Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hartmut Rosa: Demokratie braucht Religion

In diesem kleinen Büchlein ist neben dem Vorwort von Gregor Gysi ein Text abgedruckt, der im Wesentlichen, wenn auch nicht ganz wörtlich, den Vortrag wiedergibt, den der inzwischen recht bekannte Jenaer Soziologie Hartmut Rosa beim Würzburger Diözesanempfang am 17.01.2022 gehalten hat. Er wurde online übertragen und kann noch heute auf YouTube angesehen werden. Der ursprüngliche Titel, unter dem der Vortrag angekündigt war, lautete: „Rasender Stillstand? Individuum, Kirche und Gesellschaft im Angesicht der Krisen – ein soziologischer Bestimmungsversuch.“ Dieser Titel trifft das Thema eigentlich besser, denn zur Frage, ob Demokratie Religion wirklich braucht, wird erst am Ende des Textes etwas gesagt.

Entsprechend der grundlegenden Thesen, die Rosa in anderen Werken bereits eingehend...

Tom Holland: Herrschaft. Die Entstehung des Westens

Inmitten eines religiösen Wandels, der Deutschland, Europa, ja die gesamte westliche Welt erfasst hat, gibt es immer wieder Stimmen, die auf die Bedeutung des Christentums für die Prägung des Abendlandes hinweisen. Neben Philosophen (Tim Crane, François Jullien) und Theologen (Manfred Lütz, Jörg Lauster) melden sich dabei selbstverständlich auch Historiker zu Wort. Einer von ihnen ist der Bestseller-Autor Tom Holland, der in seinem 600-seitigen Werk „die Entstehung des Westens“ nachzeichnet. Die leitende Perspektive seiner Darstellung wird durch den radikalen zivilisatorischen Umbruch bezeichnet, den die Ausbreitung des Christentums in der Antike und die von ihm ausgehenden Impulse für die Jahrhunderte danach bewirkten: „Meine Zielsetzung ist sowieso schon anmaßend genug: herauszufinden,...

Barbara Schmitz: Was ist ein lebenswertes Leben?

Die Frage „Was ist ein lebenswertes Leben?“ zu stellen, ist für die Philosophin und Autorin des gleichnamigen Buches von Barbara Schmitz keineswegs nur eine, die lediglich theoretisch beantwortet werden kann. In den acht Kapiteln ihres Buches greift sie auf einen persönlichen und biographischen Erfahrungsschatz zurück, der die philosophische Problemstellung mit eindrücklichen und oft bewegenden Beispielen praktisch umreißt. Damit wird sie ihrem Ziel, „die Erfahrungen dieser Menschen in den Kontext von philosophischen Theorien, Ansätzen und Argumenten zu stellen, so dass [sic] nach und nach ein Bild davon entsteht, welche Schwierigkeiten sich beim Nachdenken über das lebenswerte Leben ergeben, aber auch welche Einsichten und Lösungen man gewinnen kann“ (29-30), mehr als gerecht.

Angeleitet...

Wolfgang Beinert / Rosemarie Egger (Hg.): So viel Leid und Gott?

 

Große Fragen sind meist dadurch gekennzeichnet, dass es keine einfachen Antworten gibt. Oder wie es im Vorwort zum Buch heißt: „Fragen, die das Leben immer wieder Glaubenden, Suchenden, Zweifelnden stellt, Glaubensfragen, die uns existenziell bewegen. Darum geht es in diesem Buch.“ (5) Konkret geht es um die Frage nach der Vereinbarkeit von Leid und Gottes Existenz, dem großen Warum des Glaubens. Viel ist bereits dazu geschrieben worden – Traktate in der Philosophie und Theologie, literarische Umsetzungen, die biblische Hiobserzählung und ihre Auslegung.

Die beiden Herausgeber – die Schriftstellerin und Lyrikerin Rosemarie Egger (*1938) sowie Wolfgang Beinert (*1933), ehemaliger Professor für Dogmatik und Priester – wählen einen zweifachen methodischen Zugang mit einem reichen Angebot...

Martin W. Ramb / Holger Zaborowski (Hg.): Solidarität und Verantwortung oder Was Europa zusammenhält

Publikationen, die sich in besonderer Weise um Tagesaktualität bemühen, stehen in einer spezifischen Gefahr. Was im Moment der Planung und Durchführung eines solchen Projektes von drängender Aktualität ist, kann zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon überholt sein. So ist es dem vorliegenden Sammelband ergangen, der angesichts der Corona-Epidemie, der Finanzkrise, des Klimawandels und der nach Europa strömenden Migrationsbewegungen die Frage stellt, was Europa zusammenhält. Das Titelbild zeigt eine über der europäischen Landkarte schwebende Rettungsweste, und dass der Rand des Buchdeckels dabei ausgerechnet die Ukraine durchschneidet, wird zur traurigen Allegorie. Erst recht wirkt es aus der Zeit gefallen, wenn ein Beitrag die Europäische Union nicht nur einen „Glücksfall der Geschichte“...

Stefan Seidel: Grenzgänge. Gespräche über das Gottsuchen

Der Theologe, Psychologe und Journalist Stefan Seidel geht davon aus, dass Gott den allermeisten Menschen von heute „schlichtweg abhandengekommen“ sei. Spurenelemente des Glaubens oder auch nur des Staunens, wie sie an den Feiertagen oder im Urlaub aufkommen, sollten darüber nicht hinwegtäuschen. Über diese Annahme ließe sich trefflich disputieren, vermutlich trifft sie zuvorderst auf den spätmodernen, seinen spirituellen Quellen entfremdeten „Westen“ zu. Davon abgesehen lag es für den leitenden Redakteur der Leipziger Wochenzeitung „DER SONNTAG“ nahe, mit Zeitgenossen ins Gespräch zu kommen, die etwas von Gott, von ihren Erfahrungen mit Ihm, zu berichten wissen. Neunzehn Gespräche sind in dem Band versammelt, Glaubensweisen bekannter Persönlichkeiten wie der Autorin Marica Bodrožić, des...

Lars Allolio-Näcke: Anthropologie und Kulturpsychologie der religiösen Entwicklung

Lars Allolio-Näcke legt in seinem Band, der zugleich seine 2014 abgeschlossene Habilitationsschrift darstellt, den Entwurf einer „kulturpsychologischen Theorie der religiösen Entwicklung“ vor. Mit einem vorangestellten Zitat Ernst E. Boeschs und in seinem Vorwort macht der Autor klar, dass er Ansätze der akademischen Psychologie zur Religionspsychologie für nicht weiterführend hält und in einer an Boesch orientierten Kulturpsychologie die Lösung sieht.

So beginnt die Gliederung der Arbeit zunächst auch mit einer Betrachtung des Verhältnisses von Theologie und Psychologie, die der Autor in einem großen historischen Bogen mit der Säkularisierung der Universitäten beginnt (Kap. 1). Die Theologie kommt fast ausschließlich als protestantische Theologie zur Sprache. Differenziert ist seine...

Jürgen Werbick: Theologie anthropologisch gedacht

In seiner viel beachteten Abhandlung „Der Nachmittag des Christentums. Eine Zeitansage“ entwirft der tschechische Theologe und Soziologe Thomás Halík einen methodologischen Zugang, der das Verhältnis von Glaube und Kultur zu fassen versucht, und nennt diesen Kairologie. Diese theologische Hermeneutik, so Halik, ermögliche den christlichen Anspruch, die Zeichen der Zeit wahrnehmen, deuten und entsprechende Konsequenzen aus ihnen ziehen zu können. Notwendigerweise bedarf eine solche theologische Konzeption einer interdisziplinären akademischen Zusammenarbeit: „Die Theologie ist der Dienst am Glaube; der christliche Glaube hat jedoch in der Kultur und Gesellschaft Gestalt angekommen, und wenn wir ihn verstehen und ihm dienen wollen, müssen wir ihn in seinem Kontext wahrnehmen und auch diesen...