen glauben,
dass sie die Allmacht ist, ist die absolute Heiligkeit.
Es ist eben die Erfahrung der absoluten
Erhabenheit des Guten, die uns seine
Allmacht bekennen lässt. Und absolut gut ist
nur absolute Liebe.
Das Geheimnis Gottes berühren
Aber löst dann solches Sprechen das Geheimnis
auf? Schauen wir dafür noch einmal auf
den Begriff Geheimnis, und auch dies mit
Jörg Splett. Wenn wir den Begriff Geheimnis
hören, denken wir an einen Sachverhalt, von
dessen Kenntnis wir ausgeschlossen sind. Die
ursprüngliche Bedeutung des Wortes erklärt
dieses Verständnis und zeigt doch zugleich,
dass es auf eine Verdrehung der Perspektive
zurückzuführen ist. Denn in der Mitte des
Begriffes steht das Wort Heim, und das Heim
ist eben nicht das, was uns ausschließt, sondern
was uns umschließt. Das, was uns so bei
sich sein lässt, dass wir in diesem Sein bei
ihm wirklich bei uns sein können. Was aber
hat dies nun mit dem ausschließenden Charakter
des Wortes zu tun? Nun, der Geheimrat
ist eben der, der im Heim der Regierenden
zugelassen ist. Er ist beim Fürsten daheim.
Für ihn heißt das Einschluss, für die anderen,
die eben nicht Geheimrat sind, heißt es Ausschluss.
Diese Bedeutung des Wortes ist dann
bestimmend geworden. Aber nicht überall.
Wir benutzen dieses Wort immer noch, um
auszudrücken, dass uns etwas begegnet und
aufgegangen ist, das so groß ist, dass wir es
nicht begreifen können, aber nicht in einer
Form von Größe, die uns ausschließt und
erniedrigt, sondern einbezieht und erfüllt.
»Weil er zu dritt ist,
ist er einer.
Weil er liebend eins ist,
ist er zu dritt«
Über alles wirklich Große und Tragende müssen wir im
Letzten sagen, dass es ein Geheimnis ist. Um zu verstehen,
warum das so ist, müssen wir noch einmal auf die
Etymologie des Wortes schauen: So, wie das „‚Gebirge‘
eine Ansammlung von Bergen“ ist, ist das Geheimnis
die Ansammlung von Heimat. Damit ist zweierlei zugleich
gesagt: Es nimmt uns auf, es ist unser Ort, der
Ort, wo wir sein dürfen und gedeihen, und zugleich
übersteigt es uns, denn anders wäre es nicht Heimat.
Die Heimat muss größer sein als wir, sonst könnte sie
uns nicht umfassen, und weil wir Menschen sind und
deshalb einen unendlichen Horizont haben, muss die
Heimat sogar unendlich groß sein, um uns umfassen zu
können (denn an eine Grenze stoßen, heißt schon, über
das Umgrenzte hinausgelangt zu sein). Deswegen kann
letztlich kein Endliches unsere Heimat sein.
Damit aber sind wir wieder beim Bild des Kindes,
das das Meer in eine Grube schaufeln will: Es geht nicht
darum, dieses Geheimnis zu begreifen. Ja, es unbegreiflich
zu nennen, legt schon einen falschen Schwerpunkt.
Um es mit Splett zu sagen: Niemand würde von einer
„ungenießbaren Perle“ oder von einer „unaustrinkbaren
Dusche“ sprechen. Denn wer will sinnvollerweise
eine Perle essen oder eine Dusche austrinken? Und
wer sollte sinnvollerweise das, was ihn umfängt, weil
es größer ist als er, unter sich bringen wollen, indem er
es begreift? Was wir begreifen, ist notwendig kleiner
als wir – wie sollte es sonst in unseren Griff passen?
Was Heimat ist, ist notwendig größer als wir, wie sollte
es uns sonst umfassen? Nicht um das Begreifen geht
es, sondern um das Verstehen. Verstehen kann ich auch,
was ich nicht begreife, so geht es uns schon mit anderen
Personen: Sie verstehen wir (zumindest bisweilen),
aber das heißt gerade nicht, dass wir sie begreifen. Und
so hier: Die trinitarische Struktur Gottes ansatzweise
zu verstehen, ist – um es mit Descartes zu sagen – ein
Berühren des Geheimnisses Gottes, aber keineswegs ein Begreifen. Im Gegenteil: Zu diesem Verstehen gehört
das Wissen, dass Gott größer ist als die Fassungskraft
eines jeglichen Begriffs.
Insofern ist mit der Freilegung der trinitarischen
Struktur Gottes seine Geheimnishaftigkeit so wenig
aufgehoben wie die Aussage, dass der Mensch frei sei,
sein Geheimnis entleert. Es ist vielmehr diejenige Behauptung,
die dessen Geheimnishaftigkeit sichert und
gewährt. Denn nur wer frei ist, ist so bei sich und Herr
seiner Vollzüge, dass es kein von außen kommendes Begreifen
seiner geben kann. Ähnlich hier: Die Erkenntnis
der Struktur göttlichen Lebens erschöpft dieses nicht,
sie thematisiert vielmehr die Art seiner alles übersteigenden
Fülle, von der es zu wenig gedacht wäre, sie als
bloße Seinsfülle, Macht und Selbstbezug zu konzipieren.
Mit der Trinität ist gedacht, dass Gott seine Fülle
darin hat, radikaler Austausch, Empfang und Gemeinsamkeit
zu sein, und dies alles so, dass die Differenz
die Identität nicht sprengt, sondern die Identität in
dieser Differenz besteht. Weil er zu dritt ist, ist er einer.
Weil er liebend eins ist, ist er zu dritt.
Differenz und Identität zugleich
Genau hier versagt die herkömmliche Logik, und es ist
genau dieses Versagen, an dem wir merken, dass wir
Gott im Denken berühren. Er ist nicht das Geschehen,
an dem die Personen teilhaben, sondern die Personen
sind dieses Geschehen und sind deshalb in einer für
Menschen unausdenkbaren Form ineinander. Wir kommen
manchmal in die Nähe einer solchen Struktur,
wenn wir so in einem gemeinsamen Vollzug aufgehen,
dass wir gemeinsam dieser Vollzug „sind“. Ein Fest, ein
gemeinsamer Dienst, ein Gespräch kann derartig ein
Gemeinsames der Beteiligten sein, dass das Geschehen
und sie selbst nicht voneinander zu trennen sind
(Hölderlin wagt zu dichten, dass wir nicht Sprechende,
sondern „Gespräch ... sind“). Freilich ist dies bloß ein
analoges Bild, denn unsere Gemeinsamkeit in solchem
Geschehen geht nicht so weit, dass wir ihm unauflösbar
zugehören und dass jeder prinzipiell konstitutiv
für den Anderen ist. Jeder kann sich aus dem Geschehen
verabschieden und wieder seiner Wege gehen und
damit hören weder er noch die anderen auf zu sein.
Wir sind eben nicht totale Personen, es ist genügend
Dinghaftigkeit in uns, dass wir unsere Bezüge auf ein vermeintliches Nichts zurückschrumpfen können (dass
wir dennoch sind, liegt nicht an unserem Bezug, sondern
an dem Bezug des Absoluten auf uns). Aber die totale
Personhaftigkeit der göttlichen Personen ist eben
nichts als Bezug: „relatio subsistens“ nennt Thomas
von Aquin deshalb die göttlichen Personen.
Der Vater ist so, dass der Sohn Sohn ist, und der Sohn
und der Vater sind so, dass der Geist Geist ist, und der
Geist ist so, dass der Vater und der Sohn in Mitliebe
geeint sind, und dies alles ist so, dass es zwischen der
Person und dem Ganzen keine Disjunktion gibt, was
das Dogma dadurch versucht auszudrücken, dass es
die äußersten Pole von Differenz und Identität zugleich
festhält. Drei Glockenschläge der Differenz: „Nicht ist
der Vater derselbe wie der Sohn, nicht ist der Sohn derselbe
wie der Vater, noch ist der Heilige Geist derselbe
wie der Vater oder der Sohn.“ Und drei Goldfäden der
Identität: „Der Vater ist dasselbe wie der Sohn, dasselbe
der Sohn wie der Vater, dasselbe der Vater und
der Sohn wie der Heilige Geist: (...) ein Gott.“ Tiefst
denkbare Durchwohnung dreier, und der intellektuelle
Schiffbruch, den wir uns dabei zuziehen, das noch einmal
denken zu wollen, ist sozusagen das Inohnmachtfallen
des endlichen Geistes vor der unendlichen Wahrheit.
Aber bis dahin darf man gehen, wenn man denken
will, dass unser Gott die Liebe ist. Und was wäre es
mehr wert, gedacht zu werden?
Zur Person
Franziskus von Heereman
ist Inhaber der Stiftungsprofessur
für Philosophie sozial-caritativen Handelns an der
Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Zuletzt
erschien im Mai 2020 sein Buch „Einer für den Anderen.
Historisch-systematische Untersuchungen zur Liebe als
Güte und Person als Bild“ im Verlag Herder.