Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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Demütiger Glaube oder ungläubiger Trotz?

Auszug aus der Predigt an Allerseelen 2017

Solange es den Tod gibt, ist Demut nicht möglich“ (Elias Canetti, Die Fliegenpein, Frankfurt 1995, 79) (...) Der Tod ist wahrhaftig unsere größte Demütigung. Und solange es den Tod gibt, werden wir Menschen dagegen angehen, uns auflehnen, kämpfen – bevor wir uns irgendwann ergeben. (...)

Dass wir Menschen Mängelwesen sind, ist die eine Seite. Unsere Lebenszeit ist begrenzt, wir sind anfällig für Krankheiten, arbeiten ineffizient und oft handeln wir unvernünftig. Aber wie sehr ist es uns doch im Laufe der Zeit schon gelungen, unsere natürlichen Grenzen zu erweitern. Sportler mit Prothesen erreichen in einigen Disziplinen schon ähnliche Leistungen wie Menschen ohne Behinderung. Implantate ermöglichen Tauben das Hören. Bionische Augen lassen Blinde sehen. Intelligent vernetzte Brillen werden unsere Lebenswelt mit der digitalen Welt bald noch weit effektiver verknüpfen, als es heute das Smartphone tut. Medikamente wehren Krankheiten und verzögern den Alterungsprozess. Verfahren der Gentechnologie wollen Erbkrankheiten abwenden. Und solange dies nicht gelingt, drängen die vorgeburtlichen Diagnostikverfahren immer massiver dazu, künftige menschliche „Mängelwesen“ erst gar nicht zur Welt zu bringen; die Zahl geborener behinderter Menschen nimmt ständig ab. Zusammengefasst werden diese Bemühungen einer Selbstoptimierung des Menschen durch eine Kombination von Gentechnik, Medikamenten, medizinischen Eingriffen, technischen Implantaten und künstlichen Körperteilen unter dem Begriff „Trans-
humanismus“. Die Hoffnung auf Unsterblichkeit mit Hilfe von Technik und Medizin hat in dieser Bewegung eine neue Dimension erreicht. Es ist eine Vorstellung vom ewigen Leben, die Glauben und Religion hinter sich gelassen hat. Und es klingt alles andere als demütig, wenn einer der bekanntesten Transhumanisten, der Nobelpreisträger Richard Seed, öffentlich posaunt: „Wir sind auf dem besten Weg, Götter zu werden.“

Natürlich müssen auch die Verfechter des Trans-
humanismus eingestehen, dass alles innerweltliche Streben nach Unsterblichkeit irgendwann auf physikalische Grenzen stößt. Solange die Naturgesetze gelten, ist Unsterblichkeit hier auf Erden undenkbar. Und gleichzeitig gibt es gehörig gute Gründe zur Kritik am maßlosen Streben nach Unsterblichkeit; denn der Weg dorthin – mit verbrauchender Embryonenforschung und pränatalen Ausleseverfahren – überschreitet die ethischen Grenzen von Lebensschutz und Menschenwürde in völlig unakzeptabler Manier. Und doch muss man das Gefühl haben, dass die biotechnischen Entwicklungen mehr und mehr Boden gewinnen; dass Forscher und Geschäftsleute, die dies unbedingt wollen, Wege und politische Konstellationen finden, die ihnen Freiräume geben. Ich finde (...) hier braucht es im größeren gesellschaftlichen, politischen und zwischenstaatlichen Stil Verständigungen darüber, welche Entwicklung des menschlichen Lebens wir künftig eigentlich wollen – es reicht nicht mehr aus, begrenzende Gesetze zu erlassen, die formulieren, was Forscher nicht dürfen.

Der Allerseelentag (...) ruft mir in den Sinn, wie wir Christen vor dem Hintergrund unseres Glaubens die „Optimierung“ des Menschen sehen, denn auch wir streben nach Vollkommenheit und Verwandlung. Der große Unterschied liegt darin, dass es dabei nicht vor allem um eine zeitliche Verlängerung des Lebens, um Verbesserung bestimmter Fähigkeiten oder größeres Glück im materiellen Sinn geht. Ziel unserer christlichen Veränderungsdynamik ist es, die Verbundenheit mit Gott, unsere tragende Lebensbeziehung immer mehr zur Wirkung zu bringen im Denken, im Reden und im Handeln. Wir streben danach, Jesus immer ähnlicher zu werden, denn wir glauben, dass Gott uns mit ihm das Bild des vollkommenen Menschen geschenkt hat. „Wer mein Wort hört und glaubt, hat das ewige Leben, ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen“, sagt Jesus. Das heißt, wer dem Glauben Raum gibt, der muss den Tod nicht fürchten, der atmet jetzt schon über diese Grenze hinaus.