Ein wenig Kunstgeschichte
Wer die Darstellung der Verklärung Christi für die Erlöser-Verklärungskathedrale in Pereslavell-Salesskij mit der Darstellung Raphaels vergleicht, wird merken, dass hier zwei völlig verschiedene Bildersprachen gesprochen werden.
Die intuitive Vorliebe für die Art, wie die Ikonenmaler mit ihren Heiligen Sujets umgehen, hat Gründe.
Seit der frühen Neuzeit, seit dem Bruch, den die Renaissance als große Fortschrittsbewegung in der Kunst und im Denken überhaupt inszenierte, haben wir es im Westen mit Bildern zu tun, die eine illusionistische Raumauffassung mit der Zentralperspektive erzeugen wollen, die sich mit großem Erfolg um anatomische Richtigkeit, um Lichtführung und um eine Art Augentäuschung bemühen, die dem Betrachter das Gefühl vermitteln, dass das was dort zu sehen ist, dem Seherlebnis entspricht, das er hat, wenn er die Augen aufmacht und nicht Bilder, sondern seine natürliche Umgebung sieht. Zwar unterliegen wir der Schwerkraft und können nicht, wie der verklärte Christus und seine Begleiter schwerelos im Äther stehen, doch wenn wir es könnten, dann sähe es ungefähr so aus. Jesus konnte es, wir nicht.
Was wird eigentlich in der Renaissance wiedergeboren? Allein schon dieser Ausdruck ist polemisch. In der zeitgenössischen Literatur, insbesondere bei dem berühmten Giorgio Vasari, der mit seinen Künstlerviten eine gewaltige Wirkungsgeschichte hatte, wird die Kunst der „ungeschickten und ungeschlachten Griechen“ als Folge eines beklagenswerten Verfalls beschrieben. Die byzantinische Ikonenkunst, die im Mittelalter den Qualitätsmaßstab setzte und deren Einfluss auf den lateinischen Westen etwa die romanische Kunst
Von Eckhard Nordhofen
kaum übertrieben werden kann, wird frontal angegriffen, weil man sie nicht mehr „lesen“ und verstehen kann.
Worin bestand das Missverständnis? Man verwechselte das anders Wollen mit dem nicht (mehr) Können. Wir können uns diesen Unterschied am Beispiel Pablo Picassos klar machen. Picasso erhielt eine akademische Ausbildung und seine frühesten Bilder zeigen, was er auf diesem Gebiet leisten konnte. Die durch die Erfindung der Fotografie und andere Einflüsse ausgelöste Krise der akademisch-mimetischen Malerei, die sich prinzipiell immer noch in der Renaissance-Tradition bewegte, wurde von Picasso radikal verabschiedet. Wer vor einem seiner kubistischen Köpfe stand, hätte ihn fragen können: „Kannst du denn nicht richtig malen?“ Diese naive Frage ist ihm in vielen Varianten Zeit seines Lebens gestellt worden und immer konnte er auf die akademischen Bilder seiner Frühzeit verweisen und etwa antworten: „Selbstverständlich kann ich in der traditionellen Manier malen, ich will es aber nicht. Ich will etwas anderes.“
Wer die Geschichte der religiösen Malerei verfolgt, wird einen sehr vergleichbaren und gewollten Bruch mit der mimetischen Kunst entdecken, der in der späten Antike durch die christliche Kunst herbeigeführt wurde.
Das junge Christentum lebte in einer Umwelt, die von der hellenistischen Kunst geprägt war, die ein beachtliches Niveau zeigte. Schon die Römer bewunderten die Blütezeit Athens und das künstlerische Niveau der Epoche des Perikles. Man kopierte die Statuen des Polyklet, übernahm seinen Kanon, Praxiteles und Lysipp waren große Namen. Die eigenständige römische Leistung bestand in der beeindruckenden Portraitkunst, die uns heute mit den Gesichtszügen von Cizero und Octavian vertraut macht. In der hellenistischen Epoche wurde die Kunst artifiziell. Poliklet und Praxiteles ging es nicht darum, lebende Menschen zu kopieren, sondern Figuren herzustellen, die so aussahen wie Menschen ausgesehen hätten, wenn sie ihrem Ideal näher gekommen wären. Der platonische Idealismus wird in den Kunstwerken konkret. Der Hellenismus lässt diesen Steigerungsanspruch der nach Vollkommenheit und Schönheit strebte, fahren, und zeigt auch Hässlichkeiten, wie faltigen Gesichter alter Frauen und ihre schlaffen Brüste. Auf dem polierten Marmor kann man die Muskeln und Äderchen fein ablesen und den Verismus, der Bildhauer bewundern.
Die vorchristliche Kunstauffassung der hellenistischen Welt folgt einem Ideal, das in den Künstleranekdoten am schönsten zum Vorschein kommt, die uns Plinius der Ältere überliefert: Parrhasios und Zeuxis, zwei berühmte Maler, machen das, was Griechen immer machen und in den Olympischen Spielen sogar zum Kult erhoben haben: einen Wettstreit. Wer von uns beiden ist der beste? Die Bilder sind fertig und das erste ist enthüllt. Es zeigt Obst, Früchte. Sie sind so täuschend echt gemalt, dass die Vögel des Himmels kommen und versuchen, an ihnen zu picken. Schon halb im Triumph über seinen Gegner, streckt Zeuxis die Hand nach der Staffelei seines Konkurrenten aus und will von ihr das verhüllende Tuch abzuziehen, um die darunter liegende Malerei endlich zu sehen. Doch siehe – das Tuch war nur gemalt… Denjenigen, der sich selbst auf die Kunst des Täuschens und Illusionierens verstand zu täuschen, brachte natürlich den Siegeslorbeer.
Die Malerei, wie sie uns auch in unterschiedlicher Qualität in den Bildern aus Pompeji überliefert ist, ist die lustvolle Vorspiegelung falscher Tatsachen. Ein Gaukelspiel. Daher hat der strenge Platon die Maler, die er als eine Art Schausteller und Gaukelvolk betrachtete, aus seinem Idealstaat auch verbannt.
Was fängt das junge Christentum mit solchen ästhetischen Koordinaten an, die am besten mit dem Begriff „Mimesis“, d.h. „Nachahmung“ (der Natur) etikettiert werden kann? Das zweite der Zehn Gebote war schließlich ein strenges Bilder verbot und der heidnische Götterkult, in dem die Statue und die szenische Darstellungen der Mythen eine große Rolle spielten, hielt das Christentum auf Abstand.
Aber galt denn das Bilderverbot für die Christen überhaupt noch? War nicht vielmehr die Christenheit befreit vom Gesetz der Tora? Wenn Jesus der Sohn Gottes war, hat man dann nicht in das Antlitz Gottes blicken können? Das Konzil von Chalcedon verhinderte durch das zentrale Christusdogma die Auflösung einer wertvollen Spannung. Wer war Jesus; ein großartiger Mensch? Das sagen von ihm auch Heiden und später die Moslems. Wenn Jesus Gott war, hat er dann nur zum Schein Menschengestalt angenommen, ohne je seine göttliche Natur Preis zu geben? Gott oder Mensch – nur eines kann richtig sein. Das Konzil, dessen Väter die Gesetze der Logik und die griechische Philosophie wohl vertraut waren, widerspricht. Es installiert das Mysterium von den zwei Naturen Christi: Wahrer Gott und wahrer Mensch – unvermischt und ungetrennt: Wer nun ein Portrait Christi malt, was gibt es uns zu sehen? Das Gesicht eines Menschen, eines Gottes? Unterschlägt er nicht, wenn er das menschliche Antlitz Christi zeigt, seine göttlichen Natur? Wenn aber Gott Mensch geworden ist, und sich zu sehen gegeben hat, darf es dann von ihm nicht doch Bilder geben? Fragen über Fragen. Sie beschäftigen von Johannes von Damaskus bis ins frühe 9. Jhd. die Christenheit ein Jahrtausend lang. Das zweite Konzil von Nikaia schreibt in seiner Schlusserklärung für die Orthodoxie bis heute gültig, den Bildern schließlich eine quasi – sakramentale Qualität zu.
In der Gründungsphase des lateinischen Kaiserreichs, die man mit dem Konzil von Frankfurt im Jahr 794 beginnen lassen kann, wird eine entscheidende Weiche gestellt. Politische Geschichte, Theologie und Kunstgeschichte mischen sich und haben eine Wirkung, die bis heute anhält. Indem Karl der Große den Beschlüssen des Konzils von Nikaia in seinen Libri Carolini (Verfasser Theodulph von Orleans) widerspricht er der sakramentalen Bildauffassung seines oströmischen Rivalen. Gleichzeitig übernimmt er die Rolle eines Kaisers, ohne es schon zu sein. Das wird er sechs Jahre später zugeben. Denn in der Tradition Ostroms waren es immer die Kaiser, die Konzilien einberiefen, ihnen vorsaßen und den Schlußhoros unterschrieben. Der Bischof von Rom, Patriarch des lateinischen Westens, war zufrieden, wenn sein Delegat als erster unterschreiben durfte. Die Bildauffassung der Karonlinger war im Grunde religionspädagogisch. Sie betrachteten die Bilder wie schon Gregor der Große als Hilfe für die des Lesens und Schreibens Unkundigen. Sie stellten die narrative Qualität der Bilder heraus und hängten sie – salopp gesagt – etwas tiefer. In der Folge konzentrierte sich der Westen auf den Gedanken der Inkarnation und der Eucharistie. In der konsekrierten Hostie, einer weißen bilderlosen Scheibe, betete man die Gegenwart Gottes an, mit der man in der Kommunion sich gleichzeitig leiblich vereinigen konnte. Nur im Westen entstand eine eucharistische Frömmigkeit, wie sie sich im Fronleichnamsfest in Sakramentshäusern und Tabernakeln und später in Monstranzen artikulierte. Orthodoxie und lateinischer Wester gingen verschiedene Wege.
Der große Bilderstreit der im 8. Jhd. seinen Höhepunkt hatte, wurde nicht nur theoretisch sondern auch in der Bildpraxis lösbar gemacht. Es ist frappierend, dass in den Bildern, die nun eine quasi sakramentale Verehrung genossen, die geküsst und mit Weihrauch inszensiert wurden, die Standards der Mimesis, wie sie in der Antike schon einmal erreicht waren, bewusst fahren gelassen wurden. Im Vergleich zu den wirren und durch Völkerwanderungen verwirbelten Verhältnissen im Westen, hatte das oströmische Reich kontinuierlich fortbestehen können. Wenn also handwerkliche Künste, die der Mimesis dienten und Werkstatttraditionen, wie sie im Hellenismus Anwendung fanden, verschwinden, so kann dies nur mit Absicht geschehen sein. Der Verlust bestimmter mimetischer Kunstfertigkeiten und Illusionstechniken hat also nichts zu tun mit einem nicht (mehr) Können, sondern ganz offensichtlich mit einem anders Wollen. Ikonen wurden auch nicht gemalt, sondern „geschrieben“. Auf jeder Ikone muss Schrift zu lesen sein. Dem Parrhasios-Zeuxis-Effekt des Tromp l’œil wurde der Abschied gegeben. Die „Andersheit“, die Alterität der Ikonen wurde durch Verfremdungseffekte markiert. Der Verzicht auf Lichtführung, die ornamentale Auffassung von Gewandfalten, Bärten und Haupthaar, die Semantisierung von Farben, der Goldhintergrund, die Beschriftung, der Verzicht auf perspektivische und Schatteneffekte – all dies diente einer Alteritätsmarkierung und brachte die Botschaft zum Ausdruck: „Was du hier siehst, hat nichts mit dem zu tun, was du sonst siehst.“ Die Wirklichkeit der Ikonen ist die Wirklichkeit des Heiligen, die Wirklichkeit Gottes, die nicht mit der Alltagswirklichkeit verwechselt werden kann. Diese Sicherung vor einer Verwechselbarkeit des Heiligen mit dem Profanen öffnete der Kunst eine völlig neue Dimension. Sie kommt der Auffassung in der klassischen Moderne sehr nahe, die nach dem berühmten Wort von Paul Klee es anstrebt zu malen, „was man nicht sehen kann“. Die Verabschiedung der Gegenständlichkeit im 20. Jh., die „reine Malerei“ etwa eines Malewitsch verdankt denn auch der Ikonenästhetik ihre wichtigste Inspiration. Das Ikonenparadigma in der Kunst, das grosso modo bis zum Bruch der Renaissancebewegung in der frühen Neuzeit reicht, ist mit Blick auf die Heilsgeschichte und ihre biblisch-kanonische Erzählform immer auch narrativ geblieben. Entscheidend ist die alteritäre Brechung von Wirklichkeit, die als Methode zur Eröffnung der größeren Wirklichkeit Gottes zu lesen ist.
Auf den ersten Blick scheint es keinen massiveren Verstoß gegen das Gottesbilderverbot des Dekalogs zu geben, als Michelangelos berühmte Fresken in der Sixtinischen Kapelle. Ist die „Wiedergeburt der antiken Kunst“ einschließlich der ästhetischen Koordinaten der Mimesis nicht tatsächlich so etwas wie ein Kategorienfehler? Wenn Raphael die Verklärung Christi uns so vor Augen stellt, als hätte er nur zum Pinsel gegriffen, weil er noch keine Videokamera dabei hatte, hat er da nicht die göttliche Wirklichkeit und die Wirklichkeit des Alltags gerade wieder der Verwechslung ausgeliefert? Um dies zu vermeiden war schließlich der Bruch der Ikonenkünstler mit der antiken Tradition nötig gewesen. Hatte man dies alles vergessen?
Zunächst muss man einräumen, dass die Begeisterung über ausgegrabene Meisterstücke wie die Laokoongruppe oder den Apoll von Belvedere überschwänglich war. Alles Antike war maßstäblich geworden. Die Dekorationen, die man in den Grotten der domus aurea gefunden hatte, waren das Vorbild für die Ausschmückung der päpstlichen Gemächer. Die besten der antiken Stücke fanden Aufstellung im Vatikan. In der Tat gibt es gerade in Italien, wo in vielen magischen Praktiken die Antike weiterlebt, eine Einebnung der Wirklichkeit auf das, was man sehen kann. Alljährlich wartet ganz Neapel auf die Verflüssigung des Blutes von St. Gennaro. Dass die Wirklichkeit des „Ganz Anderen“ (Rudoph Otto, Paul Tillich) nahezu auf Bestellung hereinbrechen kann, ist etwas was vor allem nördlich der Alpen mit heftigem Stirnrunzeln, theologische Entrüstung oder – je nach dem, mit ethnologischem Interesse – beobachtet wird. Natürlich ist das Missverständnis der Renaissance, in der das Anderswollen mit nicht (mehr) Können verwechselt wird, wie das Abhandenkommen eines ästhetischen Codes, ein Missverständnis, das einen viel begangenen Weg der Alteritätsmarkierung zuwachsen lässt, bis er in der Moderne wieder freigelegt wird. Wir, die Zeitgenossen einer ästhetischen Moderne, die mit der Malerei in der Renaissancetradition, die bis zum Bruch der Moderne Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Schwierigkeiten hat, ob es nicht tatsächlich ein Irrweg war, das Heilige im Modus der Mimesis darstellen zu wollen. Die Frage nach der Alteritätsmarkierung ist entscheidend. Ist Gott, der ganz Andere, als tatsächlich einer blasphemischen Verwechselbarkeit unterworfen worden?
Schauen wir uns die Bilder der Renaissance und des Barock, eine Epoche, die man hier zusammennehmen kann, einmal genauer an. Da ist zunächst einmal die Zentralperspektive zu erwähnen, eine wirkliche Neuerung der Renaissancezeit. Hans Belting hat in einer soeben erschienen faszinierenden Untersuchung (Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, 2008) gezeigt, dass es einer islamischen Theorie vom Sehen, einer islamischen Geometrie und Raumauffassung zu verdanken ist, dass die Zentralperspektive in Florenz für die Malerei und Architektur erfunden werden konnte. Kurios deshalb, weil der Islam sich viel strenger an das Bilderverbot hielt, als das Christentum. Auf diese Weise konnte das Erlebnis des Sehens der Natur mit dem Erlebnis ein Bild zu sehen, nahe aneinander gerückt werden. Es beginnt ein Zeitalter virtuoser Malerei mit Anarmophosen, abenteuerlichen Verkürzungen und Illusionstechniken, die man gerne immer noch als Techniken einer gegenreformatorischen missionarischen Überbewältigung betrachtet. Der Katholizismus im Bilderrausch setzt die Massen in Extase, beraubt sie ihres Verstandes, in dem er die Sinne stimuliert. Man kann zeigen, dass das Gegenteil richtig ist. Bei näherem Hinsehen wird niemand illusioniert, der sich nicht an diesem Spiel aktiv beteiligt. In Il gesù, der Jesuitenkirche in Rom, findet sich die berühmte Scheinkuppel von Pozzo. Sie „funktioniert“ nur, wenn der Betrachter sich an einen im Fußboden markierten Punkt begibt. Er wird auf diese Weise zum Komplizen einer Sehinstallation, die ihn nicht nur bei Verstand belässt, sondern gleichzeitig über die Täuschungswilligkeit seines Sehapparates aufklärt. Fast alle Illusionierungstechniken der Barockzeit haben diese Eigenschaft, dass sie die aktive Beteiligung eines Betrachters erfordern, wenn denn eine Illusion zustande kommen soll. Dekonstruktivistisch wird sie aufgebaut und wieder abgebaut. Die Botschaft ist eine ontologische: Was du siehst ist möglicherweise falsch. Gib acht, die Wirklichkeit deines Auges zeigt nicht die ganze Wirklichkeit.
Es ist nicht zu hoch gegriffen, diese Thematisierung des Sehens im Zusammenhang mit Konstitution von Wirklichkeit mit Kants Hauptgedanken zu vergleichen, der einen Unterschied macht, zwischen dem „Ding an sich“ und dem was unser Erkenntnisorganon, also Auge und Gehirn daraus machen. Wenn Bienen denken könnten, würde ihr Facettenauge ihnen eine andere Welt und Wirklichkeit liefern als die unsere.
Auf eine interessante Weise führt die Verabschiedung des Ikonenparadigmas keineswegs zur Verabschiedung der Alteritätsmarkierung. Ganz neue Möglichkeiten tauchen auf. Die Kunst von Renaissance und Barockzeit ist passager, d.h. das zentrale Sujet ist der Übergang, die Passage. Dies wird zunächst in optischen Effekten dargestellt, etwa wenn in einer Kuppel das Verschwinden gezeigt wird. Am Rand sehen wir noch harte Konturen, die dann immer weiter weich gezeichnet werden, bis die luftigen Puttenköpfe, die von Licht überstrahlt, kaum mehr als solche zu erkennen sind, und wie Wolkenflöckchen erscheinen. Das Sehen wird in die helle Blendung und damit ins Nichts gezogen. Passager sind fast alle dargestellten Themen. Meist geht es um Visionen. Da dreht sich der „himmelnde Blick“ nach oben. Sebastian und andere Heilige sehen den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes sitzen. Oft erleiden sie gleichzeitig ihr Martyrium, gehen also hin über von diesem in das andere Leben. Der Übergang von der einen in die andere Welt, das Aufsteigen auf Jakobs Himmelsleiter in einen Himmel, der aus Licht und Wolken besteht. Der besondere Reiz dieser neuen Alteritätsmarkierungen besteht darin, dass die Frage; Mit was haben wir es zu tun, mit nichts Können oder anderes Wollen, niemandem in den Sinn kommt. Wir haben es eindeutig mit Pinselvirtuosen und Bildhauern zu tun, die alles können, was es am Stein zu können gibt. Kunst wird zur Wissenschaft (Artescienza). Man bewegt sich auf höchstem handwerklichem Niveau. Interessant ist schließlich das Schicksal der frühen neuzeitlichen und barocken Alteritätsmarkierungen. Sie nutzen sich ab. Von Aby Warbourg stammt die intelligente Prägung von der „Pathosformel“. Der himmelnde Blick und die ekstatisch nach oben gestreckten Hände mögen beim ersten, der diese passagere Szene betrachten konnte, noch heftige Vibrationen ausgelöst haben. Beim 1001. himmelnden Blick hat sich der Effekt eindeutig abgenutzt.
Offenbar haben Alteritätsmarkierungen einen Zeitindex. Diesem Gedanken wohnt eine gewisse Notwendigkeit inne, die mit einem theologischen Kern zu tun hat. Gott, der ganz Andere ist in der Tat niemals ins Bild zu setzen. Andererseits gibt es sehr gute antrophologische, aber auch philosophische Argumente, die gegen einen Bilderschweigen im radikalen Sinn sprechen. Wenn Gott der ist, der da ist, dann soll er zunächst durch unsere Lebenspraxis der Nachfolge Christi anwesend gemacht werden. Dass das Wort Fleisch geworden ist, bedeutet auch, dass diese Möglichkeit jedem, der sich in die Nachfolge Jesu begibt, offen steht. Menschenfleisch ist ein möglicher Wohnort Gottes. Neben dieser Orthopraxie ist der Mensch als das „Wesen, das Sprache hat“ (Aristoteles), auch ein Wesen, das Bilder hat. Außer dem Königsweg, dass wir selbst zum Gottesmedium werden, brauchen wir auch andere Medien, Sprache und Bilder. Aber diese Bilder nutzen sich ab und reichen niemals aus. Deswegen werden die Alteritätsmarkierungen der Vergangenheit immer wieder durch neue ersetzt werden müssen. Das seltsame, aber auch seltsam reizvolle und schöne ist, dass uns die Kunstwerke aller Zeiten etwas zu „sagen“ haben.
Zur Person
Eckhard Nordhofen ist Leiter des Dezernats Bildung und Kultur im Bistum Limburg. Er lehrt Theologische Ästhetik und Bildtheorie an der Universität Gießen. Zuletzt wurde von ihm das Buch „‘Tridentinische Messe‘ ein Streitfall: Reaktionen auf das Motu Proprio ‚Summorum Pontificium‘ Benedikts XVI. (Butzon & Bercker) herausgegeben.