Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Hans Artmann, Familie Wolf, Pfarrer Andreas Fuchs - Fotos: Andreas List

Kreativ in der Krise

Sechs außergewöhnliche Projekte zeigen, wie Menschen mit ungewöhnlichen Ideen dem Virus trotzen und dabei Freude und Hoffnung schenken

Vergängliche Kunst auf Litfaßsäulen - Hans Artmann porträtierte Bürger seines Stadtteils

Als Hans Artmann um Ostern 2020 herum anfing, Litfaßsäulen
im Koblenzer Süden zu bemalen, erweckte
dies schnell die Aufmerksamkeit in der Nachbarschaft.
Wer war der Künstler? Wer waren die Menschen, deren
Porträts zu sehen waren? Was war der Sinn dieser Aktion?
Es gab nicht wenige, denen erstmals bewusst wurde,
wie viele Litfaßsäulen es in der Koblenzer Südstadt
gibt. Wie achtlos war man an ihnen zuvor vorbeigegangen.
Vielleicht hatte man das ein oder andere Plakat
zur Kenntnis genommen. Aber die Säulen selbst? Und
so viele? War man zuvor blind gewesen?

Nun standen sie da. Ohne Plakate. Ohne Werbung.
Ganz weiß hatte man sie gestrichen, wie um zu unterstreichen,
dass nun für lange Zeit keine öffentlichen
Veranstaltungen stattfinden würden. Das Corona-Virus
hatte das Leben, das auf den Säulen beworben
wird, zum Erliegen gebracht. Kein Konzerte. Keine
Ausstellungen. Keine Messen. Keine Märkte. Nichts,
auf das man aufmerksam machen müsste. Nackt standen
sie da, fast steril, ganz unschuldig, aber auch leer,
traurig, irgendwie ohne Sinn. Wozu wäre eine geweißelte
Litfaßsäule gut? Bunt soll sie sein, grell, farbig,
ein Hingucker.

Doch so, wie es ein beredtes Schweigen gibt, kann
auch die Leere bedeutungsvoll sein. Sie entsprach
der Zeit um Ostern 2020, als das ganze Land, ja, der
Kontinent und viele andere Teile der Welt heruntergefahren
waren. In ihr äußerte sich die Traurigkeit,
die Verzweiflung und die Angst vieler Menschen. Wie
immens vergrößerte medizinische Instrumente standen sie da, stumme Zeugen in einer Welt, die zu einer
erzwungenen Ruhe gekommen war und auf die Bildschirme
gebannt die Zahlen der Infizierten, Toten und
Genesenen verfolgte. Zu Mahnmalen waren sie geworden:
Nichts ist in Ordnung, so schienen sie zu sagen.
Fürchtet Euch, flüsterten sie. Nichts wird sein, wie es
einmal war, ließen sie sich vernehmen.

Und dann plötzlich, wie aus dem Nichts, ein erstes
Bild. Und ein zweites hier. Ein drittes dort. Ein viertes,
ein fünftes und noch viel mehr an allen möglichen
Orten. Verwundert rieb sich die Südstadt die Augen.
Was war da über Nacht geschehen? Nein, Werbung
war dies nicht. Es waren auch keine abstrakten Graffiti.
Erst recht wollte niemand etwas verunstalten
oder zerstören. Ganz im Gegenteil: Etwas berührend
Schönes zeigte sich da: Menschen, ganz verschiedene,
keine Typen, sondern konkrete Individuen. Nachbarn,
die man kannte, schon einmal auf der Straße gesehen
hatte oder von denen man sich zumindest vorstellen
konnte, dass sie um die Ecke oder am Ende der Straße
wohnten. Vielleicht würde man bald dem ein oder
anderen begegnen. Man könnte sie ansprechen. Ob
man richtig gesehen habe? Man habe sich doch nicht
getäuscht – oder? Was das eigentlich solle? Und wie
sehr es einem gefalle: Da lief man gedankenverloren
durch die einsamen Straßen – und dann ein Bild, das
einem ein Lächeln auf die Lippen zauberte und das
einen ansprach und in den Bann zog. Man war nicht
alleine. Etwas tat sich. Ja, etwas ereignete sich hier
vor aller Augen.

So wurden diese Porträts schnell zu einer
öffentlichen Kunst. Sie konnten betrachtet
und fotografiert werden. Man musste keinen
Eintritt zahlen, keine Schwelle zu einem heiligen
Musentempel überschreiten. Und doch
waren sie etwas ganz anderes als Kunst im
öffentlichen Raum – was ja nicht selten ein
Verlegenheitsterminus für jene Objekte ist,
die kunstsinnige Städteplaner auf Plätzen,
Einkaufsstraßen oder sonst wo aufstellen
lassen. Es gab keinen öffentlichen Auftrag
für Artmanns Werke. Sie wurden zunächst
geduldet, dann aber von der Öffentlichkeit
begeistert angenommen.

Die Bilder von Artmann waren nicht einfach
in der Öffentlichkeit zu sehen. Sie stifteten
eine ihnen eigene Offenheit, ein Koordinatensystem,
das neu orientiert und in dem
Menschen sich sammeln, einander begegnen
und miteinander sprechen können. So lernte
ich Hans Artmann auch kennen – nicht einfach
auf der Straße, sondern in dem Raum,
den er durch seine Werke eröffnet hatte. Jahrelang
waren wir Nachbarn, doch erst angesichts
seiner Porträts begegneten wir uns.

Diese durch die Kunst selbst geschehende
Eröffnung – neue Möglichkeiten, neue Perspektiven,
neue Begegnungen – war in Zeiten
des Lockdowns besonders wichtig, ja, es war
eine Gegenbewegung zu der Radikalität, mit
der das öffentliche, das gemeinsam geführte
Leben zum Erliegen gekommen war und
Menschen sich ins Private zurückziehen
mussten. Artmann holte nämlich Menschen
wieder nach draußen: Wie Stellvertreter
standen sie da auf ihren Litfaßsäulen, unsere
Nachbarn aus der Südstadt, für uns, die
wir nun zuhause blieben, um uns und andere
zu schützen, für alle, die nicht mehr wagten,
ihr Haus zu verlassen, für die vielen, die
voller Angst nur schnell ihre Einkäufe erledigten.
Sie standen da, auf ihren Säulen, sie
grüßten uns, sie lächelten uns zu, sie ließen
uns an ihren Zweifeln und Nöten teilhaben.
Diese Stiftung von Öffentlichkeit ließ sich
nicht vorhersehen. Sie ließ sich vom Künstler
auch nicht planen. Sie ereignete sich,
ohne dass man darüber hätte verfügen können.
Plötzlich tauchte da etwas auf. Plötzlich
zeigte sich etwas, das weit über Koblenz hinaus Menschen ansprach und anzog. Wenn man
jetzt zurückblickt, kann man sagen: Die Idee stimmte.
Die Ausführung auch. Aber am wichtigsten war wohl,
dass auch Ort und Zeit stimmten. Stimmig war es an
diesem Ort, zu dieser Zeit.

Es war auch stimmig, dass all diesen Porträts –
nicht nur dem Skelett – die Vergänglichkeit und Endlichkeit
eingeschrieben ist. In ihnen wurde nichts
verewigt. Zerbrechlich sind sie, Weggefährten auf
Zeit. An unsere eigene Vergänglichkeit erinnern sie
uns, an unser Menschsein, das eben immer endlich,
immer begrenzt, immer zerbrechlich ist. Form und Inhalt
stimmen überein. Der vergängliche Mensch – im
vergänglichen Gewand einer Kunst, die nicht bleibt,
sondern vergeht, die erst langsam blasser wird, bis
sie gar nicht mehr erkennbar wird und schließlich
überklebt wird. Eine neue Schicht, andere Bilder, neue
Botschaften.

Das ist gut, sehr gut so. Denn die Vergänglichkeit
der Werke lässt auch hoffen: dass wie die Farbe blass
werden würden, auch die Kraft des Virus abnehmen
würde; dass, wie neue Schichten sich auf die Bilder legen
würde, auch die Ängste eines reduzierten Lebens
in den Hintergrund geraten würden und dass, wie die
Bilder in ihrer Schönheit irgendwann einmal nur noch
in der Erinnerung gegenwärtig sein würden, die Menschen,
die sie zeigen, wieder präsent sein würden: sie
selbst, mit ihren Stimmen, ihren Blicken, ihren Bewegungen,
und nicht ihr Bild.

So sind Artmanns Bilder Trostbilder: In einer Zeit
der Leere trösten sie über das, was fehlt, hinweg. Und
sie sind zugleich Hoffnungsbilder: In Wochen der
Angst lassen sie erahnen, dass einmal wieder Menschen
die Straßen bevölkern werden. Für eine bestimmte,
eine sehr kurze Zeit nur sind sie zu sehen
gewesen Dann verschwanden sie so, wie sie in unser
Leben getreten waren. Das Leben wird weitergehen.
Wie schön, wie tröstend kann Vergänglichkeit sein.

(Ein Text von Holger Zaborowski)

Ostern vom Balkon - Ein ökumenischer Flashmob im Kannenbäckerland

Frau Wolf, wer kam auf die Idee, von Türmen und Orten
im Stadtgebiet Osterlieder auf Blechblasinstrumenten zu
spielen? Und warum haben Sie da mitgemacht?

Es handelte sich ursprünglich um einen Aufruf der
Evangelischen Landeskirche Hannover zusammen mit
dem Posaunenwerk Hannover und dem Evangelischen
Posaunendienst Deutschlands. Es wurde zu einem
Flashmob "Ostern vom Balkon" aufgerufen, zu dem
der Choral "Christ ist erstanden" gespielt werden sollte.
Das ZDF hat diesen Aufruf aufgegriffen und an den
Schluss des Fernsehgottesdienstes aus der Evangelischen
Kirche Ingelheim den Choral gesetzt. Der Leiter
des evangelischen Posaunenchores Höhr-Grenzhausen,
Herr Frank Schneider, hatte uns eingeladen, an
dieser Aktion teilzunehmen. Für uns war das schon
aus ökumenischer Verbundenheit selbstverständlich,
mein Mann und ich haben jahrelang in evangelischen
Posaunenchören als katholische Christen mitgespielt.

Welche Osterlieder wurden gespielt?

Direkt nach dem Fernsehgottesdienst haben wir mit
unseren Kindern Henriette und Xanten (damals noch
9 und 11 Jahre) mit dem Musizieren vom Kirchturm
der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Höhr
begonnen. Es gab acht Standorte im Stadtteil Höhr
und zeitversetzt später mit Standortwechsel nochmals
sechs Standorte in Grenzhausen. Gespielt wurden
jeweils „Christ ist erstanden“ EG 99, „Gelobt sei
Gott im höchsten Thron“ EG 103, „Auf, auf mein Herz
mit Freuden“ EG 112, „Er ist erstanden-Halleluja“ EG
116 und „Der schöne Ostertag“ EG 117. Während des
Standortwechsels der anderen Bläser verblieben wir
auf dem Kirchturm und überbrückten die Zeit mit einigen
weiteren Osterliedern und Chorälen, darunter
„Das Grab ist leer“ GL 779, „Christus ist erstanden“
GL 778, „Fest soll mein Taufbund“ GL 862, „Freu dich,
erlöste Christenheit“ GL337 und „Großer Gott“ GL 380.

Gab es im Shutdown gemeinsame Proben bzw. wie haben
Sie sich organisiert?

Gemeinsam proben durften nur diejenigen, die einem
gemeinsamen Haushalt angehören. Dass zwei Bläser
aus einem Haushalt stammten, kam vor, aber die Konstellation
"Vier Bläser aus einem Haushalt", und das
bei gleichmäßiger Stimmverteilung, war ein Privileg für uns als Familie, das es uns gestattete,
gründlich zu üben und
dann auch eng beieinanderstehend
die Galerie des Höhrer Kirchturms
zu nutzen. Für die Klangentfaltung
über das Städtchen war dieser
Standort natürlich sehr gut. Die
eigentliche Leistung aber war die
genaue Planung und Organisation,
die der Leiter des evangelischen
Posaunenchores Höhr-Grenzhausen
im wesentlichen mit Hilfe digitaler
Medien übernommen hatte.
Neben den zeitlichen Abläufen waren
auch die besten Standorte zu
suchen und zu finden. Da hat die
Evangelische Kirche Höhr-Grenzhausen
mit Pfarrerin Christ und
Pfarrer Neuesüß mit Erfolg viel
Aufwand betrieben.

Welches Fazit würden Sie ziehen?

Die Aktion war für die ganze Familie
aufregend und spannend. Es
ist immer gut, wenn man als Familie
gemeinsam etwas unternimmt
und zustandebringt, obendrein
auch noch andere Menschen damit
erfreut und fast so ganz nebenbei
ein ökumenisches Signal setzt.

Waren die Auftritte eine einmalige
Aktion oder geht es damit weiter?

Gerne würden wir auch in diesem
Jahr Weihnachten vom Turm
spielen. Bislang ist seitens der
Evangelischen Landeskirche Hannover
keine überregionale Aktion
geplant. Unsere Pfarrei sammelt
derzeit aber schon Vorschläge.

(Das Interview führte Martin W. Ramb)

Ein freier Stuhl am Wegesrand - Pfarrer Andreas Fuchs ist für die Menschen da

Herr Pfarrer Fuchs, sie saßen jeden Tag von 16 bis 18 Uhr
neben der Kirche St. Johannes Nepomuk in Hadamar und
hielten ein „Pläuschen“ mit Passanten, die vorbeikamen.
Wie lief es?

Sehr gut! Ich saß während des Lockdowns mit einer
Ausnahme täglich hier und war eigentlich nie fünf
Minuten allein. Es war eher so, dass ich manche leider
nochmal auf eine Runde schickte hier im Carré
oder auf die Wartebank vertrösten musste. Die Menschen
kamen vom Einkauf und der Arbeit oder blieben
einfach mal mit dem Auto stehen und kurbelten die
Scheibe runter. Ansonsten war hier ein Stuhl bereitet,
auf dem man Platz nehmen konnte.

Gab es besondere Begegnungen?

Mehrere. Und auch einige, die sich langsam angebahnt
haben. Da ist mir besonders eine Dame in Erinnerung.
Als ich ihr das erste Mal „Guten Tag“ sagte,
als sie hier vorbeiging, hat sie die Straßenseite gewechselt
und war ganz erschrocken, dass sie jemand
ansprach. Beim zweiten Mal blieb sie dann auf der
Straßenseite. Wieder ein paar Tage später hat sie gefragt:
Warum sitzen Sie eigentlich hier? Beim vierten
Mal war sie mit einer Freundin unterwegs und unterhielt
sich so, dass ich es mitkriegen musste. Wieder
ein paar Tage später hat sie auf dem Stuhl Platz genommen
und fing an, mir ein Stück ihrer Krankheitsgeschichte
zu erzählen und sich zu öffnen. Ich kannte
die Frau vorher nicht. Wir haben uns langsam angenähert
und schließlich hat sich ein seelsorgliches Gespräch
entwickelt. Es kommt aber auch vor, dass man hier ein Gespräch anfängt und dann vertagen muss
von der Straße, wo jeder zuhören kann, in den Pfarrgarten
oder auf die Ruhebank weiter hinten. Ich habe
hier auch schon Beichtgespräche vereinbart. Im Grunde
sind es oft die gleichen Themen, die die Menschen
auch sonst beschäftigen, nur hat man sich vor oder
nach dem Gottesdienst oder am Rande von Sitzungen,
Begegnungen, Treffen oder Wallfahrten gesprochen.
Ich habe aber gleich am Anfang gemerkt, dass sich die
Leute ein Stück in Isolation oder wie in einem Gefängnis
fühlten und sie wirklich froh waren, dass man ihnen
„Guten Tag“ sagt und sie wissen, dass da jemand
verlässlich jeden Tag sitzt.

Nun ist es wieder möglich, Gottesdienste zu feiern.
Wandern Stühle und Tisch jetzt wieder in den Pfarrgarten?

Ich freue mich natürlich riesig, dass wir wieder
mit Menschen Gottesdienst feiern. Eins ist mir aber
auf jeden Fall wichtig geworden, dass wir als Kirche
niederschwellige Angebote brauchen, bei denen Menschen
an uns rankommen können. Es sind eben auch
Menschen hier, die nur zum „Guten Tag-“ oder „Hallo-“
Sagen kommen oder eine kleine Geschichte erzählen
wollen. Viele hätte ich nicht getroffen, weil sie nicht
zum Gottesdienst kommen. Ich muss überlegen, wie
das weitergehen kann. Ich glaube zwar nicht, dass
es im Normalrhythmus klappen wird, jeden Tag zwei
Stunden hier zu sitzen. Aber ich will diesen Gedanken
des freien Stuhls in die Zeit nach Corona rüberretten.

(Das Interview führte Caroline Wagner im Mai 2020.)

#60SekundenBibelCover - Lena Beuth: Ein Podcast zum Sonntagsevangelium

Frau Beuth, sie haben das Format #60SekundenBibelCover
ins Leben gerufen. Seit wann gibt es dieses Projekt?

Das Format gibt es seit dem 5. Fastensonntag dieses
Jahres (2020) und ist auf dem gleichnamigen You-
Tube-Kanal zu finden. Jeden Sonntag werden dort,
passend zum Sonntagsevangelium, Videos hochgeladen,
in denen ich verschiedene Gedanken zum Text
teile. Diese Videos sind in der Regel 60 Sekunden lang.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Besonders in Zeiten von „Corona“ war es mir wichtig,
die Schrift als frohe Botschaft in den Alltag der
Menschen zu bringen. Ich sah viele, viele Menschen,
die aus unterschiedlichsten Gründen alleine/einsam
waren und immer noch sind. Ich selbst war ja auch,
wie jeder, zuhause. Das Gefühl, auf dem menschlichen
Boden der Tatsachen angekommen zu sein, war dabei
für mich ein intensiver Wendepunkt in dieser Zeit. Wir
alle haben eine tiefe Verantwortung füreinander, und
so überlegte ich mir, wie es von hier aus möglich sein
könnte, zu den Menschen zu kommen, die ich physisch
nicht besuchen konnte.

Was möchten Sie mit dem Bibelcover erreichen?

Ich möchte mit den Bibelcovern weniger einen 60-sekündigen
„Lehrvortrag“ als vielmehr einen 60-sekündigen
Augen-Blick der Freude und Kraft durch die
Schrift bewirken. So bieten meine Gedanken einen
möglichen Zugang zur Schrift und versuchen auch
schwierige Sachverhalte in den Texten in einfachen,
kurzen und menschennahen, bildlichen Worten zu
vermitteln. Dabei arbeite ich weniger exegetisch (also
das, was die Theologen aus wissenschaftlicher Seite
über und mit einem Bibeltext erforschen), sondern
viel mehr aus spiritueller Intuition heraus.

Ein Schulteich im Lockdown - Wie in der Frankfurter Leibnizschule ein kleines Paradies entstand

Die Rolling Stones hatten es mal wieder auf
den Punkt gebracht: I´m a ghost – living in
a ghost town. Genauso fühlte sich der Lockdown
auch im Frankfurter Westen an. Auf
den Straßen herrschte eine fast unheimliche
Stille, lange Schlangen entstanden vor den
Lebensmittelgeschäften und Drogerien, wo
nun strengste Hygienerituale eingefordert
wurden. Das Gebäude des Mittelstufengymnasiums
Leibnizschule war verwaist wie
sonst nur in den großen Ferien. Nur war
die Atmosphäre jetzt völlig anders, nahezu
gespenstisch. Wie ging es all den Schülern?
Was war mit den Kollegen, kamen die Eltern
mit ihren neuen Aufgaben und unfliehbaren,
völlig andersartigen Tagesroutinen zurecht?
Anfang Mai ein Lichtblick! Die Schüler und
Kollegen kehrten zurück, allerdings in Sonderbesetzung,
nur die Hauptfächer wurden
unterrichtet, nur halbe Klassen, strikte
Wegeführung, Sitzpläne und Masken. I´m a
ghost ... man sah nur noch die Augen, verstand
kaum, was überhaupt gesagt wurde.
Was tut man als Religions- und Ethiklehrerin
in so einer Situation? Angst, Distanz,
Einsamkeit, Überforderung. Das sind die
allgegenwärtigen Kennzeichen des sozialen
Lebens. Doch es gilt: Gegen alle Hoffnung
auf Hoffnung hin leben. Nur ein lebendiges
Zeugnis kann hier den Blick auf eine neue
Zuversicht in eine positiv gestaltbare Realität
öffnen.

Wenn in den letzten 30 Jahren 75% aller
Insekten verschwunden sind, dann reichen
Demonstrationen nicht aus. So hatte 2019
die ganze Schule erfolgreich an einem Wettbewerb
der Sparda-Bank teilgenommen.
3600 Clicks wurden insgesamt in 4 Wochen
für "unser" Projekt generiert. Schüler, Eltern,
Kollegen, Freunde und Verwandte wollten
ein Teichbiotop auf dem Schulgelände anlegen,
endlich Wasser und Bienenpflanzen
statt vertrockneter Rasenflächen. Man kann
die Welt nur analog retten.

Aber ein Gartenprojekt in Coronazeiten mit Schülern
realisieren? Da gab es zunächst ein klares Nein.
Also nahm ich Spaten, Schaufel, Spitzhacke und meinen
Mut zusammen und fing am 18. Mai an, zu graben.
Die Elekroleitung brauche "23m in 60 tief", sagte der
Fachmann. Nun, wenn der Segen drauf liegt, würde
das schon funktionieren, sagte ich mir. Die Schüler
und Kollegen verfolgten aus den Fenstern der vielen
Klassenräume skeptisch und neugierig mein Tun.
Nach einigen Tagen kamen die ersten Nachfragen der
Kolleginnen und Kollegen. Ob man nicht helfen, mitmachen
könne? Es wurden einstündige Arbeitseinsätze
verabredet. Manche kamen auch mehrmals.

Als die Teichwanne eingepasst wurde und die Wasserpumpe
das erste Mal plätscherte, gab es ein ungläubiges
Staunen, dann leuchtende Kinderaugen, viel
Ah und Oh aus den Fenstern. Selbst die älteren Schüler
nickten und riefen anerkennende Worte. Es wird ja
wirklich ein Teich! Und dann standen da auf einmal
Ayman und Moussa vor mir. Ersterer ein Inklusionsschüler
aus der 5. Klasse, letzterer sein Inklusionshelfer
seit der 2. Klasse. Ob sie mitmachen könnten? Die
Augen blickten erwartungsfroh und sehnsüchtig über
den Masken. Ein Nein kam hier nicht in Frage. Ayman
sammelte sorgfältig die großen Steine, die die Spitzhacke
zutage gefördert hatte, positionierte sie neben
dem Teich zum zukünftigen "Eidechsenhügel", Moussa
pflanzte die Bienenweidenrosen.

Bei der "Teichtaufe" kamen nach 16 Tagen Bauzeit
die 16 Helfer, die Schulleitung und die Elternvertreterinnen
aus dem Förderverein mit großer Freude
über das gelungene Projekt zu einer kleinen Feier mit
Brot und Wein am Teich zusammen. Fische wurden im
Teich ausgesetzt, jede Regenbogenelritze trägt fortan
den Namen der Helferinnen und Helfer. Ayman ist
glücklich, erzählt seinen Mitschülern stolz vom Fisch,
der seinen Namen trägt, und dass er ganz allein den
"Eidechsenhügel" gebaut habe. Eine kleine paradiesische
Landschaft ist entstanden, das Plätschern des
Wassers dringt täglich in die geöffneten Fenster der
Klassenräume. Die Kurse treffen sich am Teich, riechen
und schmecken "Marienblatt" (hilft bei Halsweh
und Husten), Nanaminze, Zitronenverbene und vieles
mehr. Wilde Bienen, Libellen und Schmetterlinge
schwirren. Wieder gibt es viele Ahs und Ohs, die
Schulwelt ist nicht mehr geisterhaft, sondern schön,
motivierend und voller Vertrauen auf die Zukunft.

Während der Teichtaufe hatte jede Gruppe der
Schulgemeinde einen kleinen Baum gepflanzt. Äpfel,
Quitten und Feigen verheißen Hoffnung auf den
nächsten Frühling, ein intensives, sinnliches und gutes
Leben.

PS: Die Frankfurter Baufirma Belowelk hat inzwischen
auf den umliegenden 300 qm2 10 Tonnen Gras abgetragen
und Sand ausgebracht, denn auf der Fläche
entsteht eine echte Bienenwiese! Es ist ein Geschenk.

(Ein Text von Iris Gniosdorsch.)

Mit Bildung auf Sendung - Die Katholische Akademie im Haus am Dom und ihr Publikum unter Pandemie-Bedingungen

Wie die Menschen erreichen, wenn physische Begegnung
Krankheits- und Todesgefahr in sich birgt? Vor
dieser Frage standen viele Institutionen im Frühjahr
des Jahres, und es wurden unterschiedliche Antworten
gefunden. Von der kompletten Schließung der Einrichtung
bis zur Vergrößerung der Reichweite war
und ist alles dabei, und die Debatte darüber, wie gerade
kirchliche Institutionen ihre Aufgabe, „bei den
Menschen zu sein“, ihnen gerade in Zeiten von Desorientierung,
Krankheit oder gar Todesgefahr beizustehen,
„richtig“ erfüllt wird, begleitet uns bis heute.

Schon bevor Ende Mai alle Mitarbeiterinnen wieder
„on board“ waren, hatten wir in der Kar- und Osterzeit
Maßnahmen getroffen, um nicht nur den seit
2008 existierenden und gut genutzten YouTube-Kanal
„Haus am Dom“ bekannter zu machen, ältere noch
nicht geschnittene Videos, unter anderem mit Navid
Kermani, online zu stellen, sondern auch, um endlich
in das Format „podcast“ einzusteigen. Diese oft bis zu
zwei Stunden langen Hör- oder Audioformate sind seit
einigen Jahren vor allem bei jungen Menschen beliebt
und werden zur Bildung und Horizonterweiterung
vielfach genutzt. Vor allem das längere Gespräch mit Prominenten, von denen man/frau sich Orientierung
erwartet, sind sehr beliebt. Genau das bietet aber die
Akademie im Haus am Dom in ihren Veranstaltungen
– nur bis zum Frühjahr 2020 eben noch nicht online
und vor allem nicht auf den einschlägigen „Kanälen“:
spotify, ITunes, deezer etc. Hier war unser langjähriger
„VJ“ Timo M. Kessler eine große Hilfe als Scout
in einem völlig neuen Umfeld und vor allem als professioneller
„Hörfunk-Redakteur“, der seitdem viele
unserer Video-Formate auf Audio umgeschnitten und
durch diverse Filter und andere Kniffe für eine herausragende
akustische Qualität gesorgt hat. Auch auf
den genannten Kanälen findet sich also inzwischen
das „Haus am Dom“ mit inzwischen mehr als 40 Podcasts
zu Themen von A wie Armut bis V wie Verschwörungstheorie
und bis heute über 30.000 Abrufen.

Den tieferen Einschnitt hat die Covid19-Digitalisierung
allerdings in den Abläufen im Haus am Dom
selbst hinterlassen. Nicht nur, dass wir inzwischen
via E-Ticket-Bestellung im Netz von jedem einzelnen
der bis zu 46 Sitzplätzen in unseren Sälen sagen
können, wer an welchem Tag auf welchem Stuhl gesessen
hat, die Säle sehen inzwischen auch aus wie Fernsehstudios, mit vier Kameras für verschiedene
Perspektiven, Mischpult, Monitoren und weiterer
Technik, denn die meisten unserer täglichen Veranstaltungen
werden seit Juni live „gestreamt“, können
also vom Monitor zuhause auf unserem YouTube-Kanal
live verfolgt werden und stehen auf Dauer als Video
zur Verfügung. Das setzt unsere Verwaltung unter
der kundigen Leitung von Geschäftsführerin Andrea
Hörner bis heute unter Strom und kostet viel Kraft.
Eingerichtet hat diese wunderbare und kostengünstige
Möglichkeit, unsere Reichweite zu vervielfachen,
unser Tagungsmanager und „TV-Chefredakteur“ Sorin
Zamfir. Das Miteinander und die Anforderungen
an alle Studienleiter*innen hat sich ebenfalls stark
verändert: Wir können weit besser wechselseitig die
Veranstaltungen der Kollegen wahrnehmen, um durch
Gespräche darüber die Qualität unserer Arbeit weiter
zu verbessern. Und natürlich moderiert man anders,
prägnanter, weniger ausschweifend, wenn man weiß,
dass Menschen das Ganze am Monitor verfolgen, also
auch etwas ganz Anderes tun, etwa einfach „wegschalten“
könnten. Unser monatlicher Newsletter, der
mehr als 6000 Menschen erreicht, ist zum zentralen
Informationsinstrument zur aktuellen Lage im Haus
geworden.

Sicher ist heute: Wir müssen 2021 etwa 25% weniger
Veranstaltungen anbieten, weil sowohl ihre Buchung
wie auch die digitale Auswertung etwa doppelt
so viel Arbeit machen. Sicher ist aber auch, dass wir
diese Chancen, ein jüngeres Publikum zu erreichen,
aber auch ein älteres, das sich so rasant wie wir auf
die neuen Kommunikationsmittel eingestellt hat,
„nach Corona“ nicht wieder aufgeben werden. Und zugleich
wissen wir, dass Menschen nach wie vor unser
gedrucktes Halbjahresprogramm schätzen, einfach
um bzgl. der aktuellen Themen in Kirche und Welt auf
dem Laufenden zu sein, auch wenn sie weder die Veranstaltungen
besuchen noch sich online zuschalten.
Ihnen – es sind mehr als 4500 – hatten wir während
des „shutdowns“ einen langen erläuternden Brief geschrieben,
und von ihnen hoffen wir, dass sie unsere
Sendungen auf hr2 Kultur am Radio verfolgen und
die im Haus am Dom entstandenen Bücher und Zeitschriftentexte
lesen.
(Ein Text von Joachim Valentin.)