Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Werner Schüßler: Vom Ich, der Liebe und dem Tod

 

Mensch zu sein und immer mehr zu werden, impliziert auch, ein Ich sein zu können, in Beziehung zu leben und mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu sein. Die philosophische Frage nach dem Ich, nach der Liebe und nach dem Tod behandelt der Autor in den drei miteinander verknüpften Kapiteln seiner klar gegliederten, nuancierten Darstellung.

Von Karl Jaspers‘ existenzphilosophischer Analyse grundiert, umkreist das erste Kapitel zentrale anthropologische Aspekte der Frage nach dem Individuum. Der Autor wehrt sich gegen rationalistische Einseitigkeiten hinsichtlich des Ichs. Er setzt sich deshalb anschaulich mit kybernetischen Verengungen auseinander. Das Leben des Einzelnen manifestiert sich in unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden Seinsschichten. Der rationalistischen...

Martin Hoffmann: Protestantische Ethik

 

Es herrscht kein Mangel an Lehr- und Handbüchern der evangelischen Ethik. Warum also noch ein neues zur Hand nehmen? Antwort: Weil hier ein Autor schreibt, der in zwei sehr differenten kirchlich-theologischen Milieus und ihren Sprachen zuhause ist und diese Milieus zu einem ungewöhnlichen, ja: eigensinnigen Entwurf zusammenbindet. Der Verfasser, mit einer Arbeit über den lutherischen Theologen Hans-Joachim Iwand promoviert (Bezeugte Versöhnung, 1988), war Gemeindepfarrer und Rektor der (evang.-luth.) Predigerseminare in Bayreuth und Nürnberg. Seit zehn Jahren aber lebt er in Costa Rica und lehrt an der Universidad Bíblica Latinoamericana (San José).

Ganz im Sinne kontextueller Theologien beginnt Hoffmann zunächst in Teil I mit einer Beschreibung der sozial-religiösen Situation in...

Rainer Enskat: Aufklärung – Wissenschaft – Religion

 

In seinem in einem essayistischen Format gehaltenen Buch diagnostiziert Rainer Enskat ein neuzeitliches Spannungsfeld, das an eine Zerreißprobe grenzt. Anhaltspunkte dafür sieht er in der Selbstüberschätzung des Aufgeklärtseins, dem grenzenlosen wissenschaftlichen Fortschrittsoptimismus sowie im Heilsversprechen des Konsumismus. Die Themen Aufklärung, Wissenschaft und Religion markieren hierbei die zum Verständnis der Struktur des Spannungsfeldes entscheidenden Größen. Zur Erfassung dieser Struktur muss geklärt werden, ob innerhalb von Wissenschaft Aufklärung vollständig geleistet werden kann, und, wenn Religion angesichts von Wissenschaft und Aufklärung überhaupt eine Rolle spielen kann, welche das dann sein soll.

Enskat wählt zur Erklärung der Genese des Spannungsfeldes drei...

Michael Quante: Der unversöhnte Marx

Bei der Fülle der Marx-Publikationen, die anlässlich des 200. Geburtstages des Trierer Philosophen auf den Markt kamen, konnte man diesen schmalen, aber inhaltlich gehaltvollen Essay-Band leicht übersehen. Umso verdienstvoller ist es, dass sich der Verlag nun zu dieser gründlich überarbeiteten Auflage entschloss. Der Münsteraner Philosoph Michael Quante setzt bei seinen Lesern allerdings einiges an Kenntnis voraus. Für diese Zielgruppe der „Kenner“ aber bietet er eine Lesart an, die Marx‘ bleibende Aktualität weit über die oberflächlichen Aktualisierungen hinaus begründet. Im einleitenden langen Essay „Die Philosophie des Karl Marx“ entfaltet der Autor seine beiden Hauptthesen. Die übrigen Kapitel des Bandes beleuchten diese nochmal von einer besonderen Perspektive her.

Der Kern des...

Annette Kehnel: Wir konnten auch anders

Annette Kehnel (geb. 1963) ist Historikerin an der Universität Mannheim. Ihr Schwerpunkt ist die historische Anthropologie. In früheren Schriften hat sie sich mit dem Kloster Clonmacnoise in Irland und mit der franziskanischen Bewegung befasst.

Als Hans Carl von Carlowitz 1713 den Begriff der „Nachhaltigkeit“ notgedrungen in die Forstwirtschaft einführte, erfand er zwar einen neuen Begriff, aber die Praxis und Theorie nachhaltiger Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen gab es schon lange zuvor. Im Zuge der Moderne wurden die Theorien des 13. und 14. Jahrhunderts vergessen, und Kulturen der Bewirtschaftung, die viele Jahrhunderte lang funktioniert hatten, wurden im Namen des Fortschritts verdrängt. Das Ergebnis ist bekannt: Natürlicher Reichtum, wie z.B. die Artenvielfalt, schwindet,...

David Graeber / David Wengrow: Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit

Was haben Karneval, Weihnachten, die Zeit zwischen den Jahren und die großen Ferien mit menschlichen Kulturen zu tun, die 45.000 Jahre vor uns existierten, etwa den Erbauern von Stonehenge oder den Naturvölkern im Amazonas-Gebiet? Warum sollten wir vielleicht besser nicht von einem kontinuierlichen „Fortschritt der Menschheit“ ausgehen, der immer die abwerten muss, die auf irgendeiner der von europäischen Ethnologen definierten Entwicklungsstufe „stehengeblieben“ sind? Die Antworten erfahren wir aus dem bahnbrechend-aktuellen ethnologischen Bestseller des jüngst verstorbenen Star-Autors David Graeber und seines Kollegen David Wengrow. Das allerdings ist eine Herausforderung, muss man hier doch neben dem umfangreichen Literatur- und Anmerkungsapparat immerhin 560 Seiten Text bewältigen.

Di...

Achatz von Müller: Dante. Imaginationen der Moderne

Imagination ist, wie Achatz von Müller zusammen mit Ernst Cassirers Danteinterpretation herausstellt, das Gegenteil von machtvoller Prophetie und hält so in poetischer Weise die Geschichte offen (122). Die hier vorgestellte Lektüre präsentiert Dante als Inspirationsquelle für unsere spätmoderne Epoche gerade dadurch, dass er sich in seinen Imaginationen von Machiavelli, der für die Alternative eines „Willens zur Macht“ steht, abhebt. Diese werden vom Autor in einer durch Jacob Burckhardt inspirierten Lektüre in acht, keiner spezifischen Systematik folgenden Formen ausgeführt: Moderne, Stadt, Dante, Staat, Geld, Geschichte, Zeitgenossen, Porträts. Dadurch wird Dante in der „Rolle eines wegweisenden Inspirators der Moderne“ (18) präsentiert und den heutigen Lesern als „Zeuge d[]er Krise des...

Corine Pelluchon: Das Zeitalter des Lebendigen

 

Nicht weniger als neues „Zeitalter des Lebendigen“ will die französische Philosophin Corine Pelluchon mit ihrem Werk einläuten. Eine neue Aufklärung soll den Weg zu einer „anthropologischen Revolution“ ebnen, die Natur und Kultur durch einen ökologisch vertretbaren Ausgleich versöhnt, um die Übel zu heilen, die zu hemmungsloser Ausbeutung der Natur bis hin zur Gefährdung des Überlebens der Menschheit geführt haben. Die Übel selbst, die sie heilen will, liegen offen jedermann vor Augen: enthemmter Konsum, entgrenzter Wettbewerb, die „Kommerzialisierung des Lebendigen“, wofür die Massentierhaltung ein grausames Beispiel ist, sowie die Ausraubung der Ressourcen, Vermüllung der Meere und die globale Klimaveränderung usw.

Die Wurzel dieser Übel sucht Pelluchon im Anschluss an die...