Hans van Ess, Professor für Sinologie an der LMU München, legt mit diesem Buch eine Neuübersetzung des am zweithäufigsten übersetzten chinesischen Buches vor: der „Gespräche“ (Lunyu) des Konfuzius. Eine solche sei aus mehreren Gründen geboten: Zum einen seien die Übersetzer „bis zum 2. Weltkrieg fast durchweg christliche Missionare“ gewesen, weshalb damit eine – nicht zutreffende – „christliche, zum Teil humanistische Begrifflichkeit“ bis in die heutige Zeit vorherrsche. Zum anderen lieferten die neueren Übersetzungen „fast ausnahmslos keine wirklich neuen Erkenntnisse“, sondern spiegelten vielmehr die „persönlichen Vorlieben der Übersetzer“ wider. Überdies sei Lunyu – entgegen der bisherigen Annahme – kein „aus weitgehend unzusammenhängenden Sentenzen“ bestehendes Werk, sondern bis ins...
Wenn man lesend den Kosmos Heinrich Heines (1797-1856) betritt, nähert man sich gleich zwei Welten: einmal der eines der herausforderndsten deutschsprachigen Dichter seiner Epoche, darin ganz und gar individuell und einzigartig; gleichzeitig aber auch dem Leben einer repräsentativen Gestalt, hin- und hergerissen zwischen den Welten des ererbten Judentums und der durch Konversion erschlossenen Welt des (evangelisch geprägten) Christentums.
Dass Heines Konversion kaum einer wirklich religiösen Überzeugung entsprochen hatte, dass er sie umgehend bereuen und später herunterspielen würde, das war bekannt. Auch, dass diese Taufe ihm primär als billet d’entrée zur kulturellen Zugehörigkeit dienen sollte – eine Wunschvorstellung, die sich nicht erfüllen würde –, gehörte zum Allgemeinwissen über...
Im Januar 2024, in dem Jahr, in dem das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 75 Jahre alt wird und das seit seiner Verabschiedung die Grundlage dafür bildet, dass in diesem Land nach dem Zweiten Weltkrieg und den Gräueltaten der Nationalsozialisten das Leben in Freiheit und Würde möglich ist, erscheint der Jugendroman „Goldene Steine“ von Cornelia Franz.
Der Jugendroman erzählt die Geschichte von Yara (13), Leon (14) und Nikolai (15), die sich zufällig begegnen und die infolge antisemitisch bedingter Konfrontationen mit Rechtsradikalen und deren Auswirkungen eine besondere Freundschaft zueinander entwickeln. Ein verbindendes Element zwischen den Dreien, die in völlig verschiedenen Familiensituationen leben, stellt die unterschiedlich bedingte Einsamkeit in ihren Familien dar und das...
Bereits in der Einleitung legt der Autor dar, dass die jüdische Auslegung der Tora äußerst flexibel und vielfältig sei und es deshalb kein „richtig oder falsch“ gebe. Auch werde sie niemals als alleinstehender Text gelesen, sondern immer im „Spiegel“ der rabbinischen Literatur. Das Buch macht zudem deutlich, dass die Tora auch heute noch in die Gegenwart hineinwirkt und den Menschen Orientierung geben kann. Die Tora, die fünf Bücher Mose, wird im Laufe eines Jahres gelesen. Sie ist in 54 Parschiot (Wochenabschnitte) eingeteilt. Jeder Parascha (Sg.) wird eine Kurzzusammenfassung vorausgestellt, an die sich die Exegese anschließt.
In der ersten Parascha „Bereschit“ (Gen 1,1–6,8) behandelt der Autor gleich ein sehr diffiziles Thema, um das sich schon viele Religionsphilosophen bemüht haben,...
Vom 3. bis 4. November 2019 gab es in Berlin eine gemeinsame Fachtagung der Deutschen Bischofskonferenz mit der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Im Laufe der Tagung kristallisierte sich immer mehr heraus, dass das jeweilige Verständnis von Theologie, ihren Methoden und ihren Gegenständen unterschiedlich ist. Leider konnte dieser Thematik aus Zeitgründen nicht mehr vertieft nachgegangen werden; sie ist aber weiterhin ein zentraler Diskussionspunkt im jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland, der aber bisher wenig bearbeitet wurde. Von daher ist Michael Fishbanes Buch „Einstimmung auf das Heilige – Eine jüdische Theologie“ ein Glücksfall, der konstruktiv von christlicher Seite aufgenommen werden sollte. Wie die Einleitung von Markus Krah zeigt, sind im nordamerikanischen...
Innerhalb weniger Jahre erscheint mit Peter Schäfers epochaler Arbeit im deutschsprachigen Raum die zweite große Monographie zur Geschichte des Judentums, diesmal in der renommierten neuen Historiensammlung der Gerda Henkel Stiftung beim Beck Verlag, wo schon Jill Lepores „Geschichte Amerikas“ und Jürgen Osterhammels „Geschichte des 19. Jahrhunderts“ erschienen sind. Während Martin Großmann auf 750 Seiten 4.000 Jahre jüdische Weltgeschichte bearbeitet, konzentriert sich der namhafte Judaist und ehemalige Leiter des „Jüdischen Museums Berlin“, Peter Schäfer, auf die Aschkenas, also den Teil des europäischen Judentums, dessen Kultur inklusive seiner inzwischen weltweit verbreiteten Sprache – Jiddisch – im Römischen Reich Deutscher Nation bereits in der Antike entstanden, seinen Schwerpunkt...
Vor fünfzig Jahren hörte ich das erste Mal von Etty Hillesum: Der hellsichtige Religionspädagoge Hubertus Halbfas hatte ihre Sätze zitiert, Gott könne uns nicht helfen und wir müssten endlich ihm helfen und ihm einen Unterschlupf bei uns verschaffen, dann würden wir auch uns selbst helfen. Inzwischen sind diese Sätze aus ihrem großartigen Tagebuch (jüngst erst ungekürzt auf Deutsch erschienen) viel zitiert. Aber erst aus dieser mitreißenden Biographie wird richtig plastisch, in welchem Kontext diese Sätze geschrieben wurden, nämlich angesichts einer weiteren bösen Eskalationsstufe von Nazi-Gewalt mitten in Amsterdam. Glänzend recherchiert und spannend geschrieben, gelingt eine unglaublich detailreiche und trotzdem stringente Gesamtdarstellung von Etty Hillesums Leben und Werk, die fortan...
Die Europawahl 2024 hat gezeigt, dass sich die politischen Kräfteverhältnisse verschieben. Spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 finden in Deutschland politische Diskursverschiebungen verbunden mit teils scharfen öffentlichen Meinungsbekundungen statt. Solche Diskursverschiebungen werden häufig mit dem Stichwort „rechtspopulistisch“ beschrieben, weil sie Kriterien erfüllen, die diese Kennzeichnung nahelegen. Dazu gehört, dass diese Diskurse behaupten, einzig die Stimme „des Volkes“ zu repräsentieren. Dafür müssen solche Diskurse notwendig einen Gegensatz bzw. eine Feindschaft zwischen „den falsch regierenden Politikern“ und den normalen Menschen aufbauen, den „richtigen“ Angehörigen des Volkes und den „weniger richtigen“. Dazu kommen eine Affinität zu autoritären Haltungen...