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Was der Barmherzige Samariter zum Aufbau einer Medienethik beitragen kann und warum es sich lohnt, auch im digitalen Schulleben ein Held zu sein.
Mediengesellschaft – (k)ein Problem
Das Leben mit Kindern und Jugendlichen ist oft ein Abenteuer. Das Glück ist riesig, der Stress manchmal auch – und das nicht erst, seitdem uns die Welt durch die Vielzahl von Medien abstrakt geworden ist und wir die Informationen über sie zur Hyperrealität stilisieren. In der Tat haben wir noch nie so schnell und viel von dem erfahren, was in der Welt geschieht. Unmengen von Informationen sind jederzeit und allerorts verfügbar, wobei die Informationen in der virtuellen Welt so präsentiert werden, als bildeten sie die Realität eins zu eins ab.
Es dürfte für die Kinder und Jugendlichen dabei immer problematischer werden, die Wirklichkeit mit ihren Sinnen zu erfahren, wo ihnen doch per Klick in wenigen Sekunden alle erdenklichen Informationen zur Verfügung stehen können. Denn der schnelle Zugang zu den Informationsquellen in jedem Winkel der Erde stellt heute längst kein Problem mehr dar. Während unsere Augen einerseits immer häufiger zum notwendigen und übermächtigen Sinnesorgan werden, darf man ihnen doch andererseits nicht bedingungslos glauben, da die Differenz zwischen Wirklichkeit und deren medialer Abbildung immer kleiner wird. Unsere Wirklichkeit wird demnach unmerkbar manipuliert, da die meisten Bild- und Textinformationen beliebig anonym ergänzt, bearbeitet und verändert werden können. Die Frage nach der Herkunft der Bilder, nach ihrer ursprünglichen Wirklichkeit kann an dieser Stelle nicht mehr beantwortet werden, weil die Simulation der Wirklichkeit mit der Inszenierung verschmilzt. Während die Erwachsenen noch über die „Macht der Bilder“ diskutieren und sich permanent die Frage stellen, welchen Nutzen und welche Nachteile (Gefahren) die „Herrschaft des Visuellen“ mit sich bringt, befinden sich die Kinder und Jugendlichen schon mittendrin. Denn die Wirklichkeit beinahe aller Kinder und Jugendlichen wird durch die Nutzung der Medien beeinflusst, bei denen sie immer „in der ersten Reihe sitzen“. Nur noch selten differenzieren sie zwischen Medien- und Wirklichkeitserfahrungen, was natürlich zu einer Entfremdung der jugendlichen Wahrnehmung und zu einem verzerrten Bild der Wirklichkeit führen kann. Tatsächlich ist in unserer „Informations- und Mediengesellschaft“ schwer zwischen dem, was das Ursprüngliche und was das Abgeleitete ist, zu unterscheiden. Das Leben in der realen versus künstlichen Lebenswelt stellt dabei nicht nur die Kinder und Jugendlichen vor oftmals schwer lösbare Aufgaben. In Anbetracht der immensen Herausforderungen müssten sie schon Helden sein – „Digitale Helden“.
Digitale Helden
Das gleichnamige Projekt „Digitale Helden – Vom Digital Native zum Online-Coach“ nimmt sich dieser Aufgabe bereits seit 2012 erfolgreich an. Gemäß dem Motto „SchülerInnen helfen SchülerInnen“ werden im Projekt „Digitale Helden“ Jugendliche mit sehr guten Kenntnissen im virtuellen Raum zum Ansprechpartner und Onlinecoach für jüngere und gleichaltrige MitschülerInnen ausgebildet. Auf Grund ihrer Altersstruktur, der damit ähnlich verbundenen Lebenswelt und den nahezu gleichen Internetnutzungsgewohnheiten bringen Jugendliche glaubwürdigeres und oftmals besseres Verständnis für die Belange und Probleme von MitschülerInnen auf. Eine Medienkompetenzvermittlung zum bewussten Umgang mit dem Internet auf „Augenhöhe“ kann somit authentischer vermittelt werden als durch einen Erwachsenen. Die hieraus resultierenden positiven Effekte der Digitalen Helden sind u.a. eine Stärkung des Selbstwertgefühls, sowohl bei den SchülerInnen als auch bei den Mediencoaches. Weiter werden die sozialen Kompetenzen und die Selbstständigkeit durch zunehmend eigenverantwortliches Handeln gefördert. Darüber hinaus lernen sie, durch die kritische Auseinandersetzung mit den Medien, die Chancen und Risiken des Internets zu erkennen.
Innerhalb der Schule kann die Ausbildung der Digitalen Helden zu einer Verbesserung des Schulklimas beitragen, da sie sich erfahrungsgemäß nicht nur virtuell, sondern auch im realen Schulalltag verstärkt für ihre Schützlinge einsetzen. So wird ein soziales Klima des Hinschauens und der gegenseitigen Aufmerksamkeit gefördert, das ein Füreinander-Einstehen ermöglicht und Mobbing die soziale Grundlage entzieht.
RU und Medienkompetenz
Was macht diese Helden zu Helden? Gemessen an einem niederschwelligen Begriff des Helden ist es vielleicht genau dieses „Hinschauen“, das Ausbrechen aus dem alltäglichen Indifferentismus und das Agieren gegen den Mainstream, der täglich Kinder zu Opfern eines perfiden Cyber-Mobbings werden lässt. Die Digitalen Helden haben in Prävention und Intervention an ihren Schulen eine Spur gelegt, die es langfristig zu demokratisieren gilt.
Durch die Benutzung der Medien ist bei vielen Kindern und Jugendlichen eine „Wirklichkeit zweiter Ordnung“ zu beobachten, die die Werte- und Wirklichkeitsvorstellungen nachhaltig prägt. Die Fülle und Vielfalt der modernen Medieninformationen können die Orientierung und die differenzierte Reflexion des Einzelnen stören bzw. erschweren. Diese Entwicklung hat das Bedürfnis nach Sinn und Halt im Leben der Kinder und Jugendlichen wachsen lassen. Das religiöse Bedürfnis ist nicht verschwunden, es ist lediglich „ort- und heimatlos“ geworden. Der Religionsunterricht (RU) kann diesen „Heimatlosen“ als Ort dienen, in dem die Schülerinnen und Schüler Impulse zur Lebensgestaltung geboten bekommen, die ihnen helfen, die ökonomischen, sozialen und besonders auch medialen Inszenierungen des Alltags zu bewältigen. Greift der RU diese Problematik auf, leistet er nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Präventionsarbeit innerhalb von Medienerziehung und Medienethik, sondern trägt auch zu der von der Kultusministerkonferenz geforderten überfachlichen Ausbildung von Medienkompetenz bei.
Im Folgenden werden vier Unterrichtsbausteine vorgestellt, die zum Teil in der Präventionsarbeit der Digitalen Helden entstanden sind und erprobt wurden. Sie beziehen sich auf die Aspekte „Wert des Menschen angesichts von Big Data“, „Cybermobbing-Situationen analysieren und unterbrechen“, „Verantwortliches Handeln aus Gottes- und Nächstenliebe“ sowie „Dekalog der Medienethik“.
Baustein I: Big Data – Das bin ich mir wert
„Was habe ich schon zu verbergen?“ – Unter dieser wohlmeinenden Prämisse vertraut man seine persönlichen Daten schnell mal dem Internet an und manche App greift auf den aktuellen Standort oder auf die abgespeicherten Kontaktdaten zu. Was für unbedarfte Erwachsene gilt, gilt umso mehr für Jugendliche und Kinder. Die Frage, die in diesem Zusammenhang im Hintergrund steht, heißt jedoch: „Was bin ich mir wert?“ oder „Wieviel Wertschätzung bringe ich mir selbst entgegen?“ Datenhändler würden dies pro Emailadresse mit nur wenigen Cent beziffern; gibt man jedoch in einem sozialen Netzwerk einen kompletten Datensatz preis, kann der Wert nach seriöser Schätzung auf circa 80 Euro steigen. Das ist nicht viel angesichts verlorener Privatheit.
Für den RU ist eine solche rein quantifizierende Betrachtung insofern „gewinnbringend“, als es ihm um die qualitative Gestaltung des Menschseins geht und auf diese Weise eine negative Kontrastfolie vorliegt, an der man sich in einem lebensrelevanten und dann unterrichtlichen Sinn gut abarbeiten kann. Nimmt man den Auftrag der Kultusministerkonferenz zur Medienerziehung ernst, wird der RU seinen Beitrag darin sehen, sowohl für den Umgang mit den eigenen Daten zu sensibilisieren als auch darüber hinaus auf die Gründe des qualifizierten Mehrwertes zu verweisen.
Idealerweise ist dieser Baustein daher in kompetenzorientierte Schwerpunktthemen zu integrieren, in denen bereits zum christlichen Menschenbild und zur Würde des Einzelnen gearbeitet wurde, so beispielsweise „Ich und die Anderen“, „Verantwortung“, „Wir in Gottes Schöpfung“.
Im Übergang zur Arbeit an der kritischen Medienkompetenz wird zu sichern sein, dass dem Big Data eine Sensibilität für den hohen persönlichen Eigenwert der Schülerinnen und Schüler (SuS) gegenübersteht. Menschen stärken. Dabei sind unterschiedliche Szenarien denkbar wie etwa das Zeichnen des eigenen Umrisses auf großes Papier (Tapete o.ä.) und das anschließende Beschriften mit den Eigenschaften, die man selbst an sich schätzt. Besonders in höheren Jahrgangsstufen, in denen SuS keine Ich-Botschaften senden, hat es sich bewährt, diese Positivbewertungen von den Sitznachbarn durchführen zu lassen. So kann man etwa eine T-Shirt-Umrisszeichnung mit der Aufschrift versehen „An ,Lieselotte‘ finde ich besonders wertvoll ...“ und anschließend auf DIN A4 in Klassenstärke vervielfältigen und im Unterricht bearbeiten. Diese Form der Wertschätzung kann durch weitere Runden ergänzt werden und in einem Auswertungsgespräch an einer Stellwand im Klassenraum gesichert werden. Zu erarbeiten ist dann in einem eigenen Schritt, wie mit dieser „Werthaftigkeit“ positiv umzugehen ist – und wodurch sie bedroht werden kann. SuS sind beim Entwickeln entsprechender Situationen sehr kreativ, so dass sich gut auf die Gefahren des Netzes fokussieren lässt.
Nun gilt es aber, gegen die Normalität und das Vergessen zu arbeiten. Damit RU und wirkliches Leben zusammenfinden, sei hier ein Arbeitsblatt vorgestellt (M1), das von den Digitalen Helden an der Marienschule entwickelt wurde. In der Präventionsarbeit bitten die „Helden“ die SuS, dieses Arbeitsblatt möglichst vollständig auszufüllen, ansonsten könnten sie nicht an der Stunde teilnehmen. Natürlich verstößt dieses Arbeitsblatt gegen jegliche Form der Privatheit. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es von Seiten der SuS nahezu keinerlei Widerstände gibt, auch die persönlichsten Informationen preiszugeben.
Das religiöse Bedürfnis ist nicht verschwunden, es ist lediglich ort- und heimatlos geworden.
Der Einsatz dieses Arbeitsblattes bietet sich auch für den RU an. Dies kann zu Beginn einer Stunde geschehen, weil es einen guten Einstieg darstellt, um die Ergebnisse der Stunde zum Thema „Das bin ich mir wert“ aufzugreifen und den Umgang mit den eigenen Daten im Kontext der eigenen Existenz im Netz zu problematisieren. Im Sinne einer Vertiefung wird es weiter darum gehen, Mechanismen und Risiken zu erarbeiten, die sich mit der Datenpreisgabe und ihrer Verwertung im Netz ergeben. Interessantes und ausgesprochen motivierendes Arbeitsmaterial, das auf einzelne Stunden zugeschnitten ist, findet sich auf der Seite von klicksafe6. Dabei sollte jedoch im Blick behalten werden, dass die Zukunftsbedeutung als „gläserne Konsumenten“ nicht die Gegenwartsbedeutung von aktiven Teilnehmern in sozialen Netzwerken überschattet. Schließlich ergeben sich aus mancherlei unbedachter Preisgabe auch Angriffsflächen.
Baustein II – Raushalten ist zu wenig
Mobbing lebt als Phänomen von einer rezipierenden Öffentlichkeit. Da gibt es diejenigen, die aktiv vorgehen, diejenigen, die unterstützen, und die große Gruppe derjenigen, die bloß mitwissen und das Geschehen rezipieren. In der Virtualität mag der besondere Reiz in der scheinbaren Entzogenheit, aber auch der potenziell hohen Zahl der Rezipienten liegen.
An Möglichkeiten, in einem Mobbing-Fall zu intervenieren, mangelt es indessen nicht. Vor allem der Ansatz des „no-blame-approach“ hat sich in vielen Fällen als wirkungsvoll erwiesen – mindestens um akute Situationen zu entschärfen oder günstigstenfalls sogar eine Aufarbeitung anzubahnen.
Ein wirksamer Beitrag zur Medienkompetenz hat allerdings die Prävention in den Blick zu nehmen. Dabei zählt nicht nur die Fokussierung von Täter- oder Opfergruppe, sondern auch die der Mitwissenden. Im Sinne des Opferschutzes ist es vorrangig, dass sich die meisten Hilfestellungen mit der Frage beschäftigen, was zu tun ist, wenn einem einmal die Opferrolle zugedacht ist. Eher fragwürdig sind die Empfehlungen an die Gruppe der bloß mitwissenden Teilnehmer, sich aus dem Chatverlauf möglichst rauszuhalten. Versetzt man sich in die Perspektive eines Gruppenchat-Teilnehmers, der gerade Zeuge eines Mobbings im Chat wird, mag es zwar plausibel erscheinen, sich aus dem aktuellen Geschehen raushalten zu wollen, um nicht selbst Opfer der nächsten Attacke zu werden. Im Sinne der Erziehung zur Selbständigkeit und des eigenverantwortlichen Handelns im eigentlichen Wortsinn ist es auf keinen Fall. „Raushalten ist zu wenig!“ war die spontane Reaktion einer Digitalen Heldin, als gemeinsam über Strategien zur Intervention und Prävention gesprochen wurde.
Die Schülerinnen haben daraufhin ein Arbeitsblatt (M2) entwickelt, das bei den Klassenbesuchen in der Präventionsarbeit eingesetzt wird. Es zeigt einen Chat-Verlauf, wie er sich wohl tagtäglich in den Gruppen unterschiedlicher sozialer Netzwerke abspielt: Man „unterhält“ sich über Personen, die ohnehin nicht Mitglied der Gruppe – weil per Administrator gar nicht zugelassen – sind, fügt gerne noch ein unvorteilhaftes Foto hinzu und lädt damit zu einem „shitstorm“ über besagte Person ein. Beliebig oft variierbar und wiederholbar. Der Chatverlauf des Arbeitsblattes bricht jedoch an der Stelle ab, an der den verbalen Aggressionen vollends freier Lauf gelassen wird.
Entsprechend dem Leistungsniveau der Klasse sind die Arbeitsaufträge anzupassen. Im Kern sollten sie darauf zielen, den Chatverlauf zu analysieren und für das Phänomen des Cyber-Mobbings zu sensibilisieren, die Folgen des eigenen Handelns abzuschätzen und Optionen für das eigene Handeln zu entwickeln. Ein möglicher Einstieg in die Stunde könnte mit dem Kurzfilm „Let‘s fight it together“ (ca. 6 min) oder dem noch kürzeren Spot der EU „Cyber-Mobbing“ gelingen7. Da davon auszugehen ist, dass das Thema „Mobbing“ in anderen Zusammenhängen, etwa im Rahmen eingeführter Präventionstage, schon thematisiert wurde, sollte hier in einem vertiefenden Unterrichtsgespräch darauf eingegangen werden, worum es sich bei Mobbing überhaupt handelt, welche Motive seitens der Täter vorliegen, worin die Unterschiede zu anderen Nicht-Cyber-Mobbing Fällen liegen und dergleichen mehr. Die Thematisierung der Inhalte leitet so zu der noch einmal weniger medial gebrochenen Perspektive des Arbeitsblattes über.
Baustein III – Der Barmherzige Samariter als Held?
Für was musste der „Barmherzige Samariter“ nicht schon alles herhalten? Die besondere Dichte dieser im lukanischen Sondergut erzählten Beispielerzählung (LK 10,25-35) macht es für alle Bereiche interessant, in denen es um eine theologische Begründung sozialer Kompetenzen geht. Seiner Rahmenerzählung nach übersteigt es die humanistische Umkehrung der Goldenen Regel um das Doppelgebot der Liebe und weist so in den größeren Zusammenhang zwischen Gottes- und Nächstenliebe ein: „Liebe den Herrn aus deinem ganzen Herzen und mit deinem ganzen Leben und mit deiner ganzen Stärke und mit deinem ganzen Sinnen! Und: Deinen Nächsten wie dich selbst!“ (Lk 10,27)
In Jesu Gleichnis geht es gerade nicht darum, nur einmal gut zu handeln, weil man sich wünscht, dass einem selbst an ähnlicher Stelle auch einmal Gutes widerfahren möge. Das Gleichnis unterbricht das Normale wie Erwartbare und arbeitet auf diese Weise mit der subversiven Gegenwelt der Barmherzigkeit: Im Sinne der historischen Kontextualisierung ist es gerade für Priester und Levit „normal“, im Sinne von „zur Norm gehörig“, an dem „Halbtoten“ vorüberzugehen, droht ihnen doch durch die Berührung eine kultische Unreinheit. Erst mit dem Auftreten des Samariters ändert sich auch erzählerisch etwas: Dem Minimalismus des Aufwands der jüdischen Geistlichkeit wird der maximale Aufwand eines Nicht-Volksgenossen auch im Textumfang gegenübergestellt. Inwiefern qualifiziert ihn das im Sinne einer sozialen Rollenzuschreibung als Helden? Zumindest gibt es kein „normales“ Kalkül – gemessen an einer Logik des Alltäglichen ist sein Handeln im höchsten Maße uneigennützig, nicht erwartbar und zugleich übertrieben notwendig.
Dass der Samariter auf diese Weise zum Stein wird, an dem sich das Normale anstoßen kann, aber auch verändern soll, macht ihn wiederum für unsere Absicht interessant: Nur Raushalten ist nämlich zu wenig!
Im Stundenaufbau mit Bild- und Textarbeit wäre an einen Bildeinstieg zu denken, etwa an die Bibelillustration von Lisbeth Zwerger (M3), die die Erzählung bis Vers 32, also ohne den Samariter, sehr reduziert ins Bild bringt und damit das Handeln der „Normalen“ ins Zentrum rückt. Obwohl die Geschichte zum festen Inventar von Grundschule und Katechese gehört, kann sie nicht unbedingt als bekannt vorausgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die Rahmenhandlung, die für die abschließende theologische Gesamtdeutung wichtig ist.
Der Barmherzige Samariter unterbricht das Normale wie Erwartbare und arbeitet auf diese Weise mit der subversiven Gegenwelt der Barmherzigkeit.
Um den Kern der Erzählung verstehen zu können, ist es unabdingbar, die handelnden Personen historisch einzuordnen und auf diese Weise zu plausibilisieren, dass es zwar „schwache“, aber durchaus nachvollziehbare Gründe für das Handeln von Priester und Levit gibt. Nach einer Lese- und Klärungsphase sollen die SuS sich Fragen überlegen, die sie den handelnden Personen stellen möchten, da ihr Verhalten für uns Heutige verstörend ignorant wirkt. Aus diesen Fragen lassen sich wiederum Recherche-Aufträge ableiten. Möglich ist auch, die Erarbeitung in ein Rollenspiel zu verlegen, bei dem historische Hintergrundinformationen bereits auf den Rollenkarten vermerkt sind. Die anschließende Gesamtdeutung und Konkretisierung („… und tu auch du desgleichen“; LK 10,73) wird wiederum die Brücke zum Fokus des Bildes schlagen und in den Transfer überleiten. Mit Blick auf die Arbeitsergebnisse der letzten Stunden sollte den SuS ausreichend Gelegenheit gegeben werden, die Parallelen zwischen dem verletzenden Chatverlauf und der Samariter-Erzählung zu entdecken. Wer handelt wem ähnlich? Ist der Samariter ein Held? Und was wäre dann der Held im sozialen Netzwerk?
Baustein IV – Ethik und Ethos
Zivilcourage, um die es hier letztlich geht, bedarf gedeihlicher Rahmenbedingungen, sonst ist sie zwar ehrenhaft, im extremen Fall aber selbstzerstörerisch. Zu diesen Rahmenbedingungen zählen verbindliche Regeln des gemeinsamen Miteinanders. Viele Schulen haben sich diese Regeln auf ihrem Weg zu einem „Schulethos“ bereits gegeben, die auf das Miteinander in sozialen Netzwerken auszudehnen bzw. anzuwenden sind. Was für die Schulgemeinschaft als ganze gilt, bewahrheitet sich, wenn es von einer Klasse gelebt wird; die „geheime“ Kommunikation der Klasse oder Gruppe im sozialen Chat darf keine Ausnahme bilden.
Fängt man im Kleinen an, können sich aus dem Ethos des RUs wertvolle Multiplikationen ergeben. So wie der abstrakte Begriff der Freiheit nur im Konkreten als die eigene Freiheit im Licht der Freiheit des Anderen anschaulich werden kann, bedarf es für deren Verwirklichung weniger, aber klarer Regeln. In diesem Sinne ist es zielführend, die SuS initiativ werden zu lassen und – aufbauend auf den Arbeitsergebnissen der Unterrichtsbausteine – einen eigenen Dekalog für das Verhalten im Internet und in den sozialen Netzwerken formulieren zu lassen. Die SuS zeigen dabei eine hohe Sensibilität, an der deutlich wird, dass noch immer die Regeln der unvermittelten
„face-to-face“-Kommunikation die Regeln der virtuellen Wirklichkeit zu gestalten vermögen: Erst einmal apodiktisch und freiheitsermöglichend, wie der Dekalog; die Kasuistik obliegt dann der Schulordnung.
Ein besonderer Dank gilt dem Lions Club Limburg-Domstadt, der das Projekt „Digitale Helden“ für mehrere Limburger Schulen finanziell ermöglichte.
Zur Person
Jörg Baierschmidt und Matthias Werner sind Vertrauens- und Verbindungslehrer am Lessing Gymnasium Frankfurt/Main und unterrichtet die Fächer Katholische Religion, Sport und Erdkunde und Lehrer an der Marienschule und Referent für Gymnasien und Gesamtschulen der Abteilung Religionspädagogik im Dezernat Schule und Bildung des Bischöflichen Ordinariats Limburg.