Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Editorial

Wenn wir in unserer säkularen Welt von »Berufung« reden, bewegen wir uns
zumeist in der Logik der Ökonomie. Jenseits von Eden meinen wir damit die
Erwerbsarbeit, die wir uns ausgesucht haben. Es geht hier also um die »berufliche
Berufung«. Unterstellt doch unser deutscher Begriff »Beruf«, dass unsere Berufswahl
nichts Zufälliges ist und auch kein bloßer Job zum reinen Gelderwerb,
sondern im Idealfall unseren Talenten und Begabungen entspricht und zu uns
passen sollte. Dass das nicht immer der Fall ist, wissen wir aber nur zu gut.
Der Wunsch nach beruflicher Berufung hat in den letzten Jahren stark zugenommen.
Er findet sich ebenso in der Rede von »Quality-Time« (Qualitätszeit) und
wurde in der Coronazeit von vielen Menschen neu entdeckt: Immer mehr fragen
wir uns heute, wofür wir arbeiten und welche Arbeit wirklich zu uns passt.

Aber auch unter Christen wird die Frage nach der Berufung neu gestellt. Sie ist schon
lange nicht mehr nur eine Frage der »geistlichen Berufe«. Berufung geht uns als
Christinnen und Christen alle an. Wer mit einer Berufung in seinem Leben rechnet,
lebt fortan anders und deutet die Zeichen der Zeit vor seiner je eigenen Lebens- und
Glaubenserfahrung. Er folgt nicht einfach »seinen Stimmen«, sondern öffnet sich auf
seinen Nächsten hin, hat für den Anderen ein Ohr, weil er ihm vielleicht das entscheidende
Wort zur rechten Zeit sagen kann. Wer sich »berufen zur Berufung« fühlt,
rechnet mit dem Möglichkeitssinn der Wirklichkeit. Dabei muss es gar nicht um eine
konkrete Botschaft oder eine Vision gehen. Im Grunde geht es doch um nicht mehr
und nicht weniger, als Christus nachzufolgen und ihm ähnlich zu werden. Das kann
sehr unterschiedlich aussehen und kann bei Fehldeutungen auch ziemlich
schief gehen (maligne Berufung). Vielleicht ist Berufung zu glauben
und berufen zu sein, auch heute ein stiller Protest gegen Beliebigkeit
und Relativismus. Eine Erfahrung der Gewissheit, die mich an die
Wahrheit bindet – insofern wird KI sich niemals berufen fühlen können,
weil Erfahrungen zu machen und zu deuten, genuin menschlich ist.

Wir feiern in dieser Ausgabe das 50-jährige Jubiläum der Ständigen
Diakone. Dieses Amt wurde durch das Zweite Vatikanum inspiriert. Der
Ständige Diakonat ist mehr als nur ein weiteres Amt in der Kirche. Diakonisch
leben sollte eigentlich eine Übersetzung des Christseins lauten.
Die Diakone und hoffentlich bald auch die Diakoninnen im sogenannten
Zivilberuf erinnern uns daran, dass wir alle zum diakonischen Dienen
und zur Christusnachfolge berufen sind. Jeder und jede dort, wo er
oder sie steht. Daher Augen und Ohren auf! Berufung geht alle an!

Perspektiven

Thomas Schumacher
Das Rufen Gottes – eine biblische Spurensuche
Ursula Schumacher
(Be-)Ruft Gott Menschen?
Kostenlose Leseprobe des Artikels verfügbar.
Holger Zaborowski
Zur Berufung berufen sein
Linus Hauser
Weltanschauliche Optionen im Zeitalter der KI
Kostenlose Leseprobe des Artikels verfügbar.
Margit Eckholt
Den »Christus diakonos« darstellen
Patrick Roth
Zeugnis ablegen
Norbert Hark
Lückenfüller & Lückenbüßer – Diakone im Zivilberuf

Kultur

Jutta Kähler
Im Dialog mit dem Licht
Kostenlose Leseprobe des Artikels verfügbar.
Interview mit Christian Friedel
»Ich möchte mich immer wieder verwandeln«
Paul-Henri Campbell
Durchs Nadelöhr des Selbst zum Herrn
Thomas Menges
Lebendiges Grau
Thomas Menges
Himmelwärts

Praxis

ru-digital – Medienhinweise
Kostenlose Leseprobe des Artikels verfügbar.
Interview mit Ralf Knoblauch
»Das ist so meins: bei den Menschen sein zu können«
Ute Lonny-Platzbecker & Anna-Lisa Lukannek
Ein Leben in Fülle?
Marie-Luise Reis
Berufungen
Andreas Thelen-Eiselen
Dem Ruf Gottes folgen – Prophetisches Handeln

Forum

Fotostrecke
Auf der Suche nach … Berufung?
Susanne Nordhofen
Maligne Berufungsgeschichten
Michael Hochschild
Das Selbstbestimmungsparadox der Berufung
Kostenlose Leseprobe des Artikels verfügbar.
Helmut Moll
Berufung zum Martyrium

Titelbild

Klarheit in Farbe und Form ist das Markenzeichen von Cornelia Steinfeld, die als Art Direktorin
dem Magazin »Eulenfisch« von Beginn an sein unverkennbares grafisches Profil verleiht. Sie
wurde 1981 in Osnabrück geboren und studierte an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach.
Ihre Arbeiten wurden mit zahlreichen Designpreisen ausgezeichnet, darunter IF-Awards,
Red Dot Awards sowie eine Auszeichnung des Art Director Club für Deutschland e.V. Wie lässt
sich das Phänomen, berufen zu werden oder berufen zu sein, aber visualisieren? Unser Titelbild
versucht es mit maximaler Reduktion und Abstraktion. Ein Außen trifft auf einen inneren Kern,
die gewählten Farben intensivieren das Zusammentreffen: Wir sind betroffen, wir sind gemeint,
wir sind berufen. Weniger kann eben auch mehr sein. Ein Mehr nicht im Sinne der Addition,
sondern ein Mehr im Sinne von innerer Substanz. Ein Mehr an Sein, ein Mehr an Leben.

Cornelia Steinfeld: Berufung