Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Marius Reiser: „Und er wurde vor ihren Augen verwandelt“

Marius Reiser versetzt die Leser seines Buches „Und er wurde vor ihren Augen verwandelt" in gläubiges Staunen. Der Untertitel „Fiktion und Wahrheit in neutestamentlichen Geschichtserzählungen" veranlasst, das Rezeptionsverhalten hinsichtlich biblischer Schriften neu zu bedenken: Die im Rahmen des akademischen Studiums erworbene historisch-kritische Exegese beschneidet die Sicht auf den Textcorpus als einen rein literarischen Forschungsgegenstand, um Gattung und Herkunft zu bestimmen. Die Skepsis gegenüber der Historizität biblischer Geschichten stellt sich insbesondere bei der einzigartigen und im Titel zitierte Tabor-Erzählung ein.

Der Autor thematisiert in den ersten Buchkapiteln das aus der Leserperspektive aufgeworfene Spannungsverhältnis zwischen historischen Fakten einerseits und...

Dietrich Rusam: Der Evangelist. Die Autobiografie des Lukas

Eine fiktive „Autobiografie“ des Evangelisten Lukas zu schreiben ist ein Unterfangen mit einiger Fallhöhe, das gleichermaßen intensiver bibelwissenschaftlicher Kenntnis und mutiger Kreativität bedarf. Der Neutestamentler Dietrich Rusam, dessen Habilitation dem lukanischen Doppelwerk gewidmet war, bringt mit seinem breiten beruflichen Erfahrungsspektrum von Universität über Gemeinde bis Schule dafür alle Voraussetzungen mit.

In vierzehn Kapiteln, von Jahreszahlen (datiert auf 22 bis 85 n.Chr.) und teilweise biblischen Stellenangaben begleitet, lässt er „Lukas“ dessen Leben von der Geburt bis ins hohe Alter rekapitulieren. Als später Sohn eines aus Jerusalem nach Alexandria Troas ausgewanderten Elternpaares wird Lukas von klein auf mit jüdischer und griechischer Bildung vertraut gemacht. Er...

Stefan Alkier / Thomas Paulsen: Das Evangelium nach Johannes und die drei Johannesbriefe

„Geschrieben steht: ‚Im Anfang war das Wort‘ / Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? / Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, / Ich muss es anders übersetzen, / Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.“ Nicht nur Goethes Faust bereitet die Übersetzung des Johannesevangeliums erhebliches Kopfzerbrechen. Er streicht bereits beim ersten Vers die Segel. Wie die Übersetzer Stefan Alkier und Thomas Paulsen feststellen, entfernt sich Faust mit seinen Übersetzungsversuchen des Wortes λόγος (Sinn, Kraft, Tat) sukzessive weiter von einem möglichen Wortsinn, um schließlich bei einer Bedeutung anzukommen, die der Begriff unter keinen Umständen haben kann. So lässt sich der Beginn von Goethes Faust als exegetischer Treppenwitz lesen. Je länger über der adäquaten Übersetzung gebrütet...

Reinhard G. Kratz: Die Propheten der Bibel

„Die Propheten der Bibel. Geschichte und Wirkung“ von Reinhard G. Kratz kann zu Recht als prägnante, allgemeinverständliche und sehr gut lesbare Einführung in die Welt der biblischen Prophetie verstanden werden. Bei dem 2022 erschienenen Band handelt es sich um die Neubearbeitung des Vorläufers „Die Propheten Israels“ aus dem Jahr 2003. Auch wenn es für den Buchhandel möglicherweise unter der Rubrik populärwissenschaftlich kursieren mag, so ist diese Hinführung zur Welt der Prophetie weit davon entfernt, oberflächlich zu sein! Das Buch darf als Fachliteratur gesehen und gelesen werden, die sowohl für Studierende als auch für im Bereich von Schule und Seelsorge Tätige sehr hilfreich ist. Innerhalb der Fachwelt würde mit Sicherheit an der einen oder anderen Information, die gegeben wird, ein...

Walter Dietrich: Die Samuelbücher heute gelesen

„Die Samuelbücher sind, leider, voller Krieg.“ – Mit diesen Worten beginnt Walter Dietrich sein Kapitel über Krieg in den Samuelbüchern. Schrecken etwa Gewalt und Krieg im biblischen Text Leser und Leserinnen davon ab, diese beiden Bücher des AT zu lesen? Oder sind diese vielleicht – so vermutet es der Autor – deshalb sperrig, weil sie so viele Geschichtsdaten enthalten, Namen und Ereignisse nennen, die nicht ganz so geläufig sind? Dabei geht es in diesen Schriften doch um Themen, die uns bis auf den heutigen Tag beschäftigen und aktueller sind als je zuvor: Politik, Gewalt, Macht und Machtmissbrauch, Staatenbildung, Krieg – aber auch die Frage nach dem Wesen von Menschen und den Bildern, die diese sich von Gott machen.

Dem Autor, Walter Dietrich, einem ausgewiesenen Experten der...

Irmtraud Fischer: Liebe, Laster, Lust und Leiden. Sexualität im Alten Testament

Mit dieser gründlichen Studie zur Rolle der Sexualität im AT wird eine wichtige Lücke geschlossen. Es erübrigt sich auszuführen, warum ein solches Buch für den Religionsunterricht ein wichtiges Hilfsmittel sein kann bei Schülerinnen und Schülern mit entsprechenden Fragestellungen.

Die Autorin hat mit einer nicht einfachen Schwierigkeit zu ringen. Da Sexualität für das AT kein eigenständiges Thema darstellt, sondern immer nur im Zusammenhang mit anderen Themen auftritt, könnte die Gefahr bestehen, die Frage nach der Rolle der Sexualität von außen an die Texte auf Kosten der ursprünglichen Aussageabsicht heranzutragen. So weiß die Autorin aus ihrer exegetischen Allgemeinbildung, dass viele Erzählungen welterzeugende Mythen darstellen, so dass damit „herausragende Ereignisse erzählt werden,...

Martin Walser: Lieber träumen wir alles, als dass wir es sagen

Drei alte weis(s)e Männer treffen sich in einem wunderschönen Haus direkt am Ufer des Bodensees. Arnold Stadler (68 J.) und Michael Albus (77 J.) besuchen Martin Walser (95 J.) in Nussdorf und sprechen zwei Tage mit dem Schriftsteller. Sie haben im Sinn, eine „dialogische Biografie“ Walsers aufzuschreiben. Was gäbe es nicht alles zu erfahren, wenn man einen so hochproduktiven und hochbetagten Autor, der inzwischen sein 96. Lebensjahr erreicht hat, ins Gespräch ziehen kann! Diese Chance wird respektvoll und intensiv genutzt. Walser lebt nunmehr ganz in der Gegenwart. Die Erinnerung ist kein kontinuierlicher roter Faden in die eigene Vergangenheit: „Zurückblicken – ich weiß nicht, was das ist.“ (11) Dafür gibt es aber „Rückblicksblitze“. Sie ziehen in Sekundenschnelle vorbei und...

Guido Morselli: Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit. Roman

Dieser Roman ist ein sprödes Meisterwerk, das so etwas wie eine anthropologische und weltanschauliche Formalität zum Ausdruck bringt. Diese Formalität ermöglicht es, den Roman unter den unterschiedlichsten weltanschaulichen Gesichtspunkten zu interpretieren (über die Hochreligionen und einen atheistischen Existenzialismus bis hin zum Anthropofugalismus). Passend zur Pandemie und zur Klimakrise wurde dieses Buch, das die Konsequenzen eines plötzlichen globalen Verschwindens der Menschheit erzählt, mit entsprechenden aktuellen apokalyptischen Bezügen in vielen Tageszeitungen und Feuilletons besprochen.

Hier meine Lesart: Der Roman kann in religionsgeschichtlicher Perspektive auch als (fast) traditionelle apokalyptische Jenseitsreiseerzählung verstanden werden. Zwar hat die traditionelle...