Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Claudia Gärtner / Stefan Gärtner: Was die Stunde schlägt

 

Die Zeit spielt im christlichen Glauben eine zentrale Rolle. Sie strukturiert die christliche Deutung der Geschichte als Heilsgeschichte und ist ein existenzielles Thema, denn das Leben ist begrenzt durch die Zeitspanne von der Geburt bis zum Tod.

Vor diesem nicht thematisierten, aber implizit mitgedachten Hintergrund setzen sich die Pastoraltheologen Claudia und Stefan Gärtner mit dem Thema „Zeit“ auseinander. Sie tun dies, indem sie Kunstwerke aus der Vergangenheit, aber vor allem aus der zeitgenössischen Kunstproduktion auf ihre Auseinandersetzung mit der Zeit hin untersuchen. Sie wollen Einsichten aus den Zeiterfahrungen der Künstlerinnen und Künstler schöpfen, um das Zeitgefühl der Gegenwart aufzuspüren und um zu erkennen, „was die Stunde schlägt“.

In einem einleitenden Kapitel...

Joris-Karl Huysmans: Lourdes

Nicht Lourdes ist die geistliche Heimat von Joris-Karl Huysmans geworden, sondern die gotische Kathedrale, die den Beter birgt zum Innehalten und Innewerden von Gottes Gegenwart in seiner Seele, mit der in ihr gefeierten Hochliturgie über das Kirchenjahr hinweg, durchflutet von den in der Benediktinerabtei Solesmes erneuerten Melodien des gregorianischen Chorals. Huysmans beschreibt in seinen Romanen auch seinen eigenen Werdegang, vom Versuch der Selbsterlösung durch Ästhetizismus, Okkultismus und Rausch zum Erlöstwerden durch den dreifaltigen Gott. Von zwei Aufenthalten in Lourdes in den Jahren 1903 und 1904 wurden 1906 vierzehn Impressionen des Schriftstellers veröffentlicht, die in diesem Jahr auf Deutsch in einer ästhetisch ansprechenden Form neu von Hartmut Sommer herausgegeben worden...

Karl-Heinz Göttert: Weihnachten. Biographie eine Festes

 

Viele kennen den Kalauer zum Weihnachtsfest: Treffen sich zwei, sagt der eine zum anderen: „Weißt Du eigentlich, dass Heiligabend heuer auf einen Freitag fällt?“ Erschrocken der andere: „Hoffentlich ist es nicht auch noch der Dreizehnte?“ Dieser peinliche Bildungsfauxpas wäre nicht passiert, hätte man Karl-Heinz Götterts materialreiche Geschichte des Festes gelesen. Der Autor, geboren 1943, seines Zeichens emeritierter Germanistik-Professor, veröffentlichte in seinem fruchtbaren Akademikerleben eine Fülle von Fachliteratur und auch erfolgreiche populäre Sachbücher zur deutschen Sprach- und Kulturgeschichte. Der Verfasser nimmt sich „als Historiker“ die theologie- und kirchengeschichtliche Genese von Weihnachten von den ersten Anfängen bis in die Jetztzeit anhand der einschlägigen Quellen...

Jean-Philippe Toussaint: Der USB-Stick. Roman

Nachdem Facebook Milliarden Kunden weltweit für sich eroberte, bekommt es heute von anderen sozialen Medien zunehmend Konkurrenz; die „User“ wollen verantwortlicher mit ihren persönlichen Daten umgehen, obwohl keiner genau sagen kann, was bei einschlägigen Apps damit wirklich passiert – das ist ja das Unheimliche daran und zugleich das Betriebsgeheimnis von Facebook & Co. Auch in der Wissenschaft hat die Ursachenforschung inzwischen ausgedient; an ihre Stelle sind Analysen des Big Data getreten, die mit Korrelationen die Realität besser durchschauen und sogar recht zuverlässig voraussagen können.

Seltsam nur, dass ausgerechnet dem neuen Roman von Jean-Philippe Toussaint von prominenter Stelle – im Deutschlandfunk – vorgeworfen wurde, er nenne keine zureichenden Gründe für die Handlung...

Christian Lehnert: Gebete der Menschheit

Philosophie und Theologie reden überGott, das Gebet zu Gott. Es ist ein Vollzug – alleine im persönlichen Gebet oder gemeinsam in der Liturgie. Das weiß der evangelische Theologe, Librettist und preisgekrönte Lyriker Christian Lehnert, dessen Sammlung „Gebete der Menschheit“ in keinem theologischen Verlag, sondern in der bibliophilen „Insel-Bücherei“ erschienen ist. Ihm geht es um den „semantischen Raum“ bzw. den „Biotop“ (127), in dem das Gebet seinen Ort hat, sowie um seine Nähe zum Gedicht, sind doch „beide an der Grenze der vertrauten Sprache unterwegs und erkunde[n] Räume, wo die Worte noch fehlen“ (128f). In zehn Abschnitte gliedert Lehnert seine ebenso subjektive wie anregende Auswahl von 60 Gebeten aus unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Zeiten (9-101); hinzu kommen als...

Jan-Heiner Tück / Tobias Mayer (Hg.): Die Kunst umspielt das Geheimnis

 

Kaum ein Ereignis hat in den vergangenen Monaten die weltweite Kunst- und Literaturszene so sehr aufgewühlt, wie die Verleihung des Nobelpreises für Literatur im Dezember 2019 an Peter Handke. Während das Nobelpreiskomitee in seiner Begründung mit Handke einen der einflussreichsten Schriftsteller Europas nach dem Zweiten Weltkrieg lobte, der „das Ungesehene einfängt und uns zum Teil davon macht“, regte sich auf Grundlage einer Vielzahl politischer Texte Handkes, in denen er sich in apologetischem Modus zu den Gräueltaten des Jugoslawienkrieg äußerte, oder diese gar leugnete, ebenso vehementes Unverständnis und Kritik für diese Entscheidung. Mit seinen Texten polarisierte Handke schon immer – mit dem ihn nun bekleidenden Nobelpreis wird er es unaufhörlich weiter tun.

Für Jan-Heiner Tück...

Knut Wenzel: Poesie des aufgegebenen Worts

Das Werk eines Fundamentaltheologen und Dogmatikers der Katholischen Theologie – diesen Fachrichtungen ist die Professur Knut Wenzels an der Universität zu Frankfurt zugeordnet – ist gemeinhin ein Kompendium zu philosophisch möglichst stringent begründeten theologischen Theoremen oder Glaubensgewissheiten. Der Titel seines neuen, seit 2019 vorliegenden Buches verweist aber auf eine interdisziplinär ausgreifende Thematik und erzeugt zudem eine erste Irritation mit dem doppeldeutigen Partizip in der Formulierung „des aufgegebenen Worts“: Es beschreibt einerseits die Aufgabe im Sinne der zu erfüllenden Arbeit, Bestimmung oder Pflicht, die mit dem Wort verbunden sein mag, andererseits aber ihr vordergründiges Gegenteil, das resignierte Aufgeben und Fallen- oder Gehenlassen desselben. Eine...

Martin Mosebach: Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer

Ein bemerkenswerter, aber nur selten thematisierter Aspekt von „Weltoffenheit“ besteht darin, dass die Offenheit gegenüber fremden Einstellungen und Gepflogenheiten häufig umso größer ist, je weiter die betreffende Kultur räumlich oder mental entfernt liegt. So verfolgt der aufgeklärte westliche Tourist mit Neugier und Interesse die Gesänge und Zeremonien der buddhistischen Mönche in dem Bergkloster, an dem er auf seinem Himalaya-Treck vorbeikommt, während er gegebenenfalls im heimischen Umfeld die religiösen Ausdrucksformen seiner christlichen Mitbürger als zu überwindendes Relikt aus der Kindheitsphase der Menschengattung empfindet und dies nach außen bekundet, ohne die Befürchtung hegen zu müssen, der Intoleranz geziehen zu werden. Auch innerhalb christlicher Kreise selbst lässt sich...