Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Pain of Salvation (courtesy of Glassville Music) © Lars Ardarve

Life™ on sale!

Materialismus, Kommerzialisierung und Kapitalismus – Motive in den musikalischen Werken der Gruppe „Pain of Salvation“

In ihrem zweiten Werk „One Hour by the Concrete
Lake“, das 1998 erschien, nimmt sich die schwedische
Progressive Rock-Metal Gruppe „Pain of
Salvation“ nichts weniger vor, als die globalen Auswirkungen
der menschlichen Gier nach finanziellem Gewinn
und die Verflechtung des Einzelnen in Form einer
musikalischen Narration zu reflektieren. Mit diesem
hohen Anspruch steht das Album nicht alleine dar,
vielmehr ist es das zweite Glied in einer langen Kette
von veröffentlichten Konzeptalben, in denen der Kopf
der Gruppe, Daniel Gildenlow, den komplexen Zusammenhängen
der menschlichen Existenz nachspürt. So
erzählt „Entropia“ (1997) die Geschichte einer Familie
im Krieg; „The Perfect Element Part I“ (2000) behandelt
Aspekte der psychischen Entwicklung des Menschen
vom Kindesalter zur Adoleszenz anhand zweier, aufgrund
ihrer Vergangenheit gebrochener Existenzen.
Hierzu zählen ebenso das 2004 erschienene Album
„BE“, welches Phänomene des menschlichen Seins verbunden
mit metaphysischen Überlegungen in einem
musikalisch und inhaltlich komplexen Konzept tiefgehend
ergründet, als auch das Werk „Scarsick“ (2007),
das als Nachfolger von „The Perfect Element Part I“
politisch-gesellschaftliche und soziale Fragen thematisiert.
Das OEuvre lässt zu Recht vermuten, dass
die Sujets Materialismus, Kommerzialisierung und
Kapitalismus ein aus unterschiedlichen Perspektiven
bedachtes und stets widerkehrendes Moment in den
Werken der Gruppe darstellt.

"BE"

Imago (Homines Partus), das zweite Lied des Albums
„BE“, welches die Entwicklung der Menschheit portraitiert,
beschreibt das aus unschuldiger Neugier
und Wissbegierde wachsende Verlangen des Menschen
nach Besitz und Herrschaft über die Erde. Das
sich musikalisch durch einen ausgeprägt weltmusikalischen
Einfluss auszeichnende balladeske Stück beschreibt
ebenfalls das menschliche Sehnen nach dem,
was er nicht sein kann. Dieses Motiv erinnert durchaus
an das Konzept des in der leibnizschen Theodizee
beschriebenen malum metaphysicum. Denn er sehnt
sich nach der Macht über das Sein als solches – die
Verfügung über das Leben und seine Sterblichkeit.

Die Hybris des Menschen ist allegorisch im weiteren
Verlauf des Konzeptalbums im fiktiven Charakter
Mr. Money personifiziert, der mithilfe nahezu unbegrenzt
zur Verfügung stehender Ressourcen nach Unsterblichkeit
strebt. Seine Person offenbart die korrumpierende
Wirkung von Macht und Reichtum, die
jegliche Form von Menschlichkeit pervertiert und zur
inneren Leere und Einsamkeit führt. Die Liedtexte legen
weiterhin offen, dass nicht die Verfehlungen eines
Einzelnen für die Unheilszustände verantwortlich
sind: Das System („modern economics“) rechtfertigt
das Streben nach mehr Besitz. Mr. Money offenbart
jedoch die wahre Natur des Systems, das ausschließlich
zur Pflege des eigenen Egozentrismus dient und
zu einem ethischen Solipsismus führt.

"Scarsick"

„Scarsick“ kann durch seine drastische Lyrik durchweg
als scharfe Kritik gegen Materialismus, Konsumkultur
und Kommerzialisierung verstanden werden.
Mit dem Nachfolger des Albums „BE“ schlägt Pain
of Salvation musikalisch ebenfalls andere Wege ein:
Zeichnet sich „BE“ durch den Einsatz eines neunköpfigen
Orchesters und die vielfältigen musikalischen
Anleihen aus, besticht „Scarsick“ durch einen synthetischen
Sound, die Aufnahme von HipHop-Elementen
und eine explizitere Sprache. Die Entwicklung verkörpert
ein Proprium des Genres Progessive Rock par
exellence: die Aufnahme diverser musikalischer Einflüsse
in ein größeres Konzept. Will Romano konstatiert:
„In theory, no barriers exist in progressive rock:
at its best progressive rock is postmodernism runs
amok“.

Deutlich ablesbar wird dies beispielsweise an dem
Lied „America“ auf „Scarsick“. Es persifliert durch die
Aufnahme der Melodie des gleichnamigen Stückes aus
dem Musical „West Side Story“ die politische und gesellschaftliche
Entwicklung in den Vereinigten Staaten
zu Zeiten der Bush-Administration und kritisiert
diese mit deutlichen Worten. Hierzu zählt auch das
harsche Urteil über Handlungen, die ausschließlich
an finanziellen Interessen ausgerichtet sind, sowie
die Kritik an der weitreichenden Kommerzialisierung
der gesellschaftlichen Realität, welche die eigentlichen
Ideale der Nation sprichwörtlich verkauft und
Ungerechtigkeitsverhältnisse festigt. Ein besonders
effektvolles und geschickt platziertes Stilmittel stellt
in diesem Zusammenhang die abrupte Unterbrechung
mit der aus dem Fernsehen bekannten Ansage „We’ll
be back after this short break“ dar. Die Aussagen des
Liedtextes repräsentieren keinen platten Antiamerikanismus,
sie fordern die Menschen dazu auf, ihre
Stimme zu erheben („Raise your voices“). Dieser Appell
erhält seit der Präsidentschaft des „Deal Makers“
Donald Trump erneut und eine vielleicht noch weitreichendere
Relevanz, als er es unter der Bush-Administration
ohnehin bereits hatte.

In „Cribcaged“ richtet sich der Erzähler gegen die
Mechanismen der Gesellschaft, in der er selbst lebt:
der Besitz von Statussymbolen, Konformismus und
Oberflächlichkeit. Ein solcher Materialismus verhindert
den Blick auf das, was im Leben wirklich von Bedeutung
ist.

Der sechste Titel des Albums entfaltet das Motiv
der absolut kommerzialisierten Lebenswelt: „Kingdom
of Loss“ greift hierbei in der Komposition auf
eingesprochene Kommentare zurück, welche den Irrsinn
der suggerierten Notwendigkeiten in der modernen
Lebenswelt offenbaren. Kein Lebensbereich
bleibt von kommerziellen Interessen verschont; der
Mensch als homo oeconomicus existiert, um zu konsumieren
und um selbst konsumiert zu werden. „It’s
all on sale. (…) Life on sale. (…) We’re all on sale.“
Dabei wird er fortwährend durch product placement und andere Werbeformen schrittweise entmündigt, da
ihm von allen Seiten suggeriert wird, was für sein Leben
das Beste sei. Verkauft wird ihm jedoch die neue
Scheinfreiheit, selbst zu entscheiden, wann er wo was
genau tun möchte; die Frage nach der Notwendigkeit
wird hierbei schon gar nicht mehr gestellt. Allein ausschlaggebend
ist, dass der Mensch konsumiert und
kauft. Diese Beobachtung erinnert an Textzeilen aus
BAPs Lied „Ne schöne Jrooß“ (1980), in denen Wolfang
Niedecken diesen „Schwachsinn“ als „etappenweise
Entmündigung“ tituliert. Als gestalterisches Mittel
sind zahlreiche Begriffe des Liedtexts von „Kingdom
of Loss“ im Booklet des Albums mit Trademarkzeichen
versehen.

„One Hour by the Concrete Lake“

Das Werk erzählt die fiktive Geschichte eines Beschäftigten
der Rüstungsindustrie. Obwohl dem Mann
stets eingeredet wird, dass seine Tätigkeit nicht verwerflich
sei, beginnt er dies in Zweifel zu ziehen. Der
Protagonist erkennt, dass er das Rad einer großen
Maschinerie („The Big Machine“) ist. Ganz deutlich
wird an dieser Stelle der Rückgriff auf Pink Floyds
Album „Wish You Were Here“ (1975), das die psychische
Zerrüttung des ehemaligen Bandmitglieds Syd
Barrett thematisiert. Nach Ansicht der Gruppe trägt
die Verantwortung hierfür die Musikindustrie, welche
im zweiten Stück des Albums „Welcome to the Machine“
ebenso als Maschinerie tituliert wird. In beiden
Fällen manipuliert diese den Menschen für ihren
Zweck, Gewinne zu erwirtschaften. Auf „One Hour by
the Concrete Lake“ gehört zur systematischen Manipulation
die Unterteilung der Herstellung von Waffen
in viele Einzelschritte. Damit kann sich der Einzelne,
jedes Rad der Maschine, der Verantwortung für die
Wirkung des Hergestellten entziehen. Als Rad in der
Maschine wird der Mensch taub und blind, sein Gewissen
förmlich ruhiggestellt. Im Booklet findet sich
als Vorwort zum Liedtext „Inside“ ein Zitat Gandhis.
In diesem konstatiert er, dass Krieg (hier in Bezug auf
den zweiten Weltkrieg) ein Verbrechen gegenüber Gott
und der Menschlichkeit darstellt, für das jeder Verantwortung
trägt, der von der Herstellung der Waffen
bis zum Führen eines Angriffkriegs beteiligt ist.

Als Neujahrsvorsatz entscheidet sich der Mann
schließlich aus der Maschine auszubrechen und herauszufinden,
welche Folgen sein Handeln hat („New
Year’s Eve“). Hiermit beginnt der zweite Teil des Albums,
in dem der Protagonist weltweit verschiedene
Orte besucht, deren Zustand durch sein Handeln beeinflusst
werden. Durch den Besuch eines Kriegsgebiets
wird er der ihm verkauften Lüge gewahr, dass
die durch ihn hergestellten Waffen Leben schützen
(„Handful of Nothing“). Im Vordergrund steht einzig
die Erwirtschaftung von Gewinn.

Die zweite Station seiner Reise ist eine von langanhaltender
Trockenheit und sinkendem Grundwasserspiegel
heimgesuchte Gegend („Water“). Die Vorstellung,
Wasser sei ein einfach gegebenes Gut, wird durch
die Begegnung mit einem Einheimischen erschüttert,
der 10 Fuß tief graben muss, um an eine Menge von
überlebenswichtigem Wasser zu gelangen. Im Hinblick
auf den eigenen Lebensstil und die ungleiche Verteilung
der Ressource konstatiert er: „Water‘s for the chosen.
Water‘s for the few. Life is for the chosen. But only
if we believe it to be true … but we do!” Die Grundlage
des Lebens wird für wirtschaftliche Interessen unachtsam
missbraucht, um die Konsumgüter und Freiheiten
für wenige Menschen zu produzieren und zu garantieren.
Erschreckenderweise äußert der Einheimische ihm
gegenüber den Wunsch nach einem Radio und Auto –
selbst ihm scheint damit der Zusammenhang zwischen
seiner Notlage und der mit diesen Gütern verbundenen
Lebensführung verschlossen zu sein.

Seine Reise führt ihn zu amerikanischen Ureinwohnern,
deren Heimat durch die Ausbeutung der
Bodenschätze zerstört wurde („Home“). Im Gegensatz
zum „weißen Mann“, der kommt und wieder geht, ist dieses Land ihre Heimat, sie haben keine andere. Als
Vorwort zum Liedtext findet sich im Booklet ein Zitat
James Garretts, des Direktors für Umweltangelegenheiten
des Cheyenne River Reservates. Das sich
anschließende Lied „Black Hills“ präzisiert den Kontext,
indem es sich auf die Aussagen Garretts auf dem
World Uranium Hearing 1992 in Salzburg bezieht. Die
Gegend der für die Einheimischen heiligen Black Hills
dient als Abbaugebiet für Uran und ist seitdem für
lange Zeit verseucht. In einem weiteren Zitat Garretts
verweist dieser auf die Lügen der Atomindustrie, die
den Menschen in Europa noch immer weismacht, es
handle sich um eine saubere Industrie. Die Motive
dieses Teils weisen interessante Parallelen zum Lied
„Last Resort“ auf, das die Eagles 1977 auf ihrem Erfolgsalbum
„Hotel California“ veröffentlichten. Im Unterschied zur Passage auf dem Album „One Hour by
the Concrete Lake“ kritisiert das Lied der Eagles die
religiöse Rechtfertigung der Landnahme des weißen
Mannes aus finanziellen Interessen.

Im Stück „Pilgrim“ sinniert der Reisende über den
zurückgelegten Weg und die Erfahrungen, die er gemacht
hat. Ihm wird bewusst, dass, sobald er eine
Maschine verlässt, er sich in einer größeren wiederfindet.
Der eingeschlagene Weg mag ihn weiser gemacht
haben, jedoch zu welchem Preis? Die Erlebnisse
zersetzen ihn. Ein Ende scheint nicht in Sicht.

Auf seiner letzten Etappe steht er als gebrochener
Mensch an den Ufern des Karatschai-Sees („Shore Serenity“).
Der See zählt zu den weltweit am stärksten
durch radioaktiven Müll belasteten Orten. Die biologisch
relevante Strahlenbelastung einer Stunde führt
zur Strahlenkrankheit und innerhalb von zwei Wochen
zum Tod. Da der See mit der Zeit austrocknete und die
Gefahr bestand, dass der Wind die hochradioaktiven
Sedimente fortträgt, wurde er mit Beton verschlossen.
Der existenziell bedrohliche Aufenthalt am betonierten
See führt zur grundsätzlichen und unumkehrbaren
Einsicht, dass das Ziel der Reise nicht die Flucht aus
der Maschine ist – was ein unmögliches Unterfangen
darstellt. Aufgrund der Erfahrung am See wird ihm
verständlich, dass eine große Maschine nur aufgrund
ihrer Räder funktioniert: „But now I know that one cell
can kill and a big Machine stands and falls
with … a wheel …” Diese letzte Einsicht ist
teuer erkauft, denn die Ufer des Sees besiegeln
seinen baldigen Tod. Darauf weist eine
Zeile des letzten Liedes „Inside Out“ hin: „I
have only some weeks to give. But at last …
I live”. Zum Schluss resümiert er seine Einsicht,
dass seine weltweite Suche nach einer
Existenz außerhalb der Maschine bzw. des
Systems scheitern musste. Sein Zuhause ist
in einer Maschine, doch da die Räder den
Lauf derselben bestimmen, kann sie nur von
innen verändert werden. Doch die Einsicht
in die weltweiten Zusammenhänge wird den
Menschen verwehrt, da sie stets nur einen
kleinen Ausschnitt wahrnehmen. Der Weg
zur Erkenntnis ist schmerzhaft: „Just give it
all an hour by the Concrete Lake!“

Der Streifzug durch ausgewählte Werke
der Diskographie „Pain of Salvations“
verdeutlicht die künstlerisch vielfältige
Auseinandersetzung mit den Effekten von
Kommerzialisierung und Materialismus für
Mensch und Umwelt. Der Longplayer „BE“
nähert sich dem Themenkreis aus anthropologischer
Perspektive und beschreibt in
einem neomythischen Narrativ Grundzüge
des Menschen. „Scarsick“ offenbart pointiert
und beinahe satirisch die Widersprüchlichkeiten
menschlichen Verhaltens und die mediale
Einflussnahme, welche den Menschen
im gesellschaftlichen Kontext auf die Rolle
des Konsumenten reduziert. „One Hour by
the Concrete Lake“ diskutiert in einer Erzählung
die Verantwortung des handelnden
Subjekts in einer Welt unüberschaubar komplexer
Zusammenhänge.

Die Alben der Gruppe stellen einen reichhaltigen
und komplexen Fundus dar, der
dazu einlädt, sich tiefer mit den inhaltlichen
und musikalischen Konzepten auseinanderzusetzen.
Es entspricht dem Anspruch des
Genres selbst: Progressive Rock is not heard
– it is listened to.