Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Bischof Dr. Georg Bätzing, Foto: Clemens Mann, Bistum Limburg

Corona und die Suche nach der künftig gewesenen Zeit

Dieser Text ist erstmalig zum Michaelstag (29.9.2020) veröffentlicht worden.

Einleitung

Wie wird man sich in künftigen Generationen, in zehn,
zwanzig, in hundert Jahren an diese langen Tage, Wochen
und Monate von Corona erinnern? Simon Strauß
hat in einer bemerkenswerten Betrachtung den Lockdown
mit der Wiedervereinigung Deutschlands vor 30
Jahren verglichen und diese Frage gestellt. Damals
ging es um Freiheit, diesmal geht es um Sicherheit.
Wie wird das gewesen sein, wenn wir einmal von der
bis dahin verstrichenen Zeit auf Abstand gebracht
worden sind? Damals Tage der Euphorie – diesmal
Tage der Angst; eigentlich unvergleichlich bis auf diesen
einen Punkt: Man wird sich immer an sie erinnern.
Die Mondlandung, der 11. September, der Mauerfall
– das sind Ereignisse, bei denen jeder weiß, wo
er da gerade gewesen ist, jeder, der „dabei gewesen
ist“. Sie sind eingraviert ins individuelle, aber auch
ins kollektive Gedächtnis, mythische Wendepunkte,
an die dann auch die Nachgeborenen noch lange denken
werden. Für die große Pandemie haben wir noch
kein solches Datum. Vielleicht kandidiert die Freigabe
eines Impfstoffes dafür, allein schon, weil alle darauf
warten – auf ein solches Datum, die erlösende Wende,
an die wir uns dann immer erinnern würden.

Schicksal und Entscheidungen

Der menschliche Geist hat die einzigartige Fähigkeit,
mitten im Präsens so zu tun, als sei man schon in der
Zukunft angelangt. Das Futur II ist das seltenste Tempus
der deutschen Grammatik und gerade deshalb
besonders wertvoll. Die Frage „Wie wird es gewesen
sein?“ ist freilich mehr als ein grammatisches Konstrukt,
denn sie erschafft eine Denkfigur, die es in
sich hat und unsere Handlungsweise schon jetzt hinterfragt.
Die Frage erzeugt mancherlei, zum Beispiel
jenen speziellen Ehrgeiz, den man gerade dem ambitionierten
politischen Personal nachsagt: den Wunsch,
einmal eine große Spur gezogen zu haben. Von dem
vorausgefühlten Eintrag in die Geschichtsbücher geht
ein mächtiger Magnetismus aus. In Goethes Drama
erwärmt sich der alte blinde Faust an der Vorstellung,
dass „die Spur von meinen Erdentagen nicht in
Äonen untergeh[t]“. Übergehen wir einmal die tragische
Pointe, dass es im Drama dann doch anders
kommt; eine solche Hoffnung kann ja auch einmal in
Erfüllung gehen. Auch wenn es nicht jedem Politiker
gelingen wird, sich in das Buch der Geschichte einzutragen,
über ihre Legislaturperiode hinaus an die
Zukunft des Ganzen zu denken, zeichnet gerade die
Besten aus. Erst recht in Schicksalstagen wie diesen,
in denen große Entscheidungen anstehen, die Mut
und Tatkraft erfordern.

„Wir sind an einem historischen Wendepunkt, an
dem es tatsächlich um das Erbe und die Zukunft Europas
geht. Corona hat Europa gespalten, wir müssen es
wieder zusammenführen.“ So oder so ähnlich konnte
man es vielfach aus der entscheidungsfreudigen Politik
hören. „Von hier und heute geht eine neue Epoche
der Weltgeschichte aus und ihr könnt sagen, ihr seid
dabei gewesen.“ Das will Goethe nach jenem anderen
Wendepunkt der europäischen Geschichte formuliert
haben, als nämlich der Feldzug der alliierten Fürsten gegen die Truppen der französischen Revolution
im Schlamm der Champagne stecken
geblieben war. Ob es auch diesmal eine neue
Epoche der Weltgeschichte werden wird,
bleibt abzuwarten, auf jeden Fall aber werden
wir alle sagen können: „Wir sind dabei
gewesen.“ Schon jetzt meinen wir den Wind
zu spüren, der den Mantel der Geschichte
bewegt.

Wird Corona einst eine entscheidende
Wegmarke für Europa gewesen sein? Und
was wird mit den besonders betroffenen und
wenig vorbereiteten Ländern der südlichen
Hemisphäre gewesen sein? Mit unvorstellbaren
Summen kämpfen nach der Vollbremsung
die nationalen Regierungen zusammen
mit der europäischen Kommission gegen Rezession
und grassierende Arbeitslosigkeit.
Es sind neben der gesundheitlichen Bedrohung
weltweit die nachhaltigsten existentiellen
Gefährdungen der Corona-Zeit. Werden
da alle mitziehen? Wird diese beispiellose
Intervention auch den erhofften Erfolg gebracht
haben? Und wird sie gleichzeitig den
großen Kurswechsel im Kampf gegen den
Klimawandel zur Bewahrung der Schöpfung
eingeleitet haben? Werden wir uns einmal
an einen Digitalisierungsschub erinnern,
der nicht durch Computerviren, sondern
durch genauso unsichtbare, aber echte Viren
in Gang gekommen war? Werden wir eine
„Kulturrevolution des Lernens“ und einen
radikalen IT-gestützten Wandel der Arbeitswelt
erlebt haben?

Was wird Corona mit der Kirche gemacht
haben? Werden Klagen und Empörung über
geschlossene Kirchentüren am Ende dazu
geführt haben, dass die Kirchen sich nach
dem Entzug wieder füllten? Ein Pädagoge
würde von einer „paradoxen Intervention“
sprechen. Ich wäre sehr dafür! Und die interessanten
neuen virtuellen Formate, die
Streaming-Gottesdienste an den Bildschirmen,
in die so viel Kreativität investiert
worden ist – was wird sich davon gehalten
haben?

Wie oft war schon der Satz zu hören:
„Nach Corona wird nichts mehr so sein wie
vorher.“ Das ruft kein einsamer Prophet aus
der Wüste, sondern ein vielköpfiger Chor von Kommentatoren. Dabei ist das Risiko, damit falsch zu liegen, nicht wirklich hoch.

Trauer und Innovation

Von diesem Gedanken ist es nicht weit zu
der vorsichtig hoffnungsvollen Erwartung,
dass überhaupt die große Krise als kraftvoller
Innovationsimpuls am Ende zu Gutem
geführt haben wird. Könnte nicht ein langgezogener
Moment der Besinnung und der
Entbehrungen das Wir-Gefühl gestärkt haben,
den Blick auf das Wesentliche gelenkt
und für den Zusammenhalt Europas sowie
die Herausforderungen des Klimawandels
die richtigen Weichen gestellt haben?

Erst einmal aber wird es schlimm gewesen
sein. Die vielen Toten! Vielleicht wird
man noch an die einsam gestorbenen Alten
von Bergamo denken oder an die Ärzte, Pflegenden
und Priester, die sich ansteckten,
weil sie den Sterbenden beigestanden hatten,
oder an eine einsame, weiß gekleidete
Gestalt, versunken im Gebet in den menschenleeren
Straßen von Rom; an nie Dagewesenes,
an ein Ostern ohne Gottesdienste,
die Einsamkeit in Altenheimen, an Künstler
und Selbständige, die um ihre Existenz
bangten, an eine Wirtschaft am Abgrund, an
Insolvenzen, verlorene Arbeitsplätze, Gewalt
in Familien, Hunger und Not in der Welt, an
eine Zeit der Masken, an das Paradox, dass
man einander nicht berühren durfte und
doch auf seltsam neue Art verbunden war.
Es wird schlimm gewesen sein. Aber wird es
nur schlimm gewesen sein? Was alles wird
es am Ende gewesen sein?

»Es gilt nach wie vor
das Mantra der Mahnung:
Abstand halten«

Georg Bätzing
Abstand und Zuversicht

Futur II – die Denkfigur, die Abstand schafft.
Von diesem Abstand geht ein seltsamer Zauber
aus. Es ist ein einzigartiger Abstand, irgendwie
irreal und ganz aus dem Kopf – aus dem Kopf, der Wirklichkeiten erzeugt, die es noch nicht
gibt, die aber auf andere Art existieren, einfach weil
sie wirken. Bevor wir diese Grammatik des Abstands
näher ins Auge fassen, muss natürlich der andere, der
lebensrettende und ganz geheimnislos konkrete Abstand
erwähnt werden, der das Hier und Jetzt regiert:
mindestens anderthalb Meter, besser mehr. Denn immer
noch liegt das Virus unsichtbar in der Luft und hat
zudem diese tückisch lange Inkubationszeit. Bei aller
Lockerung und allen Verschwörungstheorien gilt nach
wie vor das Mantra der Mahnung: Abstand halten.

Eine Mehrheit, eine lange nicht mehr gekannte
Mehrheit hatte sich anfangs hinter Angela Merkels
Appell versammelt. Das brachte in einer Republik, in
welcher der Zusammenhalt zum knappen Gut zu werden
drohte, jenes ebenso lange nicht mehr gekannte
Wir-Gefühl hervor. Das war beachtlich. Ein Kompliment
an alle, die in dieser Situation an einem Strang
gezogen haben. Es ist gut, in einer Republik zu leben,
in der es solche Tage gemeinsamer Vernunft gibt.
Wird man sich einmal dankbar an den Gemeinsinn
erinnern, an den Zusammenhalt, der über alle Parteien
hinweg spürbar war? Eindringlich wandte die
Kanzlerin sich an die Nation. Die Rhetorik der starken
Männer war ihre Sache nicht. Aber ihr Ernst und
ihre Sachlichkeit machten Eindruck. Sie, aber auch
die Minister Spahn und Seehofer und die Ministerpräsidenten
der Länder folgten im Großen und Ganzen
dem Rat der Wissenschaftler. Alles lief nicht ohne
Streit und Aufregung, aber erst einmal ganz glimpflich
ab. Bald darauf kamen nicht nur aus Bergamo,
auch aus dem Elsass, aus Spanien, Brasilien, aus den
USA die schrecklichen Nachrichten, sodann aus vielen
Ländern, in denen die Pandemie Not und Instabilitäten
extrem verstärkte. Auch in Deutschland starben
Menschen, aber nicht deswegen, weil es keine Intensivbetten
und Beatmungsgeräte gab. Und es waren im
Vergleich deutlich weniger als anderswo. Eine Insel
der Seligen war das nicht, aber doch deutlich weniger
unselig als sonst auf dem Globus.

Woran wird man sich erinnern? An das lauter werdende
Stimmengewirr, das dann folgte? An die Rückkehr
des normalen demokratischen Streits? An Ungeduld
und Unruhe? An die Überlagerung der Themen,
den globalen Aufstand gegen Rassismus?

Zeit und Anfang

Blicken wir nun noch einmal genauer auf
das Mysterium der Zeit. Bevor ich mich wieder
meinem leitenden Gedanken, dem großen
Tempus, dem Futur II oder „Futurum exactum“,
zuwende, muss die Zeit im Ganzen,
die ganze Spanne zwischen Alpha und Omega,
von der niemand weiß, wie groß sie ist,
aufgerufen werden. Wenn es um das Mysterium
der Zeit geht, gehört der Blick in die
Vergangenheit unbedingt dazu.

Marcel Proust hatte mit seinem siebenteiligen
Roman „Auf der Suche nach der
verlorenen Zeit“ der untergegangenen Welt
seiner Kindheit und Jugend ein Denkmal
gesetzt. Darin sollte aufgehoben sein, was
längst untergegangen war. Wenigstens hier
sollte das gelebte Leben überleben. Würde
ihm die Zeit dann nichts mehr anhaben können?
Ein wehmütiger Rettungsversuch vor
den Taten der Zeit – er war am Ende doch
vergeblich. Aufgehobene Zeit – kann es das
geben? Für Ernst Bloch und nicht nur für
ihn ist „Heimat“ das, „was allen in die Kindheit
scheint und worin noch niemand war“.

Der unerbittliche Zeitpfeil zeigt nur in
eine Richtung und er wird uns alle einmal
tödlich treffen. Dass wir das wissen, stellt
uns, stellt jeden Menschen vor die große,
vielleicht die größte aller Fragen: Es ist die
Frage nach Tod und Leben, die Frage nach
der künftig gewesenen Zeit. Als Christinnen
und Christen setzen wir auf das Versprechen
von Ostern, einmal bei Gott zu sein, in der
aufgehobenen Zeit, ihn zu schauen, nicht
mehr nur wie in einem Spiegel und in rätselhaften
Umrissen, sondern ihm gegenüber,
vis-à-vis, „von Angesicht zu Angesicht“ (1
Kor 13,12).

Zu dem reichen Erbe, das wir Israel verdanken,
gehört sein einzigartiger Umgang
mit der Zeit. „Bereschit“, „Im Anfang“ lautet
das erste Wort der hebräischen Bibel (Gen
1,1). Schon dieser Begriff sprengt unsere
Vorstellungskraft. Wenn wir fragen: „Was war vor dem Anfang?“, haben wir dieses große Alpha
nicht ernst genommen. Dieser Anfang war nicht ein
Anfang von etwas, es war der Anfang von allem. Gott
war, er ist vor der Zeit. Er hat sie erschaffen. Im Buch
Genesis folgt nach diesem buchstäblich unvorstellbaren
Auftakt das feierliche Schöpfungslied der sechs
Tage und dann heißt es: „Am siebten Tag vollendete
Gott das Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am
siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk gemacht
hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte
ihn“ (Gen 2,2–3).

Was für ein Bild! Erstmals in der Religionsgeschichte
hatte der Kosmos ein Gegenüber, das ihn anschaut.
Schon Pharao Echnaton (Regierungszeit etwa
1351–1334 v. Chr.) hatte die Sonne als einzige Gottheit
verehrt, aber die Sonne war immer noch ein Teil des
Kosmos, der spektakulärste vielleicht, aber doch ein
Teil der sichtbaren Welt. Im Buch der Genesis heftet
sie der Schöpfer als eine Lampe ans Firmament.

Auch den Menschen trifft der segnende Blick des
siebten Tages. Als „sein Bild“ hatte Gott ihn erschaffen.
„Männlich und weiblich erschuf er sie“ (Gen 1,27).
Dann aber der Tag der Ruhe. Was für eine erhabene
Ruhe! Es ist die Ruhe nach der Vollendung, sie kommt
aus dem Jenseits der Zeit und wird nun eingelassen
in den Takt der Tage. Der Sabbat, das Zeitdenkmal der
Differenz zwischen der Arbeitswelt der Zwecke und
dem Übernützlichen. Die Ruhe Gottes, den großen
Sabbat, feiert Israel bis heute an jedem siebten Tag.

Der Tag ohne Arbeit ist das Geschenk Israels an
die Menschheit. Der Takt der Tage, die Woche, ist
seine von Gott verfügte Erfindung. Wie Gott auf seine
Schöpfung, kann nun auch der Mensch auf seine
Arbeit blicken, auf die schon getane und auf die, die
er noch vor sich hat. Arbeiten heißt Zwecke verfolgen.
Am Sabbat, in der aus dem Kontinuum der Zwecke herausgehobenen
arbeitsfreien Zeit, wird der Mensch
zwar zu einer Art Nachahmer des ruhenden Schöpfers,
dafür dankt, lobt und preist er ihn. Aber nachparadiesisch
weiß er auch, dass die letzten Zwecke ihm
vorenthalten sind. Die Schlange im Paradies hatte die
Kenntnis von Gut und Böse versprochen, aber sie hatte
gelogen. Wenn wir darüber nachdenken, verstehen
wir ein wenig vom Zusammenhang von Vorenthaltung
und Heiligkeit.

Dann aber entdecken wir das Sabbatparadox, den
seltsamen Nutzen des Übernützlichen. Ein Mensch,
der sich ausruht und nicht schläft, reflektiert, überprüft:
Was war gut, was schlecht? Vielleicht macht er
Pläne. Der Sabbat wirkt. Auch am Tag des Herrn ticken
die Uhren weiter. Wann werden die Ökonomen
und Lobbyisten des Einzelhandels endlich merken,
dass sich Unterbrechung und Auszeit auf lange Sicht
sogar rechnen?

Vom alten Israel ist viel über das Wesen der Zeit
zu lernen. Am Sederabend, dem Höhepunkt des jüdischen
Pessachfestes, versetzt sich die um den Tisch
des Festmahls versammelte Hausgemeinschaft von
einer auf die andere Sekunde zurück in das Sklavenhaus
Ägypten: „Das ist heute“, so heißt es im liturgischen
Text. Zwölf Söhne hatte der Stammvater Jakob,
zwölf Stämme das Volk Israel und mit zwölfen seiner
Jünger hat dann auch Jesus das Ostermahl gehalten.
Seinen nahen Tod ahnt er voraus und er nimmt das
ungesäuerte Brot der Freiheit, das an den Exodus,
die Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten, erinnert.
Brot war seitdem zum großen Sinnträger Israels
geworden. Um das Brot Gottes für jeden Tag zu bitten,
das hatte Jesus die Seinen schon im Vaterunser
gelehrt: „Unser tägliches Brot gib uns heute“, damit
war mehr gemeint, als eine Magenfüllung. Und nun
spricht er. „Das ist mein Leib“, bricht das Brot, verteilt
es und erklärt es zu einer Nahrung, die im Mittelpunkt
eines neuen Erinnerungsmahls stehen soll: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Wir tun es seitdem
jeden Sonntag. Mit diesem zweckfreien Tag ohne Arbeit
stellen auch wir uns in die Tradition des Sabbats.

»Wie wertvoll ist doch der Blick
aus der künftig gewesenen Zeit«

Georg Bätzing

Vielleicht ließen sich Corona, der Lockdown, die
langen Tage und Wochen danach wegen der zugegeben
höchst unfreiwilligen, aber doch offensichtlichen
Verwandtschaft mit dem Sabbat tatsächlich aus der
Perspektive der künftig gewesenen Zeit im Auge behalten?
Ein tödliches Virus ist schrecklich. Ob Corona
aber auch einmal für etwas gut gewesen sein wird,
liegt auch an uns.

Zusammenhalt und Erinnerung

An die tiefgehende Erfahrung einer großen Unterbrechung
werden wir uns mit Sicherheit immer erinnern.
Wie wäre es, wenn wir dieser Erinnerung in den kommenden
Jahren in unserem Land Form und Gestalt gäben?
Ein interreligiöser Feiertag, ein Sabbat-Tag der
Besinnung wäre gut für Deutschland. Judentum, Christentum
und Islam stehen in einer gemeinsamen
Über den Autor
Dr. Georg Bätzing, Bischof von Limburg, ist seit 2019
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.
Tradition der wöchentlichen Unterbrechung im Takt
der sieben Tage. Den Juden ist der Samstag heilig,
unseren muslimischen Landsleuten der Freitag, uns
Christen der Sonntag, der Tag der Auferstehung Christi.

Deutschland, wirtschaftlich höchst erfolgreich,
aber manchmal kurzsichtig, hat den evangelischen
Christen ihren Buß- und Bettag genommen. In einer
Zukunft, die bedroht ist durch Segmentierung und
Spaltungen, wird alles kostbar, was den Zusammenhalt
fördert. Wäre ein solcher Tag des Wir-Gefühls
und der Besinnung für Gläubige und Ungläubige nicht
ein wunderbares, heilendes Zeichen? Wie wertvoll ist
doch der Blick aus der künftig gewesenen Zeit!

Das Futurum exactum übt uns ein in den göttlichen
Blick des siebten Tages. Als höchst fehlbare Menschen
leben wir vom göttlichen Atem, den Adam von seinem
Schöpfer empfangen hat. Er öffnet uns das Mysterium
der Zeit und macht, dass wir heute schon, wenn
auch nur „wie in einen Spiegel“, auf das blicken können,
was einmal gewesen sein wird. Es kann alles enthalten,
unsere ganze Wirklichkeit, zu der auch gehört,
dass wir uns ausstrecken über die Grenzen des physischen
Lebens hinaus.