Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Heilig-Geist-Fenster in St. Peter, Rom © picture alliance / Stefano Spaziani

"Die Basilika St. Peter ist eine Pfingstkirche"

Fundstück: Joseph Kardinal Ratzinger / Benedikt XVI. schreibt der Frankfurter Domgemeinde

Der Eulenfisch hat eine Perle gepickt! Als der jetzige Papst noch Vorsitzender der Glaubenskongregation war, schrieb er der Frankfurter Domgemeinde zum Pfingstfest 2003 einen Brief. Das Hirtenwort aus Rom, das wir im Folgenden dokumentieren, ist ein meditativ-mystagogischer Spaziergang durch St. Peter. Schlussund Höhepunkt der Betrachtung ist der Blick auf das Chorfenster mit der Darstellung des Heiligen Geistes.

Liebe Gläubige der Frankfurter Domgemeinde! Wenn ich am Morgen das Fenster meines Schlafzimmers öffne, blickt mich die majestätische Kuppel des Petersdomes an, sozusagen als mein nächster Nachbar. So gehört die Peterskirche, die einst Kaiser Konstantin über dem Grab des Apostels hatte erbauen lassen, zu meinem täglichen Leben, sie redet mich an und lädt mich ein zum Nachdenken und zum Verweilen. Am meisten liebe ich die Kirche, wenn sie ganz still ist. Dann kommt nicht nur die ganze Größe des Baues zur Wirkung. Dann spüre ich, gerade in der weiten Stille, die mich umfängt, die Gegenwart der Jahrhunderte – die Kontinuität des Glaubens. Die Prozession der Geschichte zu Gott ist von innen her anwesend. Nicht nur Vergangenheit und Gegenwart durchdringen sich hier im gemeinsamen Glauben, sondern auch die Kulturen und Sprachen aller Orte und Zeiten. Da ist Johannes Chrysostomus ebenso begraben wie Papst Johannes XXIII.; in den Grotten kann man die ganze Kirchengeschichte durchwandern. Immer wieder geht mir zu Herzen, dass da der arme Fischer aus Galiläa begraben wurde, den man – mit dem Kopf nach unten gekreuzigt – zum Spott für die Zuschauer gemacht, den man so noch im Tod mit einem niedrigen Spaß verhöhnt hatte. Seine Freunde – die allmählich wachsende Kirche zu Rom – begruben ihn und hielten die Erinnerung an dieses Grab wach, das in einem wachsenden Gräberfeld lag, in dem schließlich auch noble und stolze Gräber wuchsen. So blieb Konstantin schließlich nichts anderes übrig, als um dieses Toten willen den an sich sonst unverzeihlichen Frevel zu wagen, den Friedhof mit all seinen Gräbern einzuebnen, damit über diesem Grab eine Kirche, die Basilika des heiligen Petrus, gebaut werden konnte. Immer wieder hat der Gedanke für mich etwas Erschütterndes an sich, dass der ganze Prunk des Petersdoms über einem Armengrab steht. Könnte es ein deutlicheres Zeichen dafür geben, dass der christliche Glaube die Welt überwindet? Dass Christus, dessen Zeuge Petrus war, die Schlüssel der Geschichte in der Hand hält und ihr wahrer Herr ist? In diesem Sinn ist St. Peter ein gebautes Bekenntnis zur Auferstehung: „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen…“

Aber nun wird es Zeit, noch einmal die Kirche im Ganzen anzusehen. Sie spricht – ich sagte es schon – von der Gemeinschaft der Heiligen, die uns in den vielfältigen Bildwerken dieses Baues anreden und uns etwas vom Reichtum des Glaubens erkennen lassen. Im Leben der Heiligen sehen wir die vielfältigen Brechungen des einen unendlichen Lichts, das Gott selber ist. Jeder einzelne kann nur einen kleinen Schimmer dieses Lichts aufnehmen und in seinem Leben weitertragen. Aber all diese vielen Gestalten formen zusammen eine Symphonie des Lichts, die uns Gott näherbringt und sein Geheimnis aus seiner unfassbaren Größe herunterholt in unseren Alltag, es in ihn hinein übersetzt. Als Augustinus vor der Frage seines Eintritts in die katholische Kirche, des definitiven Ja zu ihrem Glauben stand, überkam ihn Angst vor seiner eigenen Schwäche. Werde ich das durchhalten können? Kann ich so leben? Es war ihm, als redeten ihm seine alten Gewohnheiten zu: Du meinst, du hältst es ohne uns aus? Aber dann traten vor ihn auch die Gestalten der Menschen hin, die schwach und schwierig gewesen waren wie er, aber die zu Heiligen geworden waren. Und auch sie redeten ihn an: Du solltest nicht vermögen, was diese Männer, diese Frauen konnten? Die Gemeinschaft der Heiligen nahm ihn sozusagen an der Hand – nicht die Großen, die Heroischen, die unser Maß zu übersteigen scheinen, die Gewöhnlichen, die Heiligen des Alltags: Sie führten ihn und sagten ihm: Hab keine Angst? Wirf dich auf den Herrn! Das ist die Botschaft der Heiligen in St. Peter auch an uns – die Botschaft der Gläubigen aller Jahrhunderte. Sie sagen uns, dass auch die „Heroen“ dies nur sein konnten, weil der Herr sie hielt: Petrus selber war im stürmischen See am Versinken, und nur die Hand des Herrn brachte ihn heil zum Boot zurück. Diese Szene ist ein Bild seines ganzen Lebens und des unsrigen dazu.

Nicht nur die Heiligen reden in St. Peter mit uns – der Herr selber ist da. Da ist die Sakramentskapelle, in der immer gebetet wird, weil Er immer da ist. Sie beseelt den ganzen Petersdom, der sonst leicht zu einem Museum oder einer Touristenattraktion verfallen könnte. Nur die Gegenwart des Herrn bewirkt es, dass die vielen Bilder und Skulpturen nicht eine museale Ansammlung von großen Werken der Vergangenheit sind, sondern gegenwärtige, lebendige Zeugnisse der Gegenwart Christi, die mit uns sprechen. Da sind die Altäre, auf denen das heilige Opfer gefeiert wird; da sind die Beichtstühle, in denen Menschen die Last ihres Lebens zum Herrn hintragen und die Gnade der Vergebung, einen neuen Beginn empfangen. Während in machen Teilen der Kirche das Bußsakrament zu verschwinden droht, wird hier immer gebeichtet. Wenn die Menschen sehen, dass es dies gibt, dann wird diese Möglichkeit eine heilige „Versuchung“: Man kann doch hineingehen, man kann die Dunkelheiten des eigenen Lebens, seine Verirrungen und Verfehlungen dem Herrn übergeben, sich sozusagen wie einst der Gelähmte, den seine Freunde durch das Dach zu den Füßen des Herrn herunterließen, vor ihn hinlegen und sich heilen, sich aufrichten lassen.

Wenn wir in die Peterskirche eintreten, fällt unser Blick auf die Chorwand, die die Basilika abschließt – aber es ist keine Wand, sondern ein Fenster, das den Heiligen Geist darstellt. Das Ziel der Prozession, in die uns die Kirche einlädt, ist der Blick auf den Heiligen Geist. Es scheint mir bedeutsam, dass der Petersdom in ein Fenster – ein Fenster mit dieser Bedeutung – ausläuft. Darin wird etwas vom Wesen der Kirche überhaupt deutlich: Sie ist ihrem Wesen nach gleichsam ein Fenster, Raum der Berührung zwischen dem jenseitigen Geheimnis Gottes und unserer Welt – Durchlässigwerden der Welt auf den Glanz seines Lichtes hin. Auftrag der Kirche ist es, eine sich verschließende Welt zu öffnen über sich hinaus, ihr das Licht zu geben, ohne das sie unbewohnbar wäre. So ist die Basilika St. Peter, die wir vorhin als Auferstehungszeugnis bezeichnet haben, zugleich eine Pfingstkirche. Sie zeigt uns, woher Kirche kommt und wovon sie lebt. Sie entsteht immer neu und immer nur durch das Hereintreten von Gottes schöpferischem und verwandelndem Geist in die Gemeinschaft der Menschen. Nur der Heilige Geist kann die Kirche erschaffen. Nur in der offenen Bereitschaft des Glaubens können wir Kirche werden. Wenn wir uns dann dem Fenster nähern, wird uns das Wesen der Kirche noch weiter ausgedeutet. Unterhalb des Fensters finden wir einen leeren Stuhl – die „Cathedra Petri“. Dieser Stuhl erinnert uns an ein Wort des heiligen Ignatius von Antiochien (+ ca. 117), der die Kirche von Rom als Vorsitzende der Liebe bezeichnet: Der Heilige Geist schafft Liebe und baut so Kirche auf; Liebe ist aber in der alten Kirche auch ein Wort für die Eucharistie gewesen, in der wir die Liebe Christi empfangen und in ihr zusammengefügt werden. Der Heilige Geist und die von ihm kommende Liebe bleibt nicht beim subjektiven Gefühl stehen; er schafft Gemeinschaft, schafft sie vom Leib Christi her und führt uns in diesem Leib zusammen. In all den vielen Eucharistiefeiern über die Welt hin ist es der eine Herr, der uns an sich zieht und uns so auch untereinander eins macht. Der „Stuhl“ ist aber auch Sinnbild für die Autorität des Lehrens, die dem Petrus übertragen wurde: Die Einheit hat einen Inhalt – den Glauben an Christus, den Glauben, den uns Petrus als Zeuge Christi lehrt. Und schließlich noch eins: Das Fenster des Heiligen Geistes steht nicht für sich allein da; es ist umgeben von der überquellenden Fülle der Engel, von einem Chor der Freude. Man glaubt fast, sie singen zu hören, diese Engel, und im Singen der Engel die Symphonie der Erlösung zu hören, in die der Glaube einstimmt. Johannes hat in seinem Evangelium das Wort Freude geradezu mit „Heiliger Geist“ identisch gesetzt: Der Heilige Geist ist Freude.

Wo er ist, leuchtet mitten in der Drangsal der Welt ein Licht von Gottes Freude auf. Dass diese Freude uns an Pfingsten berühre und uns zu Zeugen des Auferstandenen werden lasse – das wünsche ich Ihnen, liebe Mitglieder der Dompfarrei von Frankfurt, zu Ihrem Pfingstfest von ganzem Herzen.