Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Haus am Dom Frankfurt © Timo Michael Kessler

Gott präsent machen

Katholische Akademiearbeit im Haus am Dom in Resonanz mit globalen und digitalen Kulturen

Gemeinhin gilt spätestens seit den 1970er Jahren
in der gegenwärtigen Theologie die Gemeinde
als zentraler, wenn nicht einziger Ort
christlichen Lebens und der Verkündigung der Frohen
Botschaft Jesu Christi. Dabei ist diese Sozialform natürlich
viel älter. Die Briefe des Apostels Paulus sind
in der Regel genauso an Gemeinden gerichtet wie die
Sendschreiben der Johannesoffenbarung und es gibt
keinen Grund zu bezweifeln, dass das Urchristentum
auch vor der konstantinischen Wende gemeindlich
organisiert war. Und zugleich verlangt die moderne
Großstadt, das entbettete, passagere Leben vieler
Menschen schon seit einigen Jahrzehnten nach einer
alternativen christlichen Kontakt- und Verkündigungsform,
die der Moderne und ihrem punktuellen,
bindungsunwilligen Leben, kurz der Individualisierung
und Risikoorientierung des heutigen Menschen
angemessen ist. Dies umso mehr, als nur noch 7-10%
der kirchensteuerzahlenden Katholikinnen und Katholiken
in den Gemeinden engagiert sind. Auch die
Kirchenmitgliedschaftsstudie, deren Erträge aktuell
noch diskutiert werden, scheint dies zu bestätigen:
Caritas, soziales Engagement, Bildung und gesellschaftliche
Sichtbarkeit werden von der Kirche erwartet.
Aktivitäten, die sich nur selten in den Gemeinden,
immer aber in professionell arbeitenden Akademien
entwickeln.

Neben Caritas und Kategorialseelsorge in Krankenhäusern,
Gefängnissen und zu den Lebenswenden bilden
im deutschsprachigen Raum Akademiearbeit und
Erwachsenenbildung also genau jenes »Außerhalb«
des gemeindlichen »Kerngeschäfts«. Weshalb aber ist
die Arbeit von kirchlichen Akademien und Erwachsenenbildung
überhaupt als diakonisches oder pastorales
Tun der Kirche zu bezeichnen?

Theologisch korrekt wird man unter »Pastoral« das
gesamte Feld christlichen Handelns in der Welt verstehen
müssen, also alles, was den Auftrag der Kirche,
»Gott präsent zu machen« (GS 21) und die »menschliche
Gesellschaft auf das kommende Reich Gottes hin
umzugestalten« (GS 40), erfüllt. Gerade angesichts immer
pluraler werdender Lebenswelten in einer hoch
differenzierten Gesellschaft gilt es heute, nach Jahrzehnten
übertrieben hoher Erwartung an die Territorialgemeinden,
auch nach anderen »Kirchorten« wie
Klöstern, Jugendkirchen, kirchlichen Krankenhäusern
und Schulen oder eben den diversen katholischen Erwachsenenbildungseinrichtungen
und Akademien zu
fragen. Auch diese gilt es, wie alle anderen kirchlichen
Einrichtungen, auf ihre Fähigkeit zur Neuevangelisierung
zu prüfen, dann aber ebenso engagiert zu
pflegen, zu stärken und schließlich untereinander zu
vernetzen.

Im Folgenden soll die Arbeit der über 20 Katholischen
Akademien in Deutschland als Teil der Pastoral,
also als Teil des Handelns von Kirche, begriffen
als Heilsdienst und mit den im II. Vatikanischen Konzil
verwendeten Begrifflichkeiten »Volk Gottes« und
»Leib Christi« gefasst werden. Als Direktor einer solchen
Akademie kann ich dies angesichts der großen
regionalen und thematischen Unterschiede zwischen
den deutschen Diözesen, Regionen und Großstädten
nur exemplarisch tun, d.h. aus der Perspektive des
2007 gegründeten Frankfurter Hauses am Dom als
Ort eines komplexen Miteinanders von Akademie-,
Erwachsenenbildungs-, Stadtkirchen-, Schul- und
Medienarbeit, das ich seit seiner Gründung 2005 und
Eröffnung 2007 leite.

Theologische und lehramtliche Grundlegung

Wenn wir uns als Christen und Vertreter der Institution
Kirche zugleich als Mitglieder dieser Gesellschaft
verstehen, sind wir auch in der Pflicht, unseren
Beitrag zu leisten. Der Limburger Bischof Franz
Kamphaus hat bei der Eröffnung des Katholischen
Kulturzentrums Haus am Dom im Januar 2007 wohl
erstmals in diesem Zusammenhang von »kultureller
Diakonie« gesprochen und damit die Akademiearbeit
in die ekklesiologisch normative Trias
von martyria, liturgia und diakonia
eingeordnet. Er hat sie damit zu einer
echten Verpflichtung gemacht, die man
nicht einfach weglassen kann, wenn die
Kirche ein authentisches Zeugnis geben
will. Wir verstehen sie als missionarisch
in dem Sinne, dass sie sich nach außen
wendet, an die Menschen, die sich nicht
unmittelbar als Christen oder als Mitglieder der Kirchen
verstehen, aber der Kirche einen zentralen Platz
in der säkularen Gesellschaft zugestehen.

Franz Kamphaus hat damals das alte Bild des an
den Mast gebundenen Odysseus christologisch ausgedeutet,
der den Gesang der weltlichen Sirenen hört
und dem doch standhält:

»Ans Kreuz gebunden hat er die Welt umarmt. Um
die Sirenenerfahrung reicher ist er seinen Weg zu Gott
und den Menschen gegangen und konnte so nicht nur
Heimkehr finden, sondern auch den Weg dahin weisen.
Diese Kraft zur Transzendenz, zur Fahrt ans Gottesufer
macht ihn zum Vorläufer für uns.«

Dass man professionelle Kulturarbeit leisten und
zugleich an Gott glauben kann, dass man die Sinnfrage
anders beantworten kann als viele Mitbürger, dass man Feste und deren Geschichte aus ihrem
theologischen Kern heraus erklären kann,
dass man der Meinung ist, dass Religion
in unserer Gesellschaft einen Platz hat und
nicht nur geduldet werden muss, all das ist
in einer Stadt wie Frankfurt (Hamburg, Berlin,
München etc.) keine Selbstverständlichkeit.
Für unsere Arbeit ist hier eine analoge,
wenig gelesene und doch wesentliche Passage
aus der Enzyklika Evangelii Gaudium von
Papst Franziskus leitend, wo es heißt:

»Es entstehen fortwährend neue Kulturen
in diesen riesigen menschlichen Geographien,
wo der Christ gewöhnlich nicht
mehr derjenige ist, der Sinn fördert oder
stiftet, sondern derjenige ist, der von diesen
Kulturen andere Sprachgebräuche, Symbole,
Botschaften und Paradigmen empfängt,
die neue Lebensorientierung bieten, welche
häufig im Gegensatz zum Evangelium Jesu
stehen. Eine neue Kultur pulsiert in der
Stadt und wird in ihr konzipiert (…) Es ist
notwendig, dorthin zu gelangen, wo die neuen
Geschichten und Paradigmen entstehen,
und mit dem Wort Jesu den innersten Kern der Seele der Städte zu erreichen. Man darf
nicht vergessen, dass die Stadt ein multikultureller
Bereich ist. In den großen Städten
kann man ein »Bindegewebe« beobachten,
in dem Gruppen von Personen die gleichen
Lebensträume und ähnliche Vorstellungswelten
miteinander teilen und sich zu neuen
menschlichen Sektoren, zu Kulturräumen
und zu unsichtbaren Städten zusammenschließen.
Unterschiedliche Kulturformen
leben de facto zusammen, handeln aber häufig
im Sinne der Trennung und wenden Gewalt
an. Die Kirche ist berufen, sich in den
Dienst eines schwierigen Dialogs zu stellen«
(EG 73/74).

»Akademiearbeit wendet sich auch
an die Menschen, die sich nicht
unmittelbar christlich verstehen«

Joachim Valentin

Franziskus geht hier von einer vor allem
in den Städten anzutreffenden und sichtbaren
Pluralität verschiedener Kulturen
aus, ohne diese im Einzelnen zu qualifizieren.
In aller gebotenen Grobheit und Kürze
kann man aber in einem Modell konzentrischer
Kreise zunächst die innerkatholische,
weil multinationale oder ethnische Pluralität
in den Blick nehmen, dann die ökumenische,
die zunehmend auch die in Deutschland
wachsenden orthodoxen Kirchen in den
Blick nehmen muss. Dann die multireligiöse
Pluralität in unseren Städten, meist organisiert
in Räten der Religionen, und schließlich
die intern vielfältige Gruppe all derer,
die sich selbst keiner Religion oder Konfession
zuordnen oder, ohne Religion explizit
zu thematisieren, in kulturellen, sozialen,
wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und
politischen, selbst- oder fremdorganisierten
Gruppierungen und Institutionen die Stadtgesellschaft
in ihrem Mikro- und Makrokosmos
gestalten. Franziskus wird hier noch
konkreter: »Im Dialog mit dem Staat und der
Gesellschaft verfügt die Kirche nicht über
Lösungen für alle Detailfragen. Dennoch begleitet
sie gemeinsam mit den verschiedenen
gesellschaftlichen Kräften die Vorschläge,
die der Würde der Person und dem Gemeinwohl
am besten entsprechen können. Dabei
weist sie stets mit aller Klarheit auf die
Grundwerte des menschlichen Lebens hin,
um Überzeugungen zu vermitteln, die dann
in politisches Handeln umgesetzt werden
können« (EG 241).

Diese von Franziskus in seiner lateinamerikanischen
Heimat Buenos Aires schon früh
erfahrene Situation hat sich nach unserer
Wahrnehmung verschärft und gilt weltweit,
auch hier in Deutschland. Sicherlich überfordert
eine immer pluraler werdende Situation
viele, vor allem in den Gemeinden,
die mit knapper werdenden Ressourcen und
Mitgliederschwund zu kämpfen haben, so
dass heute viele aus Angst vor den rasanten
Veränderungen einer weltweiten Pluralisierung
oder Globalisierung nach einem imaginären
und vor allem identitätsstiftenden
»christlichen Abendland« rufen oder sich
in anderer Weise den Herausforderungen in der als fremd empfundenen unmittelbaren
Nachbarschaft verschließen. Dieses Verhalten
ist aber nur schwer mit den tatsächlichen
Haltungen des Christentums zu vereinbaren,
wie sie sich in biblischen Texten des
Exodus, der Prophetie oder der Predigt Jesu,
aber auch in den diversen Neuaufbrüchen
der Kirchengeschichte erschließen.

Brisant wird die Frage nach der Position
kirchlichen Handelns in der Öffentlichkeit
auch, weil sie sich in der unabweislich gewordenen
Krisensituation eines Gemeinwesens
stellt, dessen tragende Institutionen,
Universitäten, Parteien, Medien und eben
auch Kirchen in neuer Weise herausgefordert
sind. Um ihre Eignung neu unter Beweis
zu stellen, dürfen ihre grundgesetzlich verbürgten
»Werte« nicht nur stillschweigend
im Portfolio mitgetragen oder gar im stillen
Kämmerlein rückwärtsgewandter Amtsstuben
mit Füßen getreten werden. Humanistische
oder gar christliche Haltungen und
Tugenden dürfen nicht länger als »ohnehin
gemeinsam geteilt« vorausgesetzt, sondern
müssen offen und offensiv gelebt werden,
ganz im Sinne der Worte Jesu vom Salz der
Erde und der Stadt auf dem Berg (Mt 5,13).
Mit ihnen ist Gesellschaft auch durch kirchliches
Handeln aktiv zu gestalten.

Dass im Kontext von Akademiearbeit und
Erwachsenenbildung von den drei bzw. vier
kirchlichen Grundvollzügen vor allem das
Glaubenszeugnis, die Martyria, und eine
noch stärker ins Bewusstsein zu rückende
kulturelle Diakonia angesprochen sind,
scheint mir evident. Zumal die Orte, an denen
die Glaubensbotschaft in unseren Gemeinden
in größeren Zusammenhängen und
nachhaltig für Erwachsene dargestellt wird,
an einer Hand abgezählt werden können.
Nicht zuletzt an Papst Benedikt XVI. wäre zu
erinnern, wenn es um die Dringlichkeit der
sich stellenden Aufgabe geht: Im November
2006 hatte er die deutschen Bischöfe anlässlich
eines Ad-limina-Besuchs ausdrücklich
aufgefordert, der Erwachsenenbildung
»neue und besondere Aufmerksamkeit« zu
widmen, da »von kirchlicher Tradition geformte
Werte immer mehr an Wirkkraft verlieren
«.

Bildungswerke als wirksames Mittel gegen kirchliche Selbstbeschäftigung

Will man Erwachsene nicht zu Empfängern von Katechismuswahrheiten
degradieren, will man den
Selbstvollzug der Kirche nicht auf die Wiederholung
auswendig zu lernender »Lehrsätze« reduzieren, will
man also nicht hinter den erreichten theologischen
Reflexionsstand des Zweiten Vatikanischen Konzils
zurückfallen, so wird man die gesamte Lebenswirklichkeit
erwachsener Menschen in den Blick nehmen
müssen und damit auch Lehr- und Lernformen, die
ihren Erfahrungen in Beruf, Freizeit und Familie entsprechen.

In vielen deutschen Diözesen ermöglicht die inzwischen
über 50-jährige Struktur der (Erwachsenen-)
Bildungswerke eine enge Vernetzung mit der Lebenswelt
in den Territorialgemeinden. Bildungsausschüsse
in den Pfarrgemeinderäten und für die lokale Arbeit
zuständige Bildungsbeauftragte sorgen im Idealfall
dafür, dass Interessen und Ziele der Gemeinde in
der Erwachsenenbildung und die Erfahrungen mit
der spezifischen Gruppe der bildungsaffinen Katholikinnen
und Andersgläubigen in gemeindepastorale
Überlegungen einfließen. Gerade bei der aktuell anstehenden
Entwicklung immer größer werdender Pastoraleinheiten
beziehungsweise Großpfarreien kann
die Erwachsenenbildung, die schon immer gemeindeübergreifend
gearbeitet hat, ohne die Lebenswelten
der Menschen aus dem Blick zu verlieren,
wertvolle Erfahrungen einbringen.

Anders als die Akademien bieten die Bildungswerke
mehrwöchige oder gar -monatige
Kurse an, setzen auf langfristige lebensbegleitende
Bildung und sind stärker
an lokaler Lebenswelt und an der »Leiblichkeit
« ihres Publikums orientiert. Umgekehrt
könnten die fachliche Expertise der Akademien
und ihre Erfahrung mit den für die öffentliche
Meinung bestimmenden Akteuren
den Bildungswerken in der Fläche manchen
guten Dienst leisten.

Akademiearbeit konkret

»Katholische Akademien sind Orte der öffentlichen
Debatte, Anwältinnen für die
christliche Wahrheit in gesellschaftlichen
Diskussionen, Denkwerkstätten und Kulturstationen
der Diözesen, Stätten christlicher
Bildung und Foren des gelebten Glaubens.
Als Orte des Nachdenkens in den Bereichen
Kirche und Religion, Gesellschaft und Politik
sowie Kultur und Wissenschaft sind sie
in ihrer Gesprächskultur der Interdisziplinarität
und als Orte kultureller Diakonie
dem Orientierungswissen verpflichtet. Ökumenische
und interreligiöse Offenheit sind für sie selbstverständlich.« So stellen sich die Katholischen
Akademien Deutschlands auf ihrer gemeinsamen
Homepage (akademien.katholisch.de) selbst vor,
die inzwischen (nach Corona) eine Vielzahl von Veranstaltungsvideos
und Podcasts enthält und damit die
Akademiearbeit auch digital, orts- und zeitunabhängig
zur Verfügung stellt.

Akademien setzen also auf »Leuchtturm-Veranstaltungen
«, pflegen den Diskurs mit den lokalen Universitäten
und begleiten kritisch beispielsweise die
Debatten der großen Qualitätszeitungen und -verlage.
Ihre personelle Besetzung mit fachwissenschaftlich
ausgewiesenen, oft promovierten, das heißt für die
akademische Lehre qualifizierten Studienleiterinnen
und -leitern birgt für die Selbstverständigung von
Kirche in ihren verschiedenen Organisationsformen
deutlich mehr Potenzial im Sinne von »think tanks«
auch für Diözesen, Verbände und andere kirchliche
Akteure, als zurzeit abgerufen wird. Katholische Akademien
antworten eher auf das nach wie vor hohe
Bedürfnis kirchlich unbehauster Eliten, Großstadtnomaden
und Bildungsbürgerinnen und -bürger, aber
auch der wachsenden Gruppe religiös interessierter
Kirchenferner, die den engen gemeindlichen Raum
scheuen und den halbanonymen, punktuellen Kontakt
oder den Diskussionsraum und die damit verbundene
Fachlichkeit bevorzugen. In der Größenordnung von
nicht selten fünfstelligen (und im Zuge des Digitalisierungsschubs des Corona-Jahres 2020
»online« noch weiter steigenden) jährlichen
Besucherzahlen pro Akademie gelingt es
auch, diese Zielgruppe im Sinne einer Kulturdiakonie
mit der religiösen Tiefendimension
möglicher Fragen nach Ethik in den
Naturwissenschaften, nach Prozessen der
Integration und des interreligiösen Dialogs,
nach der Aufschlüsselung theologischer
Grundfragen und vielem mehr zu konfrontieren.

Dies geschieht noch nachhaltiger in nichtöffentlichen
Gesprächskreisen, in denen
sich Unternehmer, Journalisten, Politiker,
Juristen oder Mediziner über einen längeren
Zeitraum sozusagen in einem »Vorraum« der
Kirche den sich in ihren Berufsfeldern ergebenden
ethischen Fragen in »safe spaces«,
also vor Fake News und Hate Speech geschützten
Räumen, kompetent moderiert
stellen. Um diese Gruppen tatsächlich und
nachhaltig zu erreichen, bedarf es freilich
weit mehr, als im Programm der Akademien
sichtbar wird: Die Präsenz im städtischen
bzw. regionalen Leben in den verschiedenen
Lebensbereichen ist für die Mitarbeiter
der Akademien ebenso ein Muss wie die
enge Kontaktaufnahme und -pflege zu den verschiedenen Berufsverbänden sowie der Nachweis
fachlicher, veranstaltungstechnischer, kommunikativer
und längst auch (sozial-)medialer Kompetenz.
Dabei wird die eigene Verortung in der Kirche keineswegs
verschwiegen oder das Gespräch darüber vermieden.
Die Partner sind in der Regel gut informiert
und an einer kirchlichen Profilierung ihres Gegenübers
nicht nur fachlich, sondern oft auch persönlich
interessiert.

»Akademien setzen auf ›Leuchtturm-
Veranstaltungen‹«

Joachim Valentin

In jüngerer Zeit wird in den Akademien auch das
verbreitete Bedürfnis dieser Gruppen nach liturgischen
und spirituellen Angeboten wahr- und ernstgenommen.
Immer öfter feiert man im Anschluss einer
Tagung Gottesdienst, trifft am »Aschermittwoch der
Künstler« dem Diözesanen »Ärztetag« oder in einem
»Forum Wirtschaft« den lokalen Bischof in Messe
oder Vesper oder genießt die Ruhe einer Mittagsmeditation
beziehungsweise -andacht als Unterbrechung
einer intellektuell anspruchsvollen Akademietagung.

Auch die Akademie ist ein »Kirchort«

Wenn aber der mehr oder weniger regelmäßige Besuch
von Akademieveranstaltungen zum einzigen
Kontakt mit kirchlichem Leben wird, dann muss dieses
kirchliche Leben in allen seinen Vollzügen, also diakonisch,
liturgisch und gemeinschaftsbildend, in der
Akademie oder zumindest in ihrer räumlichen Nähe
zugänglich sein. Auch die Akademie ist ein »Kirchort«. Sie erreicht vor allem die ehemals bildungsaffinen
Leitmilieus, deren Kirchlichkeit besonders stark
zu erodieren scheint: Die in den Sinus-Milieustudien
typisierten so genannten »Konservativen«, »Postmateriellen
«, »Modernen Performer« und »Experimentalisten
« machen vor allem in den Großstädten mehr als
ein Drittel der Gesellschaft aus. Ihr Anteil nimmt weiter
zu und sie prägen als »Trendsetter« in besonderer
Weise die gesellschaftliche Entwicklung.

Während man als junger Single oder als älteres
Ehepaar das stark familienorientierte Treiben in den
Kirchengemeinden eher meidet, den sonntäglichen
Gottesdienst nach ästhetischen Kriterien auswählt
oder inzwischen ganz meidet und seine Freizeit mit
sozialem Engagement und der Erweiterung des eigenen
Horizonts verbringt, schätzt man in der
Regel das Programm der Akademien: Hier
werden aktuelle Feuilletondebatten in Podiumsdiskussionen
»live« gespiegelt, hier kann
der geliebte (Sach-)Buchautor auf der Bühne
erlebt werden, oder eine Tagung ermöglicht
die konzentrierte und fachlich ausgewiesene
Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen,
ethischen oder theologischen
Themen. Auch die unter der Perspektive
einer »Konzentration auf das Kerngeschäft«
vorgenommene Umorganisation der Pastoral,
die in der Regel nur einen Teil der tatsächlich
Suchenden im Blick hat, darf nicht
auf die Sorge um diese gesellschaftlich entscheidenden
Leitmilieus verzichten. Mit ihnen
verlöre die Katholische Kirche wesentliche
gesellschaftliche Durchdringungs- und
Gestaltungsmöglichkeiten.

Zunehmend wird deutlich, dass kirchliche
Jugendarbeit künftige gesellschaftliche
Leistungsträger nicht mehr in der Weise erreicht,
wie dies früher der Fall war. Die Zahl
der katholischen Landtags- und Bundestagsabgeordneten
etwa nimmt in den letzten
Jahren rasant ab. Auch wenn vor allem die
bischöfliche Studienförderung Cusanuswerk
in den vergangenen Jahrzehnten, von der
inner- und außerkirchlichen Öffentlichkeit
leider weitgehend unbemerkt, mit inzwischen
über 10.000 ehemaligen Stipendiaten
in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen
eine hohe Durchdringung erreicht hat, lässt
die diözesane und gemeindliche Anbindung
katholischer Akademiker leider sowohl vor
wie nach dem Studium zu wünschen übrig.
Für viele Bistümer ist Akademikerseelsorge
inzwischen ein Fremdwort und unter »Altcusanern« und anderen katholisch (noch)
identifizierten jungen Familien mit akademischem
Hintergrund bleibt die Frage nach
einer Heimat in der Kirche häufig unbeantwortet.
Ähnliches gilt inzwischen übrigens
leider auch für die Hochschulpastoral und
die Arbeit der Jugendverbände.

Der hohe Zeitdruck in Beruf und Freizeit,
unter dem Eltern zwischen 35 und 50 heute
oft zu leiden haben, erlaubt es selten, an
einer der genannten Veranstaltungen teilzunehmen.
Sie bilden für alle kirchlichen Anbieter jenseits des Elternabends im kirchlichen
Kindergarten und des Kindergottesdienstkreises die
vielleicht schwierigste Klientel, um die es sich aber
unbedingt zu kümmern lohnt. Immer wieder hört man
von ihr, dass Orte der Entspannung, Bildung und Spiritualität,
möglichst mit Kinderbetreuung, unbedingt
erwünscht seien. Hier können die Familienbildungsstätten
sicher einiges leisten. Aber auch Akademien
und Bildungswerke sollten sich beim Werben um Eltern
und ihre Kinder zum Beispiel durch das Angebot
paralleler Kinderbetreuung nicht entmutigen lassen.

Unter der Überschrift »Junge Akademie« beginnen
die Akademien mit Essaywettbewerben, theologisch-philosophischen
»Summerschools« und Bildungsveranstaltungen
speziell für katholische Schulen oder
Oberstufenkurse auch das Feld der besonders begabten
Schülerinnen und Schüler zu erschließen. Eine
Kooperation von diözesanen Jugendämtern, Hochschulgemeinden,
Erwachsenenbildung und Akademie,
die allerdings noch in den Anfängen steckt, soll der
verbreiteten Heimatlosigkeit junger Akademiker entgegenwirken
und sowohl eine stärkere katholische
Prägung ihrer Arbeitsfelder als auch die Erschließung
ihres Potentials für die zunehmend auf ehrenamtliches
Engagement angewiesenen Gemeinden ermöglichen.

»Man muss die ganze Lebenswirklichkeit
erwachsener Menschen
in den Blick nehmen«

Joachim Valentin

Auch künftig werden Akademien überall dort punkten
können, wo sie in der Lage sind, das ins gesellschaftliche
Bewusstsein zurückgekehrte Phänomen
»Religion« kundig und auf der Höhe religionswissenschaftlicher,
biblischer, ethischer oder fundamentaltheologischer
Diskurse ins Gespräch zu bringen. Ein
Blick in Kino- und Theaterprogramme, Museen und
Verlagsprospekte zeigt, dass sich dieser Trend verfestigt
und von der sich selbst verschuldeten Kirchenkrise
nicht wesentlich beeinflusst wird. Hier wie dort
kommt es darauf an, als Institution die Kirchenzugehörigkeit
nicht zu verschleiern – sie ist ein wesentliches
Alleinstellungsmerkmal und wird von den Partnern
ohnehin vorausgesetzt –, sich aber jene Beweglichkeit
und Dialogfähigkeit zu bewahren, die ein grundsätzliches
Interesse an und eine möglichst genaue Kenntnis von aktuellen gesellschaftlichen Themen voraussetzt.
Hier sind in jüngster Zeit die Themenfelder Klimawandel
und Energiewirtschaft, Bildung, Demographie,
Demenz und andere gerontologische Fragestellungen
zum bekannten Spektrum hinzugekommen.

Intellektuell und biographisch passende Antworten

Neben den einschlägigen Expertenkreisen zu ethischen
Themen, die zum Teil in jahrzehntelanger Tradition
erfolgreich moderiert werden, kann die Relevanz
und das öffentliche Interesse an religiösen Kernfragen
gar nicht überschätzt werden. Die nicht selten
komplette Sprachlosigkeit in diesen Feldern schreit
förmlich nach der Vermittlung von Detailkenntnis
und theologischer Sprachfähigkeit, die es zu überwinden
gilt. Dabei ist es keine Schande, den Umweg über
die nach wie vor hochattraktiven Fremdreligionen zu
nehmen. Gemäß dem Satz des Religionswissenschaftlers
Max Müller »Wer eine Religion kennt, kennt keine
«, brechen oft gerade im christlich-islamischen und
im noch einmal deutlich attraktiveren christlich-buddhistischen
beziehungsweise christlich-esoterischen
Dialog theologische Grundfragen mit großer Wucht
neu auf, etwa nach der Theodizee oder der Personalität
Gottes.

Hier liegt die Chance, religiös Suchenden, die an einer
Veranstaltung mit einem »nur« christlichen Thema
vermutlich nie teilgenommen hätten, eine solide Antwort
aus der christlichen Tradition nicht vorzuenthalten,
welche die Würde, aber auch die Grenzen der
anderen und der eigenen Tradition nicht verschweigt.
Neben dem – seit dem Zweiten Vaticanum obsoleten
– Triumphalismus gilt es, das in den eigenen Reihen
erstaunlich weit verbreitete Bewusstsein der Überlegenheit
der jeweils anderen (östlichen) Religion
infrage zu stellen. Im besten Fall können in solchen
Runden der Eros ernsthaften Theologietreibens und
die Begeisterung für intellektuell wie biographisch
»passende« Antworten aus der christlichen Tradition
erlebt werden.

Die Arbeit der Akademien, so diese sich als lebensnotwendiges
Organ am Leibe Christi verstehen und
als solches verstanden werden, birgt also gerade in
der aktuellen Umbruchsituation bisher nur teilweise
erkannte und genutzte Chancen für eine wirksame
Präsenz der Botschaft des Evangeliums in allen Teilen
unserer Gesellschaft.

Aktuell unbeantwortete Fragen

Begreift man Akademien nicht nur als gesellschaftliche,
sondern auch als kirchliche Laboratorien, in
denen die Zukunft mental schon begonnen hat, wären
aber noch weitere Fragekreise und Problemfelder in
Angriff zu nehmen:

(1.) Selbstkritisch ist bei zielgruppensoziologischen
Überlegungen zu vermerken, dass die ihrerseits
oft weniger akademisch und eher kleinbürgerlich orientierte
und zahlenmäßig stark wachsende Gemeinde
der Katholikinnen und Katholiken mit polnischer,
kroatischer, spanischer oder anderer Migrationsgeschichte
in den Akademieprogrammen gar nicht
oder doch viel zu wenig vorkommt. Darüber könnte
und müsste auch in anderen Kontexten, etwa in der
Schule und in der territorialen und kategorialen Seelsorge,
lange und ausführlich gesprochen werden. Die
Wahrnehmung der Weltkirche in Deutschland ist uns
viel zu selten ein Anliegen. Wenn die Akademien aber
autochthone deutsche Bildungseinrichtungen bleiben,
werden sie weder der kirchlichen noch der gesellschaftlichen
Pluralität gerecht. Das gilt zum einen
im Sinne einer Fürsorge und Begleitung dieser Gemeinden
in die moderne und herausfordernde Gesellschaft
und einer nachkonziliaren Pastoral und Theologie,
zum anderen aber auch im Sinne ihrer Kritik.
Denn der Nationalismus, der entsprechend den politischen
Entwicklungen in Polen, Ungarn, Kroatien und
anderswo in nicht wenigen dieser Gemeinden fröhliche
Urständ feiert, ist von der gesamten Katholischen
Kirche mit zu verantworten.

Als Mitglieder einer globalen Kirche, die keine nationalen
Grenzen kennt und die einen Flüchtling und
heimatlosen Wanderprediger den Sohn Gottes nennt,
scheint mir die Aufforderung alternativlos, sich angesichts
von 80 Millionen Flüchtlingen weltweit, aber
auch in einer Gesellschaft, in der schon allein die Katholikinnen
und Katholiken bunt sind wie der Regenbogen,
klar für Pluralität zu positionieren. Das Thema
Migration ist eine echte gesellschaftliche und damit
kirchliche Aufgabe, über die Grenzen »muttersprachlicher
Gemeinden« hinaus. Über 100.000 katholische
Ehrenamtliche in den Jahren 2015/2016, die sich in
Deutschland für Geflüchtete eingesetzt haben, sprechen
hier eine deutliche Sprache – nicht zuletzt bei der Frage, wie denn eine oft leblos und ratlos wirkende
Kirche neu zu verlebendigen ist. Die Mitwirkung an
der Selbstgestaltung eines neuen Wir in Deutschland
und Europa ist keine Marginalie, sondern eine Kernaufgabe
katholisch-christlicher Existenz, auch und
gerade in der Bildungsarbeit.

(2.) Über dieses drängende soziale Thema hinaus
haben Akademien aufmerksam die gesellschaftlichen
Stimmungen wahrzunehmen, die zunehmend wichtiger
zu werden drohen als der rationale Diskurs. Der
katholische Soziologe Heinz Bude hat in seinem Buch
»Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen
« bereits 2016 zwei gesellschaftliche Atmosphären
oder eben Stimmungen ausgemacht, die bis heute die
politische Debatte bis hin in Wahlergebnisse in Europa
und darüber hinaus bestimmen. Er unterscheidet
zwischen empörten Antikapitalisten einerseits und
entspannten Fatalisten andererseits. Während die
empörten Antikapitalisten – tatsächliche oder vermeintliche
Opfer eines sich beschleunigenden Globalisierungs-
und Wirtschaftssystems – von links oder
rechts in gereizter Stimmung einer vermeintlich besseren
Vergangenheit nachtrauern, aus einem Gefühl
der Entbettung heraus die sozialen Medien mit Hasskommentaren
überschwemmen und sich extremen Parteien zuwenden, haben die entspannten Fatalisten
aufgrund eines »postmodernen Systemdenkens«, das
keine Utopie und kein politisches Subjekt kennt, die
Sehnsucht nach Veränderung längst aufgegeben, haben
die entspannten Fatalisten aufgrund eines »postmodernen
« Systemdenkens, das weder Utopie noch
politisch handelndes Subjekt kennt, den Wunsch nach
Veränderung längst aufgegeben und sich im großstädtischen
Leben der kulturell privilegierten Mittelschichten
bequem eingerichtet.

»Auch die Akademie ist ein
›Kirchort‹«

Joachim Valentin

Der Berliner Soziologe Andreas Reckwitz hat hier
den Begriff der »kulturalistischen Singularität« eingebracht
und stellt fest, dass Bildung heute zur zentralen Unterscheidungskategorie zwischen den Schichten
geworden ist. Das verbreitete Wettern gegen eine
globalistische Elite, welche die Vorteile der Globalisierung
genießen, während sie deren Opfer erst ignorieren
und dann als Radikale verurteilen. Nicht zuletzt
die Reflexion mit den subkutan omnipräsenten
Begriffen »Angst« und »Vertrauen« auf Basis ihrer
christlichen Wurzeln könnte hier Unbewusstes und
deshalb Angstmachendes ins Bewusstsein heben.

(3.) Schließlich steht auch in den Akademien das
Thema Digitalisierung und KI drängend vor der Tür.
Was die Verbreitungswege betrifft, so war die Präsenz
der Akademieveranstaltungen auf Social-Media-Kanälen
vor 2020 selten, 2021 »nach Corona« selbstverständlich.
Im Mai 2021 erschien das Ergebnis dreier
Tagungen im Haus am Dom zum Thema Theologie
und Digitalisierung als 500-seitiges Kompendium
im Herder Verlag. Hier werden unter den Bedingungen
der Digitalität die theologisch zentralen Fragen
nach Mensch, Gott und Kirche neu gestellt. Steht der
Mensch im Zentrum oder rückt er in die Peripherie?
Durch die Erweiterung von Sinnen und Fähigkeiten
unterstützen und befriedigen digitale Tools menschliche
Grundbedürfnisse. Das »Du« steht im Zentrum
der Social-Media-Anwendungen. Doch der israelische
Anthropologe und Medienwissenschaftler Yuval Harari
scheint nicht Unrecht zu haben mit der Annahme,
dass sich der Homo sapiens auf der Suche nach
seiner Unsterblichkeit, dem Homo deus, in eine Informations-
und Wissensexistenz wandelt und sich
in Datenströme der Biotechnologien und Algorithmen
aufzulösen droht. Positiv ist aber festzuhalten, dass
Menschsein eben auch im Netz stattfindet, allerdings
in einem changierenden Spiel der Selbstinszenierung
von Identität und Sozialität. Aktive Communities bilden
sich rund um existenzielle Erfahrungen wie Tod,
Geburt, Krankheit, so beispielsweise in der Trauerbegleitung
bei Instagram. Die Menschen leben heute
selbstverständlich in digitalen und analogen Kommunikationswelten,
ohne dass Netz und Welt deckungsgleich
wären.

Die expansive Kraft der Digitalität wirkt gesellschaftsprägend
und führt zugleich gut franziskanisch
an die Ränder: Von der radikalen Dezentralität des Netzes
kann die Kirche lernen, was es heißt, sich grundsätzlich netzwerkartig zu organisieren, also dezentral
und nicht hierarchisch oder kirchlich-territorial.

Bei aller Relevanz des Digitalen als Grundstruktur
der Gegenwart können wir aber angesichts einer religionsphilosophischen
Reflexion gelassen bleiben:
Weder Gott noch der Mensch werden zu Technik,
auch wenn die Technik maßgeblich die Gegenwart
bestimmt. Allerdings spiegelt sich die menschliche
Hoffnung auf Allmacht und Unendlichkeit in Gott.
Eine Spiegelung (keine Projektion!), die derzeit das
trügerische Feld der KI und des Transhumanismus
bestimmt. Hier wie dort bleibt es Aufgabe der implizit
missionarischen Grundhaltung, die auch in Akademien
möglich ist, nicht einen triumphal siegreichen
Gott oder eine ebensolche Kirche zu verkünden, sondern
an die Grenzen des Machbaren zu erinnern: Annahme
der eigenen Verwundbarkeit und Sterblichkeit,
Gelassenheit und Offenheit für das Geheimnis heißen
die wesentlichen theologischen Grundhaltungen auch
und gerade in der »Digitalen Revolution«.