Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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Bitte zurücktreten!

Die Wirklichkeit Gottes naturwissenschaftlich dingfest zu machen, ist ein metaphysischer Kurzschluss. Warum eigentlich?

Würde irgendjemand einen direkten Übergang zwischen Geld und Gott suchen? Würden wir argumentieren, dass Gott überall präsent ist, dass er also auch im Geld anwesend sein müsse? Würden wir Gott in einem Zehn- oder Zwanzig- Euro-Schein vermuten? Ich glaube, niemand würde auf eine so merkwürdige Idee kommen.

Dagegen gibt es seit Jahrhunderten die Idee, Gott müsse in den Modellen der Naturwissenschaft zu finden sein. So große Geister wie Isaak Newton sahen im absoluten Raum das „sensorium Dei“. Der absolute Raum war also für Gott das Medium seiner Anwesenheit im Kosmos und damit war ein direkter Bezug zwischen der göttlichen und der profanen Welt hergestellt. Allerdings konnte später gezeigt werden, dass der absolute Raum keine notwendige Voraussetzung der Newton‘schen Physik war, und so wurde Gott wieder einmal arbeitslos. Das ist übrigens das Schicksal aller dieser direkten Brückenschläge: Gott wird dingfest gemacht, aber da er sich nicht dingfest machen lässt, verschwindet er sofort wieder. Diese Dialektik ereignet sich quer durch die Geschichte der Wissenschaft: So war der belgische Physiker und Theologe Georges Lemaître der erste, der von einem „Urknall“ sprach. Man hatte zuvor vermutet, dass das Weltall großflächig immer gleich bleibe, man glaubte an die sogenannte „steady state“-Theorie. Lemaître konnte als Erster zeigen, dass das gesamte Universum vor einigen 14 Milliarden Jahren in einem winzigen Punkt vereinigt war. Er vermutete sofort, dass Gott die Ursache für diesen ersten Beginn sei, und sah in seiner Entdeckung einen Beleg für die Schöpfungstheologie. Papst Pius XII. übernahm diese Auffassung. Die moderne Physik bestätigte die Lehre der Bibel, wonach Gott im Anfang die Welt erschaffen habe. Aber auch hier ging es wie bei Newton: Es zeigte sich sehr rasch,

Die moderne Naturwissenschaft erlangte ihre Präzision erst, als sie
auf Sinnfragen verzichtete.

Hans-Dieter Mutschler

dass die Identifikation der Schöpfung mit dem Urknall ein metaphysischer Kurzschluss war, denn der Urknall ist nichts, was im eigentlichen Sinne existiert, sondern lediglich die Grenze der Berechenbarkeit aufgrund der heute akzeptierten Theorien. Ändern sich diese Theorien, dann wird der Urknall womöglich wieder verschwinden. Gott wird wieder arbeitslos. Im
Grunde handelt es sich hier um den „Lückenbüßergott“: Dort, wo wir nicht weiterwissen, fügen wir Gott als Argument ein, und wenn unser Wissensstand weiter fortschreitet, wird Gott wieder arbeitslos, ein unwürdiges Spektakel. Gleichwohl entstehen beständig Bücher, in denen Gott in den Ergebnissen der Naturwissenschaft gesucht wird. Eines der neueren stammt von dem Physiker Markolf Niemz, der seinen lieben Gott in jedem Elementarteilchen sucht und findet.

Wenn die Analogie mit dem Geld stimmt, dann gibt es höchstens eine indirekte Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Glaube. Wir würden Gott niemals in einem Zehn- oder Zwanzig-Euro-Schein suchen. Wir würden höchstens sagen, dass das Geld,

Gott ist nach christlicher Überzeugung der Sinngarant des Universums.

Hans-Dieter Mutschler

richtig gebraucht, ein Weg zu Gott sein könnte. Also wenn jemand viel Geld hat und benützt es dazu, den Armen zu helfen, dann würden wir hierin einen theologisch interpretierbaren Akt sehen. Aber nicht deshalb, weil das Geld Geld ist, sondern weil es zum Mittel eines höheren Zweckes wird.

So ist es auch mit der Naturwissenschaft. Ihre Ergebnisse sind so formal, so wenig mit Sinnperspektiven aufgeladen, dass wir von hier aus niemals einen direkten Weg zu Gott finden werden. Gott ist nach christlicher Überzeugung der Sinngarant des Universums. Die moderne Naturwissenschaft erlangte ihre Präzision erst, als sie auf Sinnfragen verzichtete. Der entscheidende Umschwung fand bei Galilei statt. Vor Galilei sah man in der Natur ein Weisheitsbuch, das direkt auf Gott verwies. Galilei hingegen vertrat die These, dass das „Buch der Natur in mathematischen Lettern“ geschrieben sei. Damit wurde Natur berechenbar, aber auch sinnlos. Nach dem Sinn des Gravitationsgesetzes oder dem Sinn der Elektrodynamik zu fragen, ist nun seinerseits sinnlos. Nur Wunschdenken, wie bei Markolf Niemz, kann vorgeben, in den formalen Modellen der Naturwissenschaft Gott entdeckt zu haben. Aber was wäre dann das Analogon zum Geld als einem Vehikel der Nächstenliebe?

Ein direkter Bezug zwischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und der Sinnperspektive „Gott“ verbietet sich, aber Naturwissenschaft ist nicht nur ein mühsames Suchen nach Einzelerkenntnissen, die wir im Labor überprüfen können. Der Naturwissenschaftler steht immer zugleich im Horizont des Seins, d.h. er bezieht sich implizit auf die Totalität des Existierenden, das aber nicht sein Objekt, sondern – wie Kant sagen würde – eine regulative Idee ist. Diese Idee leitet seine Forschung, ohne jemals eine handhabbare Größe zu werden. Es ist die Idee, dass die Natur letztlich einfach ist, dass sich ihre Dynamik in symmetrischen, eleganten Gleichungen ausdrücken lässt, dass unser Geist im letzten verwandt ist mit dem Geist, der die Natur durchdringt. Eine solche Grundüberzeugung hatten viele große Physiker, wie z.B. Max Planck, Albert Einstein, Werner Heisenberg und viele andere. Es ist also wie mit dem Geld: Im Quantitativen finden wir keinen Hinweis auf Gott, sondern erst dort, wo wir einen Schritt zurücktreten. Erst wenn wir die versteckte Metaphysik der Naturwissenschaft herausarbeiten, geraten Theologie und Wissenschaft in ein nachvollziehbares Verhältnis.

Aber warum gibt es dann diese ständigen Versuche des direkten Brückenschlags? Bücher wie die von Markolf Niemz erscheinen ja ständig, man denke an Dieter Hattrup, Carl-Friedrich von Weizsäcker und viele andere. Der Grund liegt darin, dass wir von einer Art „Wissenschaftsplatonismus“ eingenommen sind. Wir haben Neigung zu glauben, dass uns die Naturwissenschaft das Wesen der Dinge enthüllt, und wenn Gott zum Wesen der Dinge gehört, dann sollte auch die Naturwissenschaft eine göttliche Instanz sein. In Wahrheit zeigt uns die Naturwissenschaft lediglich, wie uns die Welt erscheint, wenn wir sie am Leitfaden der Kausalität erforschen. Wir sehen, wie sich eins aus dem anderen ergibt, also in der Form „Wenn A, dann B“. Was A und was B ihrem Wesen nach sind, lässt sich in einer solchen Sichtweise niemals erkennen. Die Frage nach dem Wesen ist keine naturwissenschaftliche Frage. Das heißt also: Wir müssen einen Preis bezahlen. Die stupenden Erfolge der Naturwissenschaft sind um den Preis erkauft, dass wir mit ihrer Hilfe Sinnfragen nicht mehr beantworten können, was übrigens zur Folge hat, dass wir nur auf sie gestützt auch keine moralischen Fragen mehr beantworten können. Die Atomphysik sagt uns nichts über den Sinn von Atomkraftwerken und die Gentechnologie nichts über Sinn oder Unsinn von Genmanipulation. So ähnlich wie uns das Geld nichts darüber sagt, wozu wir es ausgeben können.

Ist das Gesagte richtig, dann ist es zugleich ein Schlüssel für die heutigen weltanschaulichen Grabenkämpfe zwischen religiösem Fundamentalismus und dem sogenannten „Neuen Atheismus“. Der „Neue Atheismus“ argumentiert: Gott kommt in den Formeln der Physik nicht vor, also gibt es ihn nicht. Der Fundamentalismus argumentiert: Es gibt Gott, also muss er in den Formeln der Physik vorkommen. Beides ist ein abergläubischer Essentialismus. Gottes Existenz ist nicht von den Formeln der Physik abhängig, so wie sich das Gute nicht im Geld verbirgt. Wir müssen uns die Mühe machen, einen Schritt zurückzutreten. Aber das gilt ganz allgemein, wenn wir mit Gott etwas zu tun haben wollen.