Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Agnès Poirier: Notre Dame

Eine Verlusterfahrung besteht darin, dass man bemerkt, was fehlt. Eine Verlustkommunikation liegt in der schieren Unendlichkeit der Klage darüber, dass etwas fehlt und nicht zurückkommt – wie im omnipräsenten Krisen-Sprech unserer Tage angesichts der Covid-19-Pandemie und unserer Sehnsucht nach „neuer Normalität“. Wie aber ist der Vorgang zu bezeichnen, dass man erst dann merkt, was man hatte, wenn es einem zu fehlen beginnt?

Nostalgie ist es nicht, hängt damit aber zusammen. Es ist deshalb keine Nostalgie, weil diese lediglich den Gemütszustand jenes Vorgangs angibt, ihn aber noch nicht qualifiziert. Der Vorgang selbst liegt in einer Gedächtnisfunktion. Genauer gesagt liegt er in der Fähigkeit, den Gedächtnisbesitz zu mobilisieren und verwertbar zu machen – für (mehr oder weniger...

Annettte Hilt / René Torkler / Anna Waczek (Hg.): Erzählend philosophieren – ein Lehr- und Lesebuch

Mit Nachdruck forderte der britische Philosoph Alfred North Whitehead in seiner grundlegenden Abhandlung „Wissenschaft und moderne Welt“ (1925), Philosophen sollten doch beständig und aufmerksam auf die Literatur als eigene Kunstform blicken, um „die innersten Gedanken einer Generation zu erkennen“. Whitehead sprach der Literatur dabei das Potenzial zu, im Modus des Erzählens Erfahrungen zu reflektieren, die nicht einfach als verwässerte philosophische Konzepte zu deklassieren wären. Vielmehr eröffnete die Literatur als Kunst für Whitehead einen weiten Resonanzraum, in dem sich Philosophie, verstanden als die vernunftbegründete Reflexion menschlichen Tuns, verdichtet ereignen würde.

In einem solchen Sinn beleuchten Annette Hilt (Professorin für Philosophie an der Cusanus-Hochschule...

Mehr Demokratie e.V. / BürgerBegehren Klimaschutz e.V. (Hg.): Handbuch Klimaschutz

Dieses Handbuch ist anders – nicht nur in der Größe A4, sondern in der klaren Ausrichtung und konkreten Umsetzung. Die Stimmen der neun Wissenschaftler zu Beginn wecken eine hohe Erwartung an Solidität der Information. Auftraggeber ist „Mehr Demokratie e.V.“, Projektträger das „Bürgerbegehren Klimaschutz e.V.“

Grafiken zu Klima, dem Handeln der Menschen und der Dynamik des Klimawandels geben einen ersten Überblick. Eine Zusammenfassung rundet den Einstieg ab. Fußnoten und wissenschaftliche Hintergrundinformationen wurden ins Internet ausgelagert https://handbuch-klimaschutz.de. Fragekästen am Ende jedes Kapitels regen zum Dialog über die jeweilige Lösung an. Wer noch daran zweifelt, dass eine ambitionierte Klimapolitik der Imperativ für dieses Jahrzehnt ist, profitiert besonders von der...

Roland Knillmann / Michael Reitemeyer (Hg.): Menschliche Gesellschaft 4.0

 

Eine Welt, in der die Digitalisierung alles und der Mensch nichts mehr selbst bestimmen muss, schildern Knillmann und Reitemeyer direkt zu Beginn; dabei bedienen sie sich eines Auszuges aus QualityLand, dem Buch von Marc-Uwe Kling, das eine dystopische Welt aufzeigt. Die Herausgeber des Sammelbandes betrachten dies als Warnung und nehmen daher die menschliche Gesellschaft 4.0 in den Blick. Grundlage für die im Buch enthaltenen Aufsätze ist eine Fachtagung, die im Juli 2019 vom Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V. und dem Ludwig-Windhorst-Haus, der Katholischen Sozialen Akademie des Bistums Osnabrück, initiiert wurde. Dabei sollte das Zentrum der Tagung (und damit des Buches) die Frage sein, wie Christen mit den digitalen Perspektiven umgehen und sich hierzu beraten lassen. Vier...

Die konvivialistische Internationale: Das zweite konvivialistische Manifest

Den Begriff „Konvivialität“ hat der Philosoph und vormalige Jesuit Ivan Illich in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts im Zusammenhang mit seiner Technikkritik geprägt. Er führt damit ein Bewertungskriterium für technologische Errungenschaften ein: Sie dürfen ein Gemeinwesen nicht systematisch überfordern, die Souveränität der Gesellschaft gegenüber der Technik nicht gefährden. Genau in diesem Sinne wurde der Begriff in den letzten Jahren, vor allem im Zusammenhang der Degrowth-Bewegung, wiederentdeckt und entscheidend weiterentwickelt. Andrea Vetter zum Beispiel arbeitet in ihrer ebenfalls im transcript Verlag erschienenen Dissertation („Konviviale Technik“) eine entsprechende Kriteriologie aus: Beziehungsqualität, Verbundenheit mit allem Lebendigen, Zugänglichkeit,...

Michael Blume: Verschwörungsmythen

In dem Film „Fletchers Visionen“ von 1997 deckt Jerry Fletcher (Mel Gibson) zusammen mit der Staatsanwältin Alice Sutton (Julia Roberts) eine ungeheure Verschwörung auf: Die CIA hat Menschen mit Hilfe von illegalen Experimenten zur Bewusstseinskontrolle gezielt zu Mördern ausgebildet, die in ihrem Auftrag unliebsame Zeitgenossen töten. Jerry Fletcher ist einer dieser Killer. Was den Film sehr spannend macht, ist nicht nur seine rasante Handlung, sondern auch, dass Jerry Fletcher in dem Film glaubhaft weiteren Verschwörungstheorien einen hohen Wahrheitsgehalt verleihen kann, die als moderne Sagen oder Legenden im kollektiven Bewusstsein gespeichert sind, wie z.B. die Versetzung des Trinkwassers mit Drogen durch die Regierung oder die Chemtrails.

Was dem Film „Fletchers Visionen“ einen...

Terry Eagleton: Opfer

Einer in dieser Hinsicht zutreffenden Rezension im Feuilleton einer großen deutschen Tageszeitung zufolge geht es dem britischen Literaturwissenschaftler Terry Eagleton, der eine Professur für Englische Literatur an der Lancaster University innehat, in seinem hier angezeigten Buch um die Suche nach einem Übergang von einem katholisch geprägten Christentum zu einem unorthodoxen Marxismus. Das neueste Werk des Autors zahlreicher, auch in deutschen Verlagen veröffentlichter Publikationen erschien in englischer Sprache im Jahr 2018 und in seiner deutschen Übersetzung zwei Jahre später im Wiener Promedia-Verlag. Möglicherweise kein amüsanter Zufall, denn im Jahr 2018 gab der 200. Geburtstag von Karl Marx Anlass zu einer Flut zahlreicher Veröffentlichungen und noch zahlreicherer Veranstaltungen...

Frauke Fischer / Hilke Oberhansberg: Was hat die Mücke je für uns getan?

 

Der dramatische Verlust von Biodiversität, welches als das größte massenhafte Aussterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier gilt, dürfte vielen bekannt sein. Aber das Wissen über die Ursachen und Folgen für das menschliche Leben ist nicht so verbreitet, wie es notwendig wäre. Und erst recht hat sich die Erkenntnis nicht im Handeln der Politik und der Bevölkerung niedergeschlagen. Klimawandel und Artensterben sind eng wechselwirkend miteinander verknüpft. Hier leisten die Biologin Frauke Fischer und die Umweltwissenschaftlerin Hilke Oberhansberg mit ihrem Buch nötige Aufklärung. Es ist fachlich solide und dennoch locker geschrieben, dass sowohl Schülerinnen und Schüler der Mittel- und Oberstufe als auch Vorstände es begreifen – wobei ich mir bei denen von Bayer/Monsanto nicht so sicher...