Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Georges de La Tour „Hiob und seine Frau“, Foto: Wikimedia

Hiobs Demut

Die Unterrichtsreihe für die Grundschule zeigt am Beispiel der biblischen Gestalt des Hiob, wie Widerstandsfähigkeit als Teil religiöser Kompetenz begriffen werden kann.

Gesellschaftliche Aktualität und Notwendigkeit

Die Nachrichten machen es tagtäglich allgegenwärtig: Widerstand ist eine Form des Aufstands, die sich nicht nur nationen-, sondern auch generationenübergreifend in allen Teilen der Welt wiederfindet. Ob in Form von Demonstrationen gegen autokratische und diktatorische Regierungen, ob in Form von Klagen gegen die Verletzung von Menschenrechten oder in Form von Protesten gegen unzureichende Klimaschutzkonventionen. Widerstand ist zu einer Tugend geworden, der man sich kaum noch entziehen kann und zunehmend kaum noch entziehen will. Der innere Drang zum Widerstand beginnt im Kleinen, wächst aber zu einer inneren Verantwortung heran, die zu Massenprotesten und zu dem Bewusstsein führt, dass die eigene Stimme einen Unterschied macht. Um es in den Worten Sophie Scholls zu sagen: „Man muss etwas tun, um selbst keine Schuld zu haben.” Auch Kinder haben dies spätestens seit der Greta Thunberg-Bewegung erkannt, die auch nach wie vor in Deutschland Schülerinnen und Schüler zu wochenlangen Freitagsdemonstrationen bewegt. Die Sensibilisierung für Widerstand in einer Welt, in der es eigentlich leichter wäre, sich der Verantwortung mit der Rechtfertigung fehlender Wirksamkeit zu entziehen, ist angesichts steigender Herausforderungen in einer sich stets verändernden Gesellschaft unabdingbar geworden.

Widerstandsfähigkeit als Teil religiöser Kompetenz

Während Widerstandsfähigkeit fächerübergreifend vermittelt werden sollte, kommt dem Religionsunterricht in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Rolle zu. Mehr als andere Fächer gibt er nicht nur Raum für Fragen und Ängste, die im Alltag von Kindern eine Rolle spielen, sondern kann gleichzeitig helfen, die Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler aus einer christlichen Perspektive heraus zu deuten. Oftmals werden nicht nur innerhalb der Gesellschaft, sondern auch in der Familie viele unangenehme Themen, wie zum Beispiel Tod, Krieg oder Leid, tabuisiert, was dazu führt, dass Kinder mit ihren Fragen, Gefühlen und Phantasien oftmals alleingelassen sind. Gerade dort, wo ihnen die Auseinandersetzung mit diesen Themen in der Familie fehlt, ist die Schule ein Ort, an dem alle zur Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler zugehörigen Themen angesprochen und in vielfältiger Form thematisiert werden sollten. Im Zusammenhang mit Widerstand rückt dabei die Verantwortung, die sich aus dem Gebot der Nächstenliebe begründet, in den Blickpunkt.

Das Buch Hiob im Religionsunterricht

Auch wenn das Buch Hiob zumeist in Bezug auf das Thema Leid und vorwiegend in der Sekundarstufe thematisiert wird, offenbart sich durch eine intensive Auseinandersetzung das Potenzial für die Thematik Widerstand und Demut. Die im Buch behandelten existenziellen Grundfragen bieten dabei unterschiedliche Anknüpfungspunkte, sich reflektierend mit der eigenen Gottesbeziehung auseinanderzusetzen. Die Verschiebung des Schwerpunkts vom Leid, das Hiob erfährt, hin zu seinem inneren Widerstand gegen Vorwürfe und Zweifel, der letztendlich zu Demut und zu einem von Gott geschenkten Frieden führt, ermöglicht eine Hoffnungsperspektive, die Kindern Mut (zum Widerstand) und Zuversicht schenken kann.

Einbettung in eine Unterrichtseinheit

Je nach intendiertem Kompetenzerwerb lässt sich die Geschichte Hiobs unterschiedlich einbetten und ausrichten. Wichtig ist es, die Lerngruppe in ihren Bedürfnissen und Entwicklungsständen aufzufangen. Für die Behandlung des Buches Hiob in der Grundschule müssen viele Aspekte genau bedacht und didaktisch reduziert beziehungsweise elementarisiert werden, um die Geschichte trotz der Komplexität für Kinder zugänglich zu machen. Um eine tiefergehende und reflektierte Auseinandersetzung zu ermöglichen, bietet sich die Behandlung der Thematik erst ab Klasse drei an.

Die Themen Widerstand und Demut erfordern ein höheres Maß an Abstraktion, da der Fokus stark auf der Innensicht Hiobs liegt und somit Empathiefähigkeit voraussetzt. Hierfür ist es notwendig, die Einführung des Buches so vorzubereiten, dass die Schülerinnen und Schüler zum einen zu dieser Abstrahierung in der Lage sind, zum anderen aber auch Anknüpfungspunkte aus der eigenen Lebenswirklichkeit finden. Sie sollen an Hiob erkennen, dass Widerstand wortwörtlich ein Kraftakt sein kann, der Klage und Schwäche einschließen und darüber in Demut zurück zu einer gestärkten Gottesbeziehung führen kann. Das Potenzial der Hiobgeschichte kann erst dann ausgeschöpft werden, wenn den Schülerinnen und Schülern die Aktualität des Buches durch die Übertragung auf die eigene Lebenswelt bewusst wird und sie Erschließungshilfen aus den Erfahrungen Hiobs eruieren können. Das kann allerdings nicht immer unmittelbar und sichtbar im Unterricht passieren, sondern offenbart sich oft erst einige Unterrichtsstunden oder gar Wochen später.

Die vorgestellte Unterrichtseinheit eignet sich besonders in Bezug auf die Förderung der personalen Kompetenz. Diese umfasst „jene Einstellungen, Haltungen und Fähigkeiten, die die Lernenden von ihren kognitiven und psychischen Voraussetzungen her befähigen, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu handeln. Ausgangspunkt hierfür ist eine realistische Selbstwahrnehmung.

Um es in den Worten Sophie Scholls zu sagen: ‚Man muss etwas tun, um selbst keine Schuld zu haben.’Auch Kinder haben dies spätestens seit der Greta Thunberg-Bewegung erkannt.

Rahel Sünkel

Das Bewusstsein für eigene Potenziale ist Voraussetzung zur Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts. Auf dieser Grundlage entwickeln sich ein positives Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Zur personalen Kompetenz gehören ebenfalls Aspekte der Selbstregulierung wie die Fähigkeit, sich situationsangemessen zu verhalten und eigene Lern- und Arbeitsprozesse sachgerecht und konzentriert zu steuern“ (Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum für Hessen Primarstufe Katholische Religion, A 2).

Die Unterrichtseinheit korrespondiert mit dem Gegenstandsbereich „Die Frage nach Gott“ im Teilrahmenplan der Grundschule Rheinland-Pfalz: „Die Geschichte des Ijob kennen, der trotz Schicksalsschläge und Leiden den Gottesglauben nicht aufgab.“

Methodische Hinweise und Tipps

Gerade aufgrund vielzähliger sensibler Themen, die im Buch Hiob angesprochen werden, ist es wichtig, die Lerngruppe gut zu kennen, um entsprechend auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können. Den Schülerinnen und Schülern sollten auf vielfältige Art und Weise Möglichkeiten gegeben werden, ihrer religiösen Sprachfähigkeit Ausdruck zu verleihen. Nicht jedes Kind ist in der Lage, seine Gefühle und Gedanken sprachlich wiederzugeben, gleichzeitig steht jedes Kind an einem anderen Punkt in Bezug auf seine religiöse Entwicklung, was sowohl im Unterrichtsgespräch als auch an den „Ergebnissen” deutlich wird. Umso wichtiger ist es, verschiedene Zugänge zu schaffen und gleichermaßen wertzuschätzen; dazu gehören neben schriftlicher und verbaler Auseinandersetzung beispielsweise Standbilder, Lieder, die kreative Umsetzung (z.B. mit Materialien), der Einsatz von Symbolen, bewusst gewählte Stillemomente und Godly Play.

In einer ähnlich durchgeführten Unterrichtseinheit hat sich die Integration der Schülerinnen und Schüler in das Godly Play als sehr bereichernd erwiesen, indem sie die Egli-Figur (z.B. Hiob) in die Hände nahmen, um ihr eine Stimme zu geben. Solche Schritte können helfen, spirituelle Erfahrungen zu ermöglichen, innerhalb derer ein spürbares Reifen und eine Stärkung des eigenen Glaubens stattfinden kann.

Fazit

Zweifelsohne ist die Behandlung der Hiob-Geschichte in der Grundschule für die Lehrkraft nicht ganz ohne Risiko verbunden. Dieses Risiko nicht als Hemmung, sondern als Chance zu begreifen, die individuelle Gottesbeziehung der Schülerinnen und Schüler durch das Einbeziehen ihrer eigenen lebensnahen Erfahrungen zu stärken und sie sowohl im Hinblick auf Leiderfahrungen als auch im Hinblick auf Widerstand zu ermutigen und herauszufordern, ist mutig und bereichernd zugleich.