Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Foto: Matthias Cameran

Fresh X made in Limburg

Die Fresh X-Kolumne stellt Konzepte zur religiösen Erneuerung vor. Auf knappem Raum gibt es frische Anregungen für die pastorale und bildungsorientierte Arbeit. Ein Entwurf zur religiösen Inter-vention im öffentlichen Raum #1.

A Type of Prayer

Die Londoner Uferpromenaden an der Themse sind gesäumt von Dichtern, die ihre kostbarste Ressource zum Verkauf anbieten. Hinter schmalen Tischen sitzen sie vor ihren schwarzlackierten Schreibmaschinen und warten auf Laufkundschaft: „Poet for Hire“. Und tatsächlich stehen nicht nur die Touristen bei diesen Mietpoeten Schlange: „Könnten Sie mir bitte ein Haiku für meinen Vater im Krankenhaus schreiben?“ Oder: „Ich brauche ein Liebesgedicht für mein Date heute Abend. Mach schnell.“ Daraufhin ein Nicken, dann brüten diese Cordhosen-Propheten einige stirnrunzelende Sekunden still vor sich hin, spannen ein leeres Blatt in die Vintage-Schreibmaschine vor ihnen und beginnen andachtsvoll mit fingerlosen Handschuhen das erbetene Auftragswerk Anschlag um Anschlag zu tippen – als wäre es 1973. Dann: Schrrrrruuuppp-bing! „There you go, your Haiku. Five Pounds, please.”

Tap the Spacebar for a Prayer

Schon mal ein Gebet für jemanden verfasst? Zum Beispiel in Frankfurt. Jemand sitzt vor dem Dom oder der Liebfrauenkirche mit Schreibmaschine. Fußgänger kommen, gehen. Schild: „Will write a prayer for you“ („Verfasse ein Gebet für Sie“) oder vielleicht „Prayer for Hire “ („Gebet für dich, frisch zubereitet“). Ein zerschundener Tisch, eine möglichst retroelegante Schreibmaschine, eine Christin, ein Christ. Fünf Stunden in einer Innenstadt an einem Samstag. Gebete für Passanten schreiben. Ist es so undenkbar?

Häufig verstehen Theologen Fresh X (= Fresh Expressions of Church) als eine aus dem angloamerikanischen Raum abgeguckte Modeerscheinung, die die Abwesenheit des Christentums hinter karnevalesken Aktionen versteckt. Sicher, eine solche bräsige Skepsis gegenüber Fresh X mag schon stimmen – oder auch nicht. Vielleicht liegt die Angst oder das Missverständnis gegenüber Fresh X-Aktionen und Projekten darin begründet, dass sie Kirche „neu“ oder „anders“ machen sollen. Gleichzeitig ist klar: Die hohle Beschwörungsrhetorik des Neu- oder Andersmachens mit den dazugehörigen naiven Parolen führte dazu, dass die praktische Theologie und Liturgiewissenschaft der letzten 20 Jahren kläglich und auf ganzer Linie versagte. Aber das ist es nicht, was Fresh X will.

Also, worum geht es? Bei Fresh X-Aktionen geht es darum, nicht unbedingt neu oder anders zu sein, son-dern frisch, krass frisch zu sein. Weißt schon: fresh ist englisch für frisch. Ein Eigenschaftswort. Also nicht abgestanden, nicht geschmacklos, nicht depressiv. Einfach nur total frisch, völlig fresh. Schon mal einen abgelaufenen Jogurt aufgemacht? Genau, ungenießbar.

Attitüde: Glaube ist erkennbar

Wenn also deprimierte Katholiken um Sie herum wieder einmal darüber hysterisch werden, wie man die Deckstühle auf der Titanic „neu aufstellen“ könnte, atmen Sie durch. Denn Sie haben Fesh X. Sie sind Fresh X. Es kommt darauf an, ob sie glücklich sind, mit dem, was Sie tun, ob andere sehen, dass Sie Ihr Glaube erfüllt; es kommt darauf an, dass Sie Ihr persönliches coming-to-Jesus mit anderen teilen können, weil diese anderen Menschen es Ihnen abnehmen. Fresh X unterteilt das Spielfeld nicht mehr in solche, die „religiöse Angebote machen“, und jene, die „religiöse Angebote wahrnehmen“.

Nochmal: Christ vertickt Gebete vorm Dom, frisch dahingetippt. Passant gibt Auftrag: Jeder Wunsch wird aufgenommen, jedes Ansinnen, jeder Dank, jede Freude wird in den sakralen Fünfzeiler reingefummelt. Ist es so undenkbar? Fresh X verlangt also nicht nur nach besseren Konzepten. Konzepte gibt es wie Sand am Meer. Auch gute. Fresh X verlangt danach, dass Sie selbst zuerst tiefer werden: ja, Sie selbst!“

Sich in den öffentlichen Raum zu setzen und ein religiöses Risiko per Schreibmaschine einzugehen, kostet Überwindung. Also, riskieren Sie was? Wie könnten Sie sonst auch erwarten, dass jemand etwas mit Ihnen riskiert – also z.B. ein Gebet tippen lässt? Auch dies gehört zur Übung. Fresh X will alle Teilnehmenden in religiösen Situationen verändern, erneuern, erfrischen – dies gilt für die Person hinter der Schreibmaschine, die sich nicht mehr zu fein sein darf und hinter abgestandenen Formen verstecken kann, ebenso wie auch für die Passanten und Menschen auf der Straße, die plötzlich keinen Jongleur, keine Musikanten vor sich haben beim Stadtspaziergang, sondern jemanden, der Gebete schreibt für sie, auf ihren Wunsch, und keineswegs umsonst. „Here's your prayer. Five Pounds, please.“