Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Logo: Andreas Gottselig

SCIVIAS – Wisse die Wege!

Die Aufforderung der Heiligen Hildegard von Bingen gibt dem Literaturpreis des Bistums Limburg seinen Namen

Wisse die Wege! – Die Aufforderung der Heiligen
Hildegard von Bingen drängt kein
Wissen auf, sondern ermutigt: Du kannst
die Wege erkennen. Sie schreibt nichts vor, sondern
stiftet an: Erforsche die Wege. Sie weist nicht den
Weg, sondern öffnet den Horizont: Wisse die Wege!
Sie gab dem Literaturpreis des Bistums Limburg
seinen Namen, als er auf Initiative der Katholischen
Akademie Rabanus Maurus und der Katholischen
Erwachsenenbildung im Bistum Limburg 2018 zum
ersten Mal ausgeschrieben wurde. In diesem einen
Wort SCIVIAS ist unser Anliegen sehr gut gefasst: Wir
wollen Menschen ermutigen, zu schreiben. Jeder und
jede kann mit einem unveröffentlichten literarischen
Text teilnehmen. Zusätzlich gibt es einen Förderpreis
für junge Autoren und Autorinnen oder eine Schreibwerkstatt.

Wir wollen Menschen anstiften, sich kreativ auf ein
aktuelles gesellschaftliches Thema einzulassen. Unsere
christliche Motivation zu diesem Vorhaben kommt
inhaltlich in der jeweiligen Frage zum Ausdruck, auf
die wir den Fokus richten und die wir zur Erforschung
anbieten. Wir wollen den weiten Horizont zeigen, die
Vielfalt. Zu jeder Ausschreibung erhielten wir weit
über dreihundert individuelle Geschichten, die die
Einzigartigkeit menschlicher Erfahrung sichtbar machen.
In der Zusammenschau lassen sich gesellschaftliche
Muster erkennen.

2018 waren die Identitätsdiskurse auf einem Höhepunkt,
KI in aller Munde. »Was glaubst du, wer du
bist« hieß deshalb das erste Thema. »Das Gespräch,
das Geist, Körper und Gegenüber in gleicher Weise
in Anspruch nimmt, erscheint dort als Grundzug des
Menschlichen und steht als solcher mit dem Aufkommen
Künstlicher Intelligenz in Frage. Viele Autorinnen
und Autoren leuchten aus, wie sich unser Gespräch
verändert, wenn Künstliche Intelligenz ins Spiel
kommt. Was als Triumph der Forschung und des technisch
Machbaren in unser Zusammenleben, unseren
vermeintlich suboptimalen Organismus, ja sogar in
unseren Tod hereinbricht und wird kritisch wahrgenommen,
in Science Fiction Szenarien auf mögliche
Untiefen hin ausgelotet. Häufig steht der Mensch, wie
wir ihn heute noch verstehen, am Abgrund und verteidigt
seine gefährdete personale Existenz, sein Fühlen,
sein sich Verdanken, sein Sehnen, sein Singen, sein
Lieben. Die neue Erfahrung mit einer Maschine, die
antwortet und sich einstellt auf persönliche Bedürfnisse,
emotionale Regungen kopiert und jedenfalls
unfassbar viel schneller kombiniert und lernt, die,
einmal implantiert, unsere Möglichkeiten und unser
Bewusstsein verändert, uns – vielleicht – mindestens
als geistige Existenz unsterblich macht, wirft die Eingangsfrage
in einer Variante wieder auf: Was ist noch
ein Mensch?« Was treibt ihn an und um? Andreas Peters
erhielt den Preis für seine russische Nahaufnahme
»Wo liegt Irbit?«.

2020 konfrontierte die Corona-Pandemie die Menschen
mit ungekannten Risiken. »Risikogebiet« war
der Titel der zweiten Ausschreibung. »Genauer kann
man eine Krise kaum ins Erzählen holen. Die Literatur
leistet hier etwas, was nur sie kann: Sie lässt uns
mit der Sprache verschwimmen. Indem wir in dem
Strom der Erzählung treiben, gefangen von seiner stilistischen
Klarheit, seiner Einfachheit und auch Spannung,
sehen wir ein Spiegelbild. Das ist der Urmoment
der Literatur: Wir erkennen uns selbst in der fremden
Geschichte. Wir erkennen uns als Krisengeschöpfe,
durch deren Leben permanent ein Panther brüllt –
aber was ist er?«, schrieb der Lyriker und Theologe
Christian Lehnert in seiner Laudatio zum Text »Der
Jaguar« von Ursula Seeger: »(W)as ich eben als eine
literarische Erfahrung benannte, kennzeichnet auch
die religiöse, so wie sie jedenfalls bei Hildegard von
Bingen erscheint. Ihr Ausgangsort ist die höchste Unsicherheit,
die Verstörung, die mit dem Wort ‚Gott‘
erscheint, die Infragestellung aller Weltanschauung
und aller Beheimatung, auch aller religiöser Dogmen.
Die Gläubige, die Mystikerin bewegt sich in einem Risikogebiet.
Alles steht zur Disposition.«

2022 war das Thema der dritten Ausschreibung geprägt
vom Angriffskrieg auf die Ukraine: »zerstören.
Die Dinge. Die Sprachen. Die Seelen.« Sind wir tatsächlich
nur Flöhe auf dem Rücken des Leviathans,
Insekten vor der enormen Größe der Vernichtung?
Oder ist es ganz anders: Sind wir unermüdliche, unbesiegbare
Erbauerinnen und Erbauer auf wackligem
Grund, fragten wir in der Ausschreibung. Die Preisträgerin
Sarah Roguschke führt ihren Text »Die Anfänge
« zu diesem behutsam hoffnungsvollen Schluss:
»Am Ende meines Tunnelblicks sehe ich etwas ins
Licht stolpern, vorsichtig und neugierig zugleich, wie
ein Tier, das den Weg in die Freiheit gefunden hat/ ich
kann es nur weiter anstarren, bis es fort ist und das
Nadelöhr voll Licht zurückbleibt/ vor das sich ein anderes
Auge schieben wird/ unsere Blicke überbrücken
das Dunkel dazwischen/«

Inzwischen sind viele gesellschaftliche Diskurse
unter dem Eindruck der terroristisch und kriegerisch
ausgetragenen Konflikte in Lager zerfallen, die sich
vehement gegeneinander abgrenzen. Die neue Ausschreibung
für den 4. SCIVIAS-Literaturpreis lenkt
deshalb die Aufmerksamkeit auf das Gegenüber: »Ich
und Du. Entdeckungen«

Die besten Texte erscheinen jeweils in einer Anthologie.
Es ist der einzige katholische Literaturpreis
für deutschsprachige Belletristik, ein Pendant zum
Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis der Deutschen
Bischofskonferenz. Er konnte bisher alle zwei
Jahre vergeben werden. Eine Jury bestimmt in einer
gemeinsamen Sitzung den Preisträger beziehungsweise
die Preisträgerin. Dazu gehörten in wechselnder
Zusammensetzung die Schriftstellerinnen und
Schriftsteller Katarina Hacker, Christian Lehnert, Robert
Prosser, Carolin Callies und Paul Henry Campbell,
die Literatur-und Kulturexpertinnen und -experten
Susanne Lewalter, Dr. Jakob Johannes Koch, Hans
Sarkowicz, Dr. Alexander Gemeinhardt, Dr. Simone
Husemann, Dr. Stefan Scholz, Dr. Friederike Lanz und
Lisa Straßberger.

Etwa ein Jahr nach der Ausschreibung findet die
öffentliche Preisverleihung mit Lesungen und Laudatio
im Haus am Dom in Frankfurt statt. Die Schirmherrschaft
hat die Äbtissin von Sankt Hildegard in
Eibingen. Sie wird im September 2025 den 4. SCIVIAS-
Literaturpreis des Bistums Limburg überreichen.