Klassiker in Neuauflage
Martin Ramb spricht mit dem Autor Eckhard Nordhofen über Grundfragen, die nicht veralten, biblischen Monotheismus, der vor Selbstbetrug bewahrt, und die Geschichte seines erfolgreichen Buches, in dem dies alles vorkommt.
Die Frage stellte Martin W. Ramb
„Dieser Philosophie-Roman hat sich zum Klassiker gemausert“, so heißt es im Covertext auf der Rückseite des neuen Taschenbuchs. Da kann man ja nur gratulieren!
Besten Dank. Das hat aber den vergleichsweise banalen Grund, dass die Geschichte sich offenbar sehr gut als Schullektüre eignet. In manchen Bundesländern ist in der Oberstufe des evangelischen Religionsunterrichtes vorgesehen, eine Ganzschrift zu lesen, und dafür ist der Roman in der Tat sehr gut geeignet. Dabei freut mich, dass so im evangelischen Religionsunterricht, die katholische Spur von fides et ratio, die Spur der biblischen Aufklärung präsent wird. Dass er im katholischen RU einen guten Lauf hat, versteht sich von selbst.
Ein Jugendbuch also?
Nicht nur. Es spielt in einem jugendlichen Milieu, die Heldinnen sind Schülerinnen mit starken Gefühlen und starkem Verstand. Sie haben es mit einem Lehrer zu tun, der natürlich ein männlicher Gegenpart sein muss, denn es sieht ja auch so aus, als solle da eine Beziehungskiste gezimmert werden. Der ist nicht nur philosophisch gebildet, sondern ein echter Philosoph, d.h. jemand, bei dem sich die Reflexionen als Antwort auf wirkliche Lebensfragen mehr oder weniger von selbst einstellen. Ein Held ist er aber nicht. Er ist unsicher und hat Charaktermängel.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie, der sich nicht zum Belletristiker berufen fühlt, diesen Roman geschrieben haben?
Michel Krüger, der legendäre Hanser-Verleger hatte die Idee. Mit „Sofies Welt“, dem Bestseller des Norwegers Jostein Gaarder, war über den Hanser-Verlag gerade ein warmer Regen niedergegangen. Gaarder hatte die Idee, einen Spaziergang durch die Geschichte der Philosophie anhand einer Spielhandlung zu unternehmen. So war ein origineller Bildungsroman entstanden, der ein paar Jahre lang auf den Geschenktischen aller Konfirmanden lag und ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für Jugendliche mit intellektuellen Interessen war.
Krüger dachte nach diesem Erfolg an eine Parallelaktion, also einen Spaziergang durch die Weltreligionen in Romanform, praktisch das Gegenstück zu „Sofies Welt“ und suchte nun einen Autor. Damals hatte ich öfter in der „Zeit“ den einen oder anderen Essay und Rezensionen geschrieben und Michel Krüger hatte gesehen, dass man Philosophie auch leserfreundlich vorstellen kann. So war er der Meinung, ich sei für seine Idee der Richtige. Sein Vorschlag reizte mich durchaus, eine Einschränkung machte ich allerdings sofort: Einen Spaziergang durch alle oder auch nur die wichtigsten Religionen dieser Welt, den könne ich ihm nicht liefern. Dazu fehle mir erstens die Kompetenz und zweitens hätte ich auch keine Lust die Religionen nur von außen zu besichtigen und damit den wohlfeilen Multi-Kulti-Trend zu füttern. Aber die Idee, die eigene biblische Tradition einmal in einer fiktiven Handlung durchzuprüfen, ob sie in ihren zentralen Motiven im zeitgenössischen Leben noch genauso vorkommt, wie in der Zeit ihrer Entstehung, das würde mich in der Tat reizen. Und so wurden wir handelseinig.
Welche Motive sind das?
Ein ganz wichtiges ist die Klärung der Frage, ob sich die Menschen mit der Gottesidee nicht selbst beschwindeln. Diese Frage steht am Anfang des Monotheismus im alten Israel und sie stellt sich für jeden denkenden Menschen heute immer noch. Dass man sie Ludwig Feuerbach zuschreibt, ist eher eine ideengeschichtliche Kuriosität. Sodann ist in der menschlichen Psyche offenbar das Bedürfnis angelegt, Grenzen zu überwinden. Da ist zum einen die Machbarkeits-
grenze. Wir sind Macher. Wenn uns keine gebratenen Tauben in den Mund fliegen wie im Schlaraffenland, dann züchten wir Hühner. Wir können uns in vielen Dingen selber helfen. Aber regelmäßig stoßen wir dann auf Grenzen. Oft genug können wir sie verlegen. Seit den Zeiten der Jäger und Sammler sind die Techniken der Nahrungsmittelbeschaffung deutlich besser geworden. Verschwinden werden die Grenzen aber nie. Und nun greift homo sapiens, der Macher, immer wieder zu einer Hilfskonstruktion. Er macht sich fiktive Partner, die ihm helfen, seine Bedürfnisse und Interessen auch dann noch zu verfolgen, wenn die eigenen Möglichkeiten ausgereizt sind. So entstehen die Götter des Polytheismus. Mein Merksatz lautet: Kein menschliches Interesse ohne himmlische Adresse.
Das ist ja nun wirklich eine religionskritische eher philosophische Idee. Wie kann die in einem Roman vorkommen?
Da hat mir ein Gespräch mit Jostein Gaarder geholfen. Ich wollte nicht den Fehler machen, eine Rahmenhandlung auszuspinnen, in der dann wie eine fremde Fracht einzelne philosophische oder theologische Lektionen eingebaut sind. Sie müssten sich wie von selbst aus der Handlung ergeben und nicht wie draufgesattelt erscheinen. Und wenn es stimmt, dass die Grundfragen nicht veralten, müsste das möglich sein. Ich bilde mir ein, dass das auch einigermaßen gelungen ist.
Wenn die Mechanismen unserer Psyche dazu verleiten, sich Götter zu machen, die als himmlische Helfer angerufen werden können, wie steht es dann mit dem Gott der Bibel?
Diese Frage steht natürlich im Zentrum der Geschichte. Dass ein selbst gemachter Gott kein wirklicher Gott sein kann, ist schnell eingesehen. Heißt das aber nicht, dass die Gottesidee dann vom Tisch ist? Diese Konsequenz ist auch schnell gezogen, hinterlässt aber Phantomschmerzen. Nicht nur intellektuell interessanter ist die andere Konsequenz, dass nämlich der nicht selbst gemachte Gott gleichwohl existiert, wenn auch ganz anders, nicht als Produkt menschlicher Phantasie. Und wenn dann noch klar ist, dass er als Vorzeichen vor der Klammer, die die Welt bedeutet, nicht selbst ein Ding in der Welt sein kann, wird es erst so richtig spannend. Wir sind gewohnt, das Prädikat „Es gibt“ nur sinnlich erfassbaren, empirischen Größen, allenfalls noch dem, was aus ihnen ableitbar ist, zuzusprechen.
Und solche Fragen sollen junge Frauen beim Erwachsenwerden heute noch bewegen?
Mir ist dabei sehr zustatten gekommen, dass die Fragen nach Fiktion und Wirklichkeit, nach der Wirklichkeit von Fiktionen auch die Frage nach Betrug und Selbstbetrug alles andere als angeschimmelt sind. Der Referendar Ringler, der ja noch nicht einmal ein fertiger Lehrer ist, ist ein, wie man so sagt, gemischter Charakter. Mit den jungen Frauen treibt er seine Spielchen, die aber durchschaut werden. Dann kann aber aus manchem Spiel auch wieder Ernst werden.
Der Roman enthält auch eine saftige Satire auf einen bestimmten Typ von Religionsunterricht.
Das hat mir beim Schreiben am meisten Spaß gemacht und offenbar vielen Lesern, die einen bestimmten Typ von Religionsunterricht erlebt haben oder mit der Ausbildung zum Religionsunterricht zu tun hatten. Das hängt natürlich damit zusammen, dass ich möglichst realistisch sein wollte und daher Schauplätze gewählt habe, die ich gut kannte. Ich selber habe lange genug Schulstaub als Religionslehrer geschluckt und auch als Ausbilder gearbeitet. Da fließen selbstverständlich Erfahrungen mit ein, die man so oder so ähnlich einmal gemacht hat.
Handelt es sich am Ende um einen Schlüsselroman?
Diesem Verdacht bin ich immer wieder einmal begegnet. Hier habe ich nun die Gelegenheit zu einem kraftvollen Dementi: Keine der Figuren des Romans ist mit einer lebenden oder toten Person der Wirklichkeit identisch. Dass dieser Verdacht immer wieder einmal geäußert wurde, hat aber einen durchaus verständlichen Grund. Wenn man schon schwierige erkenntnistheoretische philosophische und theologische Fragen in dieser Geschichte vorkommen lassen will, dann musste man sie besonders realistisch anlegen. Die Personen tragen also Züge, die ich wirklich beobachtet hatte. Auch hat das Bestreben, möglichst nah an die Wirklichkeit heranzukommen dazu geführt, dass ich nur Schauplätze gewählt habe, die es auch wirklich gibt. Den Hügel mit der Kirchenruine in der Provence bei Le Thor, den gibt es wirklich, genauso wie die Fontaine de Vaucluse, die gibt es wirklich, genauso wie die Ruinen von Les Antiques. In Frankfurt gibt es wirklich die Kleinmarkthalle, die Liebfrauenkirche und den Eisernen Steg ebenso wie die Schweizer Straße. Sie sehen, hinter allem steckt die Frage nach der Wirklichkeit draußen und den Wirklichkeiten drinnen.
Dass ein selbst gemachter Gott kein wirklicher Gott sein kann, ist schnell eingesehen.
Draußen und drinnen. Was meinen Sie mit der Wirklichkeit drinnen?
Das sind die Wirklichkeiten in unsrem Bewusstsein. Manche davon sind solide und verlässlich, bei anderen sind wir uns nicht sicher. Thea, die Hauptperson, hat gleich am Anfang ein Erlebnis, von dem sie total überzeugt ist, das ihr ein Maximum an Sicherheit zu geben scheint. Später kommen ihr dann Zweifel.
Die ganze Geschichte fängt mit der Frage nach dem Nichts an. Gibt es das Nichts?
Mir tut es immer noch ein wenig leid, dass ich meinen ersten Vorschlag für den Titel des Romans nicht durchgesetzt habe. Er sollte einfach „Nichts“ lauten. Ich hatte mir schon ausgemalt, wie ein Leser jemand anderen fragt: Hast Du schon „Nichts“ gelesen? Das wäre bei Homer abgekupfert gewesen, wo ja auch Odysseus sich einmal den Namen „Niemand“ gibt. Was für schöne Dialoge hätten sich aus einem solchen Titel entwickeln können… Das war aber dem Reclam Verlag am Ende doch zu steil, und ich war dann mit dem jetzigen Titel auch ganz zufrieden.
Wie kommt es, dass die Sache dann doch nicht bei Hanser erschienen ist?
Ich hatte die ersten 34 Seiten mit großem Vergnügen geschrieben und Michel Krüger zugesandt. Die Antwort war emphatisch: „Das wird wieder ein Bestseller, großartig, machen Sie weiter so etc.“ Als ich das fertige Manuskript ablieferte, hatte inzwischen der Lektor für die entsprechende Abteilung gewechselt und der verlangte nun Änderungen, die justament auf das hinaus gelaufen wären, was ich von vorneherein ausdrücklich ausgeschlossen hatte. So sprach ich mit meinen Freunden vom Reclam Verlag, in dem ich schon das eine oder andere veröffentlicht hatte. Die akzeptierten das Manuskript sofort ohne Änderungen und, was bei Reclam ganz außergewöhnlich war, sie brachten das Buch als Hardcover heraus, später dann in der gelben Reihe und nun als ein schönes Taschenbuch erneut. Da kann man nicht meckern. Es gibt auch eine Übersetzung ins Polnische.
Außerdem ist eine Hörbuchfassung geplant. Eine besonders gute Idee des Verlags war die Arbeitshilfe zum Buch, die vor allem für Lehrerinnen und Lehrer interessant ist, die den „Klassiker“ im Unterricht verwenden wollen. Sie ließen im Rahmen der Reihe „Lehrpraktische Analysen“ ein Begleitheft erstellen, das der Verlag an Lehrkräfte und nur an diese kostenlos versendet. Thomas Menges hat es erarbeitet und mit didaktischen und methodischen Hinweisen versehen. Er kommt dabei zu Erkenntnissen, die selbst den Autor überrascht haben, denen er aber gerne zustimmt.
Wann schreiben Sie Ihren nächsten Roman?
Diese Frage wird mir oft gestellt. Und ich stelle sie mir gelegentlich auch selbst. Romane zu schreiben, in denen Gedanken und Gefühle sich mischen, hat nämlich einen ganz besonderen Reiz. Es ist eine fast göttliche Versuchung, eine kleine Welt erstehen zu lassen, Personen zu erfinden, die voneinander fasziniert sind, sich anziehen und abstoßen, die bestimmte Erfahrungen machen und Erkenntnisse gewinnen. Der Autor kann Schicksal spielen. Er ist ein Affe Gottes, der Herr seiner kleinen Welt. Vielleicht erliege ich ja eines Tages tatsächlich noch einmal dieser Versuchung. Ausgebremst wird dieses hybride Unterfangen bei mir nur durch den Anspruch: Die Geschichte muss treffen. Bei aller Fiktion muss es um Fragen gehen, die es wirklich gibt, im „richtigen Leben“.
Eigentlich sehe ich mich aber weniger als Romancier. Mein Ehrgeiz geht hauptsächlich dahin, die philosophischen Wurzeln des biblischen Monotheismus aus dem Gestrüpp der Religionsgeschichte freizulegen und sichtbar zu machen. Ich kann nicht fassungslos zusehen, wie sich das intellektuelle Justemilieu ausgerechnet von der Religion verabschiedet, die aus meiner Sicht absolut modernitätskompatibel ist.