Religion jenseits des Religionsunterrichts?
Über die Grenzen religiöser Betätigung außerhalb des Religionsunterrichts
Schließt sich die Tür des Klassenzimmers, bewegt sich die Religionslehrkraft auf verfassungsrechtlich sicherem Boden und kann auf vielfältige Weise ihrer Sendung als Christ und durch den Bischof nachkommen. Denn innerhalb des Religionsunterrichts ist die bekenntnisgebundene Vermittlung religiöser Inhalte erlaubt, gewünscht und erforderlich. Was aber, wenn sich die Lehrkraft auch außerhalb dieses Unterrichts für das Fach engagieren möchte, wenn sie beispielsweise religiöses Werbematerial austeilen möchte, Hinweise auf spirituelle Veranstaltungen ans Schwarze Brett heften oder aktiv für den Besuch des gemeindlichen Gottesdienstes werben will? Was innerhalb des Religionsunterrichts noch durchaus von den gesetzlichen Voraussetzungen her möglich wäre, kann außerhalb regelmäßig auf Schwierigkeiten stoßen. So könnten Schüler und Eltern im Engagement der Religionslehrkraft außerhalb des Religionsunterrichts einen Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern sehen, einen Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates erblicken oder ihr Recht auf negative Religionsfreiheit einfordern. Ähnlich einem Politiklehrer, der sich innerhalb der Schule politischer Agitation zu enthalten hat, könnte auch für Religionslehrkräfte gelten, dass religiöse Aktivitäten außerhalb des Klassenraums verboten sind.
Die Religionslehrkraft befindet sich, wie andere Lehrkräfte auch, in einer Doppelrolle: Einerseits ist sie Staatsbürger, versehen mit den Rechten beispielsweise auf Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit. Andererseits ist sie aber auch Staatsbeamter und steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat. Da sie am staatlichen Erziehungsauftrag mitwirkt, wird von ihr auch ein besonderes Maß an Toleranz, Sachlichkeit und Besonnenheit gefordert. Grundsätzlich muss daher auch die Religionslehrkraft die Neutralitätspflicht des Staates beachten. Die weltanschauliche Neutralität des Staates bedeutet jedoch nicht, dass sich der Staat in religiösen Fragen in jeder Form zu enthalten hat. Die verfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes ist eben nicht laizistisch, wie beispielsweise in Frankreich, ausgestaltet, sondern enthält eine deutliche Option für das Religiöse, insbesondere auch für das Christliche.
»Die Grenzen religiöser Betätigung außerhalb des Religionsunterrichts sind großzügig zu ziehen.«
Ausgehend beispielsweise von der Präambel über die Art. 4 und 7 sowie Art. 140 des Grundgesetzes finden sich eindeutige Präferenzen für die Religion in unserer Rechtsordnung. Zahlreiche verfassungsrechtliche Ziele spiegeln darüber hinaus die Werte des Christentums wider. Die Verfassungen der Länder reichen über diese Regelungen sogar noch hinaus. Daher sind die Grenzen einer religiösen Betätigung auch außerhalb des Religionsunterrichts großzügig zu ziehen. Wie schwierig eine solche Grenzziehung im Einzelfall werden kann, zeigt sich an den rechtlichen Debatten und gerichtlichen Entscheidungen zum Kopftuch und Kreuz in der Schule.
Ob, wann und welche Informationen außerhalb des Religionsunterrichts mit religiösen Bezügen in der Schule verbreitet werden dürfen, steht aber nicht allein im Belieben der Religionslehrkraft. So regelt beispielsweise der Erlass des Hessischen Kultusministeriums vom 6. Oktober 1998 (ABl. S. 814), dass beim Verteilen von Schriften und sonstigem Material von Verbänden und Organisationen die Schulleitung zuvor zustimmen muss; Aushänge dürfen nicht gemacht werden, wenn sie mit der weltanschaulichen Neutralität unvereinbar sind. Ein Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität läge immer dann vor, wenn eine religiöse Betätigung zur Identifikation des Staates mit dem Bekenntnis führen würde oder regelrecht eine Art Missionierung darstellen könnte. Die Schule darf nicht zur Vermittlung bestimmter Glaubenswahrheiten in Anspruch genommen werden. Hier wird im Einzelfall aber auch geprüft werden müssen, ob bestimmte Informationen für Erziehung und Unterricht förderlich sind. Engagement und Werbung z.B. für freiwillige Arbeitsgemeinschaften mit religiösen Inhalten, Meditationskurse oder Eine-Welt-Aktionen usw. dürften in der Regel unproblematisch möglich sein. Ebenfalls ist die Schulseelsorge ein Angebot, das nicht gegen die Neutralitätspflicht des Staates verstößt. Insbesondere die neue Rahmenvereinbarung, die die Kirchen mit dem Land Hessen zur Gestaltung des nachmittäglichen Angebots in ganztätig arbeitenden Schulen geschlossen haben, erfordert es geradezu, dass auf solche Angebote auch hingewiesen wird und zeigt, dass außerhalb des Religionsunterrichts eine Zusammenarbeit möglich und gewünscht ist. Ein Engagement der Lehrkraft für das Fach Religion, dass mit Sensibilität vorgebracht und von entsprechendem Wohlwollen der am Schulleben Beteiligten begleitet wird, muss nicht vor den Türen des Klassenzimmers enden.
Zur Person
Walter Fischedick ist Justiziar im Kommissariat der Katholischen Bischöfe im Lande Hessen