Schweine, Heringe, Eulen
Drei Bände aus der Reihe Naturkunden bieten Lesefreude pur.
Ein Versprechen
Diese Buchreihe verspricht Liebe. Liebe zum Buch und Liebe zu den vorgestellten Tieren, Pflanzen, Landschaften oder Himmelskörpern. Ob die Autoren der Buchreihe dieses Versprechen halten können? Diese Frage drängt sich auf, betrachtet man die Sorgfalt, mit der diese Bücher gemacht zu sein scheinen. Fadengeheftet, mit Frontispiz und farbigem Kopfschnitt sind die Bände allein von Optik und Haptik eine Liebeserklärung an das gedruckte Buch.
Nicht zufällig kommen Autor und Thema in dieser Reihe zusammen. Holger Reschke ist schon seit seiner Kindheit in Sassnitz an der Ostsee mit der Herings-Fischerei vertraut; Desmond Morris, ehemals Kurator im Londoner Zoo, schreibt seinen Band über Eulen als Abbitte für eine blutüberströmt am Straßenrand liegende Eule, deren Bild sich ihm vor mehr als 60 Jahren in sein Gedächtnis gebrannt hat. Und auch der Autor des Portraits über Schweine, der Kulturwissenschaftler Thomas Macho, fühlt sich der von ihm vorgestellten Tierart verbunden. Vor allem als Mensch, denn genau dieser, wenn auch sehr ambivalenten, Verbundenheit und Ähnlichkeit zwischen Mensch und Schwein spürt er nach.
Schweine
Schweine sind „klug, zart, sensibel, verspielt, genusssüchtig, frech, anhänglich, gute Läufer, ausgezeichnete Schwimmer“ und „soziale Wesen“: Ein ungewöhnliches Plädoyer für das Schwein, welches im ersten Moment romantisch erscheinen mag, im zweiten Moment aber doch gut begründet und mit vielen Informationen und Fakten aufwartet. Thomas Macho erzählt kurzweilig die Kulturgeschichte dieses Tieres, dem ein nicht besonders schmeichelhafter Ruf vorauseilt, denkt man an die zahlreichen Schimpfwörter, die der Autor nicht ausspart. Von uralten Mythen über Miss Piggy und das Sparschwein bis hin zur Massentierhaltung spannt der Autor einen großen Bogen, den man im Vorfeld für unmöglich zu realisieren erachtet hätte. Besonders die Nähe zu dem Menschen wird immer wieder herausgearbeitet, sei es mit Anekdoten, dass Schweine vor Gericht gestellt wurden, oder mit verblüffenden genetischen Ähnlichkeiten.
Auch das Schwein in der Bibel, in der Literatur und in der Kunst wird besprochen. Und nicht nur in diesen Kapiteln ist das Buch sorgfältig illustriert und bebildert. Alles in allem eine Hommage an dieses intelligente und neugierige Tier, welches allerdings, auch das gehört zu diesem Portrait, in den meisten Ländern nur als Fleischlieferant gehalten wird. Weltweit werden, so Macho, pro Jahr 116 Millionen Tonnen Schweinefleisch konsumiert. Dass das Schwein als „unreines“ Tier in einigen Kulturen von der Speisekarte verbannt wurde, ist dem Leser nach dieser Lektüre eher eine Erleichterung.
Heringe
Auch Heringe haben, außerhalb ihrer Vermarktung als Speisefisch, wohl kaum eine nennenswerte Lobby. Wer kennt ihn auch schon – den Hering? Holger Reschke kennt ihn und beweist in seinem Portrait, dass Heringe alles andere als „glotzäugige Langweiler“ sind, und dass die Beschäftigung mit dem „Silber des Meeres“ durchaus erhellend ist. Großartig bebildert erzählt auch dieser Band die Natur- und Kulturgeschichte einer Art. Und auch hier kommt der Dilettant (im ursprünglichen und positiven Sinn) auf seine Kosten.
Der „Individualist im Schwarm“ wird geschildert als ein „origineller Geist, der seine Brillanz nicht in seiner Garderobe zeigen muss“. Das vermeintlich eintönige Silbergrau schimmere zudem in vielen Farben, „verteidigt“ der Autor den Hering. An diesem „schönen Fisch“ komme einfach keiner vorbei: Shakespare, Goethe, Caspar David Friedrich. Der Hering in der Literatur und Kunst ist ebenso Thema wie die Geschichte des Herings. Welche Rolle beispielsweise der Hering bei den Wikingern oder bei Feldzügen der Franzosen und Engländer gespielt hat, wird ebenso erzählt wie die Geschichte des Herings als Handelsgut, Heilmittel oder Fastenspeise.
Der Fisch mit dem hochsensiblen Sensor-Netz auf seinen Schuppen, das das Schwimmen im Schwarm ermöglicht, wurde schon seit der Jungsteinzeit verspeist. Und dieser Umstand, dass der Hering wohl seit Urzeiten einer der prominentesten Speisefische ist, scheint den Autor dazu bewogen zu haben, zehn Heringsrezepte in seinen Band zu integrieren. Dass man mitunter nur aus der Speisekarte um die Existenz dieses Fisches wusste, empfand man bis zu diesem Zeitpunkt als unerhörtes Versäumnis, das man nun endlich wiedergutmachen kann.
Eulen!
remde und geheimnisvolle Wesen. Nächtliche Räuber mit einem gespenstisch lautlosen Flug. Als Symbol der Weisheit, aber auch des Todes und des Bösen taucht die Eule in vielen Kulturen auf. Desmond Morris entwirrt in diesem ebenfalls sorgfältig bebilderten Buch das vielschichtige und zum Teil widersprüchliche Bild der Eule. Gewissermaßen ist der Leser eingeladen, mit samtweichen Schwungfedern auf der Spur der Eule durch die Jahrtausende zu fliegen.
Als Glücksbringer und Tier der Göttin Athene hat die Eule vor allem in Griechenland Karriere gemacht. Griechische Feldherren nahmen Eulen mit in den Krieg als Vorzeichen des Sieges und als Mutmacher. Und, das erzählt Morris am Rande, der US-amerikanische Präsident Theodor Roosevelt soll immer eine griechische Münze mit einer Eule als Glücksbringer dabeigehabt haben. Zwischenzeitlich war die Eule aber auch als Todesbote gebrandmarkt. Beispielsweise im römischen Reich. Auch in der Bibel werden sie als „unreine Vögel“ bezeichnet. Im Volksglauben wiederum werden der Eule bzw. deren Blut oder Eingeweide besondere Heil- und Zauberkräfte nachgesagt. Lege man beispielsweise ein Eulenherz auf das menschliche Herz, veranlasse dies den Menschen, nur die Wahrheit zu sprechen.
Der Leser erfährt, warum die Ohren asymmetrisch angeordnet sind und was eine monogame Saisonehe ist. Morris beginnt bei der Abstammungslinie der Eule vor 60 Millionen Jahren und endet bei Pablo Picasso, der sich eine Eule als Haustier gehalten hat, und Harry Potters Schnee-Eule „Hedwig“. Mit vielen Geschichten, Details und Fakten zu dieser Art gelingt Desmond Morris ein lehrreiches und unterhaltsames Eulenportrait. Mit seinem Band hat er Abbitte für die Eule am Straßenrand geleistet. Darüber hinaus haben Morris wie auch Reschke und Macho das Versprechen, das diese Reihe macht, gehalten.
In den Naturkunden erscheinen Bände über Tiere, Pflanzen, Menschen, Landschaften, Steine und Himmelskörper. Dabei porträtieren die Autoren nicht nur Tiere, die viele potentielle Buchkäufer ansprechen. Die Reihe naturkunden des Verlags Matthes & Seitz widmet auch Heringen, Schnecken oder Krähen einen eigenen Band. Und gerade diese Bände über die etwas randseitigen Arten wie zum Beispiel der Band über den Hering sind Lesefreude pur, erfährt man doch hier auf unkonventionelle Art viel Neues und Wissenswertes.