Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Foto: Melanie Schmitt

Hoch & Heilig

Pilgern ist ein ungebrochener Trend. Melanie Schmitt hat sich an einem besonderen Pilgerweg versucht: dem Bergpilgerweg hoch&heilig im stillen Osten Tirols

Acht Tage Laufen liegen hinter uns,
acht Tage rauf und runter, acht Tage
durch das stille Osttirol, mit Abstechern
in das lebendige Südtirol und mit
Schlenkern nach Kärnten. Am neunten und
letzten Tag kostet mich jeder Schritt Kraft,
die ich nicht mehr habe, und nach den ersten
200 Höhenmetern frage ich mich ernsthaft,
wie ich heute die restlichen 1500 Höhenmeter
nach oben schaffen soll, um dann auf der
anderen Seite 1700 Höhenmeter wieder abzusteigen.

Die Tage am Bergpilgerweg hoch&heilig
sind intensiv und lang. 200 km und 13.000
Höhenmeter, aufgeteilt auf neun Etappen,
durch eine abwechslungsreiche, meist stille,
alpine Bergwelt, fordern Kondition und Ausdauer.
Wir wandern auf uralten Wegen über
die Jöcher, über Pfade, die Pilgernde schon
Jahrhunderte vor uns gebahnt haben, in gesprochenen,
gedachten und geatmeten Gebeten,
im steten Gehen und Gehen und Gehen.
Der seit 2018 durchgängig beschilderte
Bergpilgerweg hoch&heilig folgt auf weiten
Strecken ursprünglichen Wallfahrtswegen
und streift dabei eine Vielzahl von kulturellen
und spirituellen Schätzen: jahrhundertealte
Wallfahrtsstätten, schmucke Dorfkirchen,
winzige Kapellen, gepflegte Bildstöckel
und vielgestaltige Wegkreuze.

Als wir in Maria Lavant in der Nähe von
Lienz in Osttirol zur ersten Etappe starten,
sind wir uns ziemlich unsicher, ob wir die
langen Etappen und die vielen Höhenmeter
überhaupt schaffen werden. Das Wetter
verstärkt die wacklige Abenteuerstimmung:
Unsere Pilgerunternehmung beginnt gewittrig
und just als der Donner so laut rumpelt,
dass es ernst wird, erreichen wir einen
Campingplatz am Tristacher See und sitzen
mit dem Rücken ans Waschhaus gelehnt im
Sommergewitterregen, halbwegs trocken
und geschützt, futtern Zimtschnecken aus
dem Rucksack und sind gespannt, wie alles
werden soll. Wir wollen den Blick auf das
Hier und Jetzt richten, auf das einfache Dasein
im Gehen.

Mit jedem Wandertag wird das Zutrauen
größer: Ja, der Weg ist durchaus fordernd
und manches Mal eine Schinderei, aber wir staunen, wie viel er uns auch gibt. Denn es
geht ja nicht nur hoch hinaus, sondern auch
heilig zu und so wird jede Etappe von einem
spirituellen Thema begleitet, das im Pilgerbüchl
beschrieben ist. Jeden Morgen suchen
wir uns kurz nach dem Start ein schönes
Plätzchen, um das Thema und die Aufgabe
des Tages zu lesen und uns auf den Tag einzustimmen.

Die vorgeschlagenen Themen passen ausgezeichnet
zur Landschaft und zu dem, was
uns begegnet. Die Aufgaben und Übungen geben
den Tagen eine besondere Prägung. Am
fünften Tag sind wir aufgefordert, uns mit
dem auseinanderzusetzen, was uns das Leben
in den Rucksack gepackt hat. Nicht nur
symbolisch trage ich ab der Silvesterkapelle
ein Thema mit nach oben, das mich belastet.
Ich klaube einen mittelgroßen Stein auf und
schleppe ihn über die alten Kriegswege nach
oben, durch tiefhängende Wolken hindurch,
über Schotter und steile Steige. Je länger ich
gehe mit meinem Stein und je bewusster ich
meine Sorge Schritt für Schritt an den tragenden
Grund unter meinen Füßen abgebe,
desto mehr weitet sich mein Thema und weitet
sich auch die Landschaft. Äußerlich und
innerlich entferne ich mich und merke: Ich
muss das alles nicht mehr festhalten.

Die Berge oberhalb der Baumgrenze sind
karg und wild und atemberaubend schön.
Kleine Seen liegen wie ausgestochene Himmelsspiegel
voller Blau und Weiß vor uns.
Und dann diese Begegnung. Am Gipfel des
Strickbergs treffen wir Maria Theresia.
Oben auf dem Grat verläuft heute die Grenze
zwischen Österreich und Italien. Im Ersten
Weltkrieg wurde hier oben unerbittlich gekämpft.
Vier Jahre lang, Frühjahr, Sommer,
Herbst. Und Winter. Die Kriegswinter forderten
mehr Tote als die Kampfhandlungen:
Erfrierungen, Lawinen, Verzweiflung. Maria
Theresia und ich kennen die Geschichten
alle beide. Wir stellen fest: Ihr Großvater
und mein Urgroßvater waren beide bei den
Kaiserjägern in diesem unsäglichen Krieg.
Heute stehen Maria Theresia und ich hier
oben als Töchter des Friedens und der Freiheit.
Mit einem Mal scheint sich die Zeit
ganz weit aufzuspannen, auszudehnen, in ein gemeinsames Gestern unserer Vorfahren,
das in diesem Moment, an diesem Ort
zusammenfindet.

Wie so viele andere Menschen, denen wir
auf dem Bergpilgerweg hoch&heilig noch
begegnen, bittet uns Maria Theresia, an sie
zu denken, wenn wir am Ende der Tour in
der Wallfahrtskirche von Heiligenblut angekommen
sein werden. Das werden wir tun.
Tief berührt denken wir an Maria Theresia
und an das unsichtbare Band, das uns über
Kriege, Staatsangehörigkeiten und Berge
hinweg verbindet. Auch das ist der Bergpilgerweg:
ein EU-gefördertes Projekt, das
Grenzüberschreitungen ermöglicht – in vielfacher
Hinsicht.

Ich lege meinen Stein, den ich mir unten
an der Silvesterkapelle in den Rucksack gepackt
habe, oben am Marchkinkele beim
Gipfelkreuz ab. Rundherum sehe ich beeindruckende
Kathedralen und prächtige
Dome: die überaus majestätischen Gipfel
der Lienzer und Sextener Dolomiten. Dahinter
Berge. Und noch mehr Berge. Ich liebe
sie, die Berge. Immer schon. Auch nach Tagesetappen
von durchschnittlich über 20km
und oft mehr als 1500 Höhenmetern. Das
muss wahre Liebe sein. Und wahre Freiheit,
dort heutzutage einfach herumspazieren zu
können.

»The trail provides«, sagt man in den USA
über die dortigen Fernwanderwege, »der
Weg sorgt für dich.« Auch auf dem Bergpilgerweg
hoch&heilig machen wir diese eindrückliche
Erfahrung: Der Weg scheint eine
Art Eigenleben zu führen. Nachdem wir beschwingten
Schrittes ein ziemliches Stück
dem falschen Pfad gefolgt sind, finden wir
uns unversehens auf unserem eigentlichen
Weg wieder. Jedes Mal, wenn wir versuchen,
ein Wegstück auszulassen, verlängert
sich die Wegstrecke irgendwo. Der Weg holt
uns wieder, leitet uns, sorgt für uns. Und
schenkt uns die Kraft, ihn zu gehen. Bergauf
und bergab, querfeldein und versehentlich
außerhalb der Karte, durch Geröllfelder und
über Grate, zu unerwarteten Wasserfällen
und an blühenden Blumenwiesen vorbei. Vor
mir sonnt sich ein Schmetterling. Er fliegt
nicht davon. Ich darf ihm nahe sein, dem Schmetterling und dem Leben. Am Villgrater
Törl nehme ich mir einen kleinen glitzernden
Geröllbrocken mit. Er soll mich zuhause
an die unbeschreibliche Ruhe erinnern, die
mit der Erkenntnis kommt, wie viel Kraft
sich entfaltet, wenn ich einfach immer weiter
meinen Weg gehe.

Ja, der Bergpilgerweg hoch&heilig
schenkt uns viele hoch-heilige Momente.
Aber er verlangt Kondition und Ausdauer.
Das merke ich besonders am letzten Tag,
als mich, aller beflügelnden Erfahrungen
der letzten Tage zum Trotz, sehr ernsthafte
Zweifel überkommen, ob ich diese letzte
Etappe schaffen werde. Mir fehlt die schiere
Kraft. Acht intensive Wandertage stecken
mir in den Beinen. Wenn es mir gutgeht,
fällt es mir leicht, dem Urgrund allen Seins
dafür dankbar zu sein. Umgekehrt habe ich
oft Mühe, um Hilfe zu bitten, wenn ich nicht
alleine weiterkomme, ob bei Menschen oder
beim Ewigen. Hier oben im Nationalpark
Hohe Tauern kann mir kein Mensch beim
Weitergehen helfen. Aber ich brauche Hilfe,
ich brauche die schiere Kraft zum Weiterkommen.
Und ich bitte himmelhoch darum.
Nie zuvor habe ich diese Hilfe so körperlich
erlebt. Es fühlt sich an, als schiebe mich
eine unsichtbare Hand sanft bergauf – ich
gehe und gehe und gehe und gehe. Immer
weiter. Klingt irre. Ich weiß. Fühlte sich
auch irre an.

Der Abstieg durch die Kernzone des Nationalparks
Hohe Tauern ist atemberaubend
schön in all seiner ungezähmten Wildheit.
Sattgrüne Gräser, vom Wind gezaust. Brücken
aus Altschnee, unter denen es gluckert.
Rauschende Bäche, die seit Jahrtausenden
unaufhörlich fließen. Und dann: gellende
Pfiffe. Ein Murmeltier, das seine Artgenossen
vor uns warnt, vor den einzigen Wanderern
weit und breit. Am frühen Abend nähern
wir uns unserem letzten Etappenziel,
der Wallfahrtskirche von Heiligenblut. In
dem Moment, als wir die Kirche erreichen,
erscheint ein Regenbogen am Himmel und
bleibt aufgespannt über dem Tal stehen. Wir
sind angekommen.

Ankommen

Nach Lienz gelangt man bequem mit der Bahn und von dort
mit dem Bus nach Maria Lavant. Mit der OsttirolCard, die bei
jeder Übernachtung ausgestellt wird, können alle Verkehrsmittel
Osttirols gratis genützt werden. Das Busnetz ist bestens.
Vom Zielort Heiligenblut (Kärnten) fährt ein Bus zur Bahn nach
Mallnitz-Obervellach.

Wandern

Technisch gesehen weist der Bergpilgerweg hoch&heilig nur
moderate Schwierigkeiten auf. Beachtliche 13.000 Höhenmeter
und 200 km verteilen sich auf 9 Etappen. Zu bewältigen sind
also im Schnitt je Etappe über 20 km Strecke, bis zu 1750 hm im
Aufstieg und bis zu 1800hm im Abstieg. Bei manchen Etappen
kommen alle drei Maximalwerte annähernd zusammen, was
reine Gehzeiten von 8-9 Stunden bedeutet. Der Weg ist somit
konditionell sehr anspruchsvoll. Pausentage oder das Splitten
einzelner Etappen sind durchaus eine Überlegung wert und
fast immer möglich. Beschildert ist der Weg durchgängig mit
dem eigenen Logo, das meist auf bereits vorhandenen Schildern
angebracht ist:

Pilgerbüchl, Pilgerpass & Pilgerbändchen

Das Pilgerbüchl ist in jedem Tourismusbüro entlang des Weges
erhältlich oder vorab zum Download auf www.hochundheilig.
eu. Es beinhaltet detaillierte Etappenbeschreibungen mit Karten,
spirituelle Anregungen, die auf die Umgebung abgestimmt
sind, und einen Pilgerpass zum Abstempeln. Am Ziel jeder Etappe,
im Eingangsbereich der jeweiligen Kirche, befindet sich ein
gut zugängliches Holzschränkchen mit Stempel und mit einem
Segensband, auf das der Leitspruch des Tages gedruckt ist.
An einen Karabiner geknotet, bilden die Farben aller Bänder
schließlich einen »Pilgerregenbogen«. Eine wunderschöne Motivation!
Am Zielort Heiligenblut wird im Hotel Nationalpark
Lodge auf Wunsch eine Pilgerurkunde ausgestellt.

Schlafen

In allen Etappenorten gibt es Unterkünfte, die sich auf die
hoch&heilig-Pilger eingestellt haben. Es handelt sich dabei
um gewöhnliche Gasthäuser verschiedener Kategorien. Über
bookyourtrail.com ist es zudem möglich, alle Unterkünfte vorbuchen
zu lassen, Shuttles zu bestellen oder auch einen Gepäcktransportservice
zu buchen. Mehrmals im Jahr werden
begleitete Wanderungen angeboten: www.hochundheilig.eu/service/angebote/