Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans Joas: Die Macht des Heiligen

 

Nicht nur die Mehrheit der Sozialwissenschaftler, sondern auch große Teile der Öffentlichkeit gingen bis vor kurzem noch davon aus, dass der Prozess der Säkularisierung unaufhaltbar sei, dass Religion und Kirchen im Zuge von Modernisierungsprozessen an Bedeutung verlören und sich irgendwann einmal vollständig auflösten. Die Geschichte der Moderne wurde als eine Geschichte der Entzauberung und der Emanzipation von kirchlicher Vormundschaft gedacht, wobei man sich immer gerne auf einen der Gründungsväter der modernen Soziologie, Max Weber, und dessen Narrativ von der Entzauberung der Welt als Teil des okzidentalen Rationalisierungsprozesses berief. In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die dieses Narrativ in Frage stellen. Zu den prominentesten und wohl einflussreichsten Kritikern der...

Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt

 

Beim Versuch, die jeweilige Zeit in Gedanken und Begriffe zu fassen, gab es immer schon soziologische Favoriten und Moden; in jüngster Zeit etwa die Termini „Erlebnisgesellschaft“, „Risikogesellschaft“ oder „postmaterielles Zeitalter“. Zur Zeit hat die „Ambiguität“ bzw. die „Ambiguitätstoleranz“ Konjunktur – gerade für Thomas Bauer (geb. 1961), den Münsteraner Professor für Islamwissenschaft und Arabistik, hochdekoriert 2012 mit dem „Leibniz-Preis“, der sich in seinem Reclam-Bändchen nicht nur zu Themen seines Spezialgebietes äußert, sondern auf gedrängtem Raum eine generelle Zeitanalyse im globalen Maßstab der westlichen und islamischen Welt versucht.

Zunächst präsentiert Bauer eine pessimistische Perspektive von Verfall und Dekadenz: Die moderne Welt entwickelt sich – materiell und...

Horst Dreier: Staat ohne Gott

Der Titel „Staat ohne Gott“ klingt nach einer atheistischen Streitschrift für eine Welt oder eine Gesellschaft ohne Gott. Bereits zu Beginn der Einführung stellt der Jura-Professor Horst Dreier, einer der renommiertesten Verfassungsrechtler Deutschlands, allerdings klar, dass dem keineswegs so ist. Denn die titelgebende Wendung zielt vielmehr auf den Umstand ab, dass sich der Staat in der modernen Grundrechtsdemokratie religiös-weltanschaulich neutral zu verhalten hat. Diese Neutralität des Staates und ihre Kehrseite – die Religionsfreiheit der Bürger – sind die beiden Säulen der Säkularität des freiheitlichen Verfassungsstaates.

Das erste Kapitel widmet Horst Dreier dem für das Buch grundlegenden Begriff der „Säkularisierung“, dessen Vieldeutigkeit die interdisziplinäre Diskussion...

Mirjam Schambeck / Sabine Pemsel-Maier (Hg.): Welche Werte braucht die Welt?

Die Herausgeberinnen reagieren auf das gewachsene Bewusstsein, dass sich die Gesellschaft und Kultur, angeregt durch Migrationsbewegungen und Integrationsanforderungen, zunehmend wandelt. Wie sind Werte auch unter Maßgabe des Christlichen neu auszuhandeln, welche dürfen, welche müssen sich transformieren? Es kommt nicht von ungefähr, dass Wertebildung „ein zentrales Thema innerhalb der Religionspädagogik und -didaktik der letzten Jahre“ (7) ist.

Der Sammelband beinhaltet 12 Beiträge in drei Kapiteln zu „Wertefragen in religionspluraler Gesellschaft – religionssoziologische und religionspädagogische Erkundungen“, „Christliche Wertebildung angesichts religiöser Pluralität – religionspädagogische Zuspitzungen“ und „Islamische Wertebildung angesichts religiöser Pluralität – muslimische...

Hans Goller: Das Rätsel Seele

Hans Goller beginnt, eine Stärke seines Buches, mit einem Kapitel über die Seele in unserer Alltagssprache, das in der Feststellung kulminiert: Über die Seele sprechen wir in Metaphern. Wäre diese Einsicht doch nur mehr berücksichtigt worden!

Der Verfasser fährt in seinen beiden folgenden Kapiteln fort mit Referaten aus der Geschichte der Psychologie – namentlich Freud, Skinner, Pawlow und Rogers – und der Neurowissenschaften: Er referiert ältere und neuere Untersuchungen an Menschen mit geteiltem Hirn, was durch Zerschneiden der Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften oder zwischen Stirnhirn und Stammhirn zustande kam. Die Untersuchungen werden nicht kritisiert oder auf ihre Aussagefähigkeit in der Frage nach der Seele kritisch überprüft.

Wenn Goller in den Folgekapiteln die...

Norbert Feinendegen: Apostel der Skeptiker

Das vorliegende Buch ist die „Kurzfassung“ einer umfangreicheren Dissertation bei Karl Heinz Menke in Bonn. Dem Autor ist es dennoch gelungen, in einem immer noch umfänglichen Werk in das weitläufige Lebenswerk von C. S. Lewis einzuführen, das sich sprachlich außerordentlich vielseitig zwischen reflektierendem Begreifen und spannendem Erzählen bewegt: Als Literaturwissenschaftler „denkt“ Lewis Gott, als Schriftsteller „erzählt“ er ihn. In seinem Gesamtwerk bilden Mythos und Logos eine Einheit – so wie in der Menschheitsgeschichte sich Göttliches zunächst erzählend im Mythos meldet, im Christentum einmalig und wahrhaftig Geschichte wird und sich im Logos „denkbar“ zeigt, wie es Feinendegen in der Auseinandersetzung Lewis‘ mit seinen Meinungsgegnern und seinen Gesprächspartnern darlegt.

Für...

Volker Demuth: Fleisch

„Kein Krimi mehr ohne Pathologie, kein Mordopfer ohne Close-up auf die Schuss-, Stich oder Schlagwunde. Das tägliche TV-Massaker führt uns massenweise offenes Menschenfleisch vor. Niemand, ob Kind oder Erwachsener, verfügt über den kulturellen Abstand, sich seiner Allgegenwart zu entziehen.“ (14) Volker Demuths enorm kenntnisreiche Kulturgeschichte des Fleisches sollte jeder, der Theologie treibt, gelesen haben, steht doch die Inkarnation, die Fleischwerdung des göttlichen Logos in Jesus Christus, im Zentrum christlicher Theologie. Und die „Theologie des Fleischs“ steht demnach auch am Anfang von Demuths Überlegungen. So eröffnet er in seiner assoziativen „Fleischbeschau“ geradezu ein Panoptikum, das sich von der „Ästhetik der Wunde“ über „Fleischlose Träume und Kannibalismus“ bis hin zur...

Michael Kühnlein: Wer hat Angst vor Gott?

Über Religion und Politik im postfaktischen Zeitalter

Michael Kühnlein, Dozent am Institut für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt a.M., sieht im Blick auf das Projekt der Moderne zwei vielen Einzelaussagen vorausgehenden Hintergrundüberzeugungen am Werk: auf der einen Seite eine emanzipatorische Weltsicht ohne Gott mit Bildern von Immanenz, Befreiung und Selbstermächtigung, auf der anderen Seite eine tradierte religiöse Weltsicht mit Bildern von Transzendenz, demütigem Glaubensgehorsam und Selbstbegrenzung. Unheilvoll ist dieser Konkurrenzkampf für die Moderne dadurch, dass jede Partei für sich eine Existenzberechtigung nur darin zu sehen vermag, die andere triumphalistisch niederzuringen, anstatt komplementäre Lernprozesse einzugehen – ein selbstzerstörerisches Desiderat,...