Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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Was ist dem Islam heilig?

Auch Muslime kennen den Begriff „heilig“. Aber lässt sich das christliche Verständnis von Heiligkeit unbesehen auf den Islam übertragen? Der Koran und die arabische Sprache zeigen ein vielschichtiges Verständnis von Heiligkeit auf

Ungewohnte Sichtweisen

„Heilig“ ist für Christen und im Christentum ein zentraler
Begriff. Aber wie sieht das bei Muslimen und im
Islam aus? Es erscheint naheliegend, von dem eigenen
christlich geprägten Sprachgebrauch ausgehend und
der eigenen religiösen Praxis darauf zu schließen,
dass das „Heilige“ im Islam und bei Muslimen vergleichbar
ist und dass „heilig“ deshalb direkt in das
Arabische übersetzt und übertragen werden kann.

Das ist, es sei schon am Anfang gesagt, jedoch nicht
ohne Weiteres möglich. Aber in der Suche nach dem
„Heiligen“ im Islam und in einer Antwort darauf, was
Muslimen „heilig“ ist, eröffnen sich andere, für Christen
ungewohnte Sichtweisen und es ergeben sich
spannende Einsichten.

Im Folgenden werden deshalb einige Zugänge eröffnet
und Sichtweisen zum Heiligen im Islam vermittelt.
Dabei kann und soll hier nicht der Anspruch erhoben
werden, dieses Thema umfassend und abschließend
darzustellen, sondern es soll auf Interessantes und
Erstaunliches hingewiesen werden, das vielleicht zu
weiterem Lesen, Denken, Fragen und Austauschen anregt
und ermutigt.

Heilig im Koran

Wenn von muslimischen Religionsgelehrten Sachverhalte
und Begriffe erörtert werden, dann beginnen sie
im Regelfall damit, den Koran nach seinem Wortlaut
zu befragen. Das ist naheliegend, da der Koran und
seine Botschaft für Muslime in ihrer Religion eine
zentrale Stellung einnehmen. Nach muslimischem
Verständnis ist er das unmittelbare Wort Gottes, das
der Prophet Mohammed vom Erzengel Gabriel in einer
Folge von Offenbarungen über mehrere Jahre bis
zu seinem Tod erhalten hat. Als Offenbarungstext ist
der Koran für den Glauben der Muslime der primäre
Bezugspunkt und in gewisser Weise auch der Maßstab
für das, was im Kern islamisch ist und was nicht.

Dieser Vorgehensweise der anfänglichen Befragung
des Korans schließen sich meist auch die Wissenschaftler
an, die von „außen“ häufig aus einem
säkularen Blickwinkel auf den Islam schauen, insbesondere
Islamwissenschaftler. Daher soll auch hier
der Koran als Ausgangspunkt für die Frage nach der
Heiligkeit im Islam gewählt werden. Im Koran kommen
Wörter, die auf das arabische Verb „heilig sein“
(qadusa) zurückgehen, zehn Mal und in fünf Verwendungsweisen
vor:

In der ersten Verwendung sprechen die
Engel bei Gottes Erschaffung des Menschen
davon, dass sie nur Gottes Heiligkeit preisen
und im Umkehrschluss keinen „Nachfolger“
(d. h. den Menschen) auf der Welt verehren
wollen, der Unheil anrichtet (Koran 2:30).
Die zweite Verwendung besteht zum einen
in der Nennung des „Heiligen Geistes“ (arrūḥ
al-qudus) im Zusammenhang mit Jesus,
der von Gott damit „gestärkt“ wurde (Koran
2:87, 2:253, 5:110). Zum anderen besteht sie
darin, dass der „Heilige Geist“ selbst im Auftrag
Gottes gehandelt hat (Koran 16:102).
Drittens findet sich im Koran die Bezeichnung
Gottes als „des hochheiligen Königs“
(al-malik al-quddūs; Koran 59:23, 62:1). Und
schließlich die zwei Ortsbezeichnungen „des
heiligen Tals Ṭuwā“ (al-wādī l-muqaddas
ṭuwā; Koran 20:12, 79:16) und „des Heiligen
Landes“ (al-arḍ al-muqaddasa, Koran 5:21).

Diese Zusammenstellung zeigt, dass die
Verwendung von „heilig“ im Koran auf Gott,
den „Heiligen Geist“ und auf bestimmte Orte
beschränkt ist. Aus christlicher Perspektive
ist das erstaunlich und bemerkenswert,
denn diese Koranstellen erscheinen, gemessen
an der zentralen Bedeutung des Begriffs
„heilig“ im Christenum, als zahlenmäßig
gering. Darum muss sich hier die Frage anschließen,
ob dies etwas bedeutet.

Heilig in der arabischen Sprache

Einen Anhaltspunkt bietet der Sprachgebrauch
von Muslimen, wenn sie über Inhalte
sprechen, die aus christlicher Sicht „heilig“
genannt würden. An erster Stelle stehen da
der Begriff „verboten“ (ḥarām) und die Wörter,
die von ihm abgeleitet werden. Um aber
Personen und Gegenstände spirituell, religiös,
moralisch vor allen anderen besonders
auszuzeichnen, wird beispielsweise „vornehm“
(šarīf) und „edel“ (karīm) gesagt. Das
gilt auch für den Koran selbst, der als „der
edle Koran“ (al-qurʾān al-karīm) oder dessen
Druckausgabe, die als „der vornehme Band“
(al-muṣḥaf aš-šarīf) bezeichnet wird.

Wenn hingegen von „dem Heiligen Buch“
(al-kitāb al-muqaddas) gesprochen wird,
dann meint man, und das sind dann arabisch
sprechende Christen, die Bibel. Nur im
christlich-arabischen Sprachgebrauch kann
„heilig“ unproblematisch und „direkt“ mit
dem Begriff „muqaddas“ übersetzt werden.

Im Sprachgebrauch von Muslimen hingegen
finden sich noch ein paar Begriffe,
die mit „heilig“ verbunden werden. So heißt
Jerusalem auf Arabisch „das Heiligtum“
(al-Quds), auch „das heilige Haus“ (al-bait
al-muqaddas), und Palästina „das Heilige
Land“ (al-bilād al-muqaddas). Dies sind
geographisch klar umrissene Ortsbezeichnungen.

Nur Gott ist heilig

Nun ließe sich einwenden, dass diese Analyse
zwar informativ, aber für das genauere
Verständnis der Frage nach dem Heiligen
im Islam nicht hilfreich genug sei. Deshalb
ist an dieser Stelle eine Rückbesinnung auf
den Koran sinnvoll. Dort wird an zwei Stellen
von Gott als „dem hochheiligen König“
gesprochen. Nimmt man den Verweis auf
die Aussage des Korans, dass Gott die schönen
Namen zukommen (Koran 7:180), ernst,
dann weisen sie den Weg zu einem besseren
Verständnis. In der islamischen Tradition
werden Aufzählungen dieser Namen zusammengestellt
und vergegenwärtigt, zum Beispiel
in frommen Traktaten, aber auch in der
Kunst. Sie werden häufig mit dem Titel „Die
99 schönsten Namen Gottes“ bezeichnet.

Im Koran kommt der Begriff
heilig zehn Mal vor.

Nils Fischer

In einer weit verbreiteten Aufzählung
steht der Name „der Heilige“ (al-quddūs) an
der vierten Stelle. Davor kommen an erster
Stelle „der Barmherzige“, an zweiter „der
Erbarmer“ und an dritter Stelle „der König“.
Auch wenn eingewendet werden kann, dass
diese Aufzählungen nur spirituelle Bedeutung
haben und der religiösen Erbauung
dienen, so zeigt sich dennoch deutlich der
monotheistische Kerngedanke, der die islamische
Theologie charakterisiert.

Aus diesem Grund kann festgehalten werden, dass
nur Gott im eigentlichen Sinne heilig ist. Ein weiter
gefasster Gebrauch, Vergleiche und Abstufungen werden
von muslimischen Religionsgelehrten zumeist
abgelehnt. Eine besonders strikte Tradition wendet
sich daher ebenfalls gegen das Verehren von „besonderen“
Menschen, Orten und Gegenständen. Im
christlichen Sprachgebrauch würden wir diese „heilig“
nennen. Anhänger dieser Tradition, zu der u.a. die
sogenannten Wahhabiten zählen, betonen, dass das
mit dem islamischen Monotheismus nicht vereinbar
sei, sondern einen Rückfall in den Polytheismus darstelle.
Weniger strikte muslimische Gelehrte würden
es als Volksfrömmigkeit dulden.

Heilig oder verboten?

Auffällig ist aus christlicher Sicht, dass in vielen islamischen
Texten und im Sprachgebrauch von Muslimen
der Begriff „verboten“ (ḥarām) häufig gebraucht
wird, und dies auch an Stellen und in Kontexten, wo
wir vielleicht eher „heilig“ erwarten würden.

Wenn islamische Rechtsgelehrte beispielsweise
über die Unverfügbarkeit des menschlichen Körpers
sprechen, dann verwenden sie den Begriff „ḥurma“, der
mit „ḥarām“ zusammenhängt. Er wird auf Deutsch in
diesem Kontext häufig mit dem philosophisch-rechtlichen
Begriff der „körperlichen Integrität“ wiedergegeben,
worunter häufig die Unverletzlichkeit des
menschlichen Körpers und das selbstbestimmte Verfügen
über ihn verstanden werden. In christlich geprägter
Rede würde von „Heiligkeit des Lebens“ gesprochen.
Aber im arabischen Begriff spiegelt sich
beides nicht wider, vielleicht hingegen noch am
ehesten „Unverfügbarkeit“. Denn dadurch, dass ein
Ort, Gegenstand oder eine Handlung mit dem Begriff
„ḥarām“ belegt wird, wird er beziehungsweise die
Handlung für Muslime unerlaubt, geschützt oder der
einfachen Verfügbarkeit entzogen. Zudem hat der Begriff
„ḥarām“ im islamischen Recht den Gegenbegriff
„erlaubt“ oder „verfügbar“ (halāl). Aber „halāl“ wird
von arabisch sprechenden Muslimen nicht verwendet,
wenn sie so etwas wie „heilig“ meinen.

Frömmigkeit

Obwohl Frömmigkeitspraktiken, insbesondere die der
Volksfrömmigkeit, von vielen muslimischen Religionsgelehrten
kritisch betrachtet werden, so können
sie dennoch als gelebte Glaubenspraxis bei der Klärung
der Frage nach dem Heiligen im Islam Hinweise
liefern. Denn in ihnen geht es um die Verehrung von
Personen und Dingen, die besonders sind und sich in
einem spirituellen Verständnis von dem abheben, was
alltäglich und gewöhnlich ist. Dabei geht es vielleicht
nur in den extremeren Ausprägungen nahezu um Anbetung,
im Regelfall aber um tiefere Wertschätzung
und eine innere Verbindung. Hier müssen aber verschiedene
islamische Rechtsschulen und Strömungen
im Islam unterschieden werden, wie zum Beispiel der
Schiitische Islam, das Sufitum und islamische Mystik.

Die Verwendung von heilig ist
im Koran auf Gott, den „heiligen
Geist“ und auf bestimmte Orte beschränkt.

Nils Fischer

Verehrung wird von Muslimen vor allem dem Koran,
dem Propheten Mohammed und den bedeutsamen
Orten, insbesondere Mekka, Medina und Jerusalem,
entgegengebracht. Auch wenn Moscheen und
Friedhöfe im Islam nicht geweiht werden, so sind sie
dennoch „ḥarām“, das heißt unverfügbar. In vielen islamisch
geprägten Regionen werden die Gräber von
bedeutsamen Personen, das sind u.a. Verwandte des
Propheten Mohammed und seine Anhänger, verehrt.
In einigen Gegenden, bekannt ist dafür vor allem der
sogenannte Maghreb und besonders Marokko, genießen
berühmte Gelehrte, Mystiker und Sufis über den
Tod hinaus hohe Anerkennung.

Heilig – ein vielschichtiger Begriff

Gerade Auffassungen und Konzepte der „Heiligkeit“
in der mystischen und sufischen Tradition sind daher
spannend. Aber an dieser Stelle soll dieser Hinweis
genügen. Denn schon die hier vorgestellten Zugänge
sind komplex und bedürften einer weiteren Erklärung.
»Die Verwendung von heilig ist
im Koran auf Gott, den „heiligen
Geist“ und auf bestimmte Orte beschränkt.
«
PERSPEKTIVEN
EULENFISCH
Die Frage der Heiligkeit im Islam ist keine einfache
Frage, und dies nicht erst seit unter Muslimen striktere
Sichtweisen Verbreitung gefunden haben. Diese
würden im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch
wahrscheinlich ohne Differenzierung beispielsweise
als fundamentalistisch oder islamistisch bezeichnet.

Eine große Quelle der Verwirrung besteht sowohl
für Christen als auch für Muslime in der Übersetzung
von Begriffen und Übertragung von Konzepten. So
wird aus dem „edlen Koran“ der „heilige Koran“ oder
die (Glaubens-)Anstrengung (ǧihād) „heiliger Krieg“.
Aber auch schneidige Pointen können den Blick verstellen,
wenn zum Beispiel aus dem vielschichtigen
Verhältnis von „heilig“ und „verboten“ der vorschnelle
Schluss gezogen würde, dass das „Heilige“ im Islam
das „Verbotene“ sei.

Deshalb ist das genaue Lesen und gründliche Befragen
der Texte, am besten im Original, für ein gutes
Verständnis wichtig. Wenn eine Übersetzung genutzt
wird, dann mit dem kritischen Bewusstsein für die
Distanz zum Original. Des Weiteren ist ein interessierter
Austausch und offenes Gespräch mit Muslimen
wichtig. Auf diese Weise kann das Thema „Heiligkeit“
ein guter Anlass sein, um mehr über das zu erfahren,
was Muslimen „heilig“ ist. Ein guter Ort dafür sind
interreligiöse Gespräche.