Vom 3. bis 4. November 2019 gab es in Berlin eine gemeinsame Fachtagung der Deutschen Bischofskonferenz mit der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Im Laufe der Tagung kristallisierte sich immer mehr heraus, dass das jeweilige Verständnis von Theologie, ihren Methoden und ihren Gegenständen unterschiedlich ist. Leider konnte dieser Thematik aus Zeitgründen nicht mehr vertieft nachgegangen werden; sie ist aber weiterhin ein zentraler Diskussionspunkt im jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland, der aber bisher wenig bearbeitet wurde. Von daher ist Michael Fishbanes Buch „Einstimmung auf das Heilige – Eine jüdische Theologie“ ein Glücksfall, der konstruktiv von christlicher Seite aufgenommen werden sollte. Wie die Einleitung von Markus Krah zeigt, sind im nordamerikanischen...
Vor fünfzig Jahren hörte ich das erste Mal von Etty Hillesum: Der hellsichtige Religionspädagoge Hubertus Halbfas hatte ihre Sätze zitiert, Gott könne uns nicht helfen und wir müssten endlich ihm helfen und ihm einen Unterschlupf bei uns verschaffen, dann würden wir auch uns selbst helfen. Inzwischen sind diese Sätze aus ihrem großartigen Tagebuch (jüngst erst ungekürzt auf Deutsch erschienen) viel zitiert. Aber erst aus dieser mitreißenden Biographie wird richtig plastisch, in welchem Kontext diese Sätze geschrieben wurden, nämlich angesichts einer weiteren bösen Eskalationsstufe von Nazi-Gewalt mitten in Amsterdam. Glänzend recherchiert und spannend geschrieben, gelingt eine unglaublich detailreiche und trotzdem stringente Gesamtdarstellung von Etty Hillesums Leben und Werk, die fortan...
Die Europawahl 2024 hat gezeigt, dass sich die politischen Kräfteverhältnisse verschieben. Spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 finden in Deutschland politische Diskursverschiebungen verbunden mit teils scharfen öffentlichen Meinungsbekundungen statt. Solche Diskursverschiebungen werden häufig mit dem Stichwort „rechtspopulistisch“ beschrieben, weil sie Kriterien erfüllen, die diese Kennzeichnung nahelegen. Dazu gehört, dass diese Diskurse behaupten, einzig die Stimme „des Volkes“ zu repräsentieren. Dafür müssen solche Diskurse notwendig einen Gegensatz bzw. eine Feindschaft zwischen „den falsch regierenden Politikern“ und den normalen Menschen aufbauen, den „richtigen“ Angehörigen des Volkes und den „weniger richtigen“. Dazu kommen eine Affinität zu autoritären Haltungen...
Bereits der einem Oxymoron ähnliche Titel erzeugt Aufmerksamkeit und unterbricht ein flüchtiges Überfliegen des Titels: „Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt.“ War die Pastoral bis vor wenigen Jahren noch der Meinung, dass etwas fehlen müsse, wenn Gott im Leben von Menschen keine Rolle spielt, und dass es die missionarische Aufgabe der Kirche sei, die Menschen für diese Leerstelle zu sensibilisieren, so zeigt das Buch von Jan Loffeld einmal mehr, dass es einer deutlichen Haltungsänderung bedarf. Mit einer bislang kaum ernsthaft beachteten Option schließt Loffeld, Professor für praktische Theologie an der Tilburg University School of Catholic Theology in Utrecht, gut an seine Habilitationsschrift des nicht notwendigen Gottes (2020) an, indem er „die ,säkulare Option‘ des Apa-Theismus“ (34) ins...
Die Kirche ist zweifelsohne in der Krise. Dies zu bestreiten, wäre realitätsfern. Wie weit diese Krise geht, ist umstritten. Der Salzburger Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff geht mit seinem nicht als systematisch angelegte Ekklesiologie, sondern als pluriperspektivischer Essay konzipiertem Buch gezielt in das Zentrum des Katholizismus – nach Rom. Dort ist dieses Werk auch in großen Teilen entstanden. Die Leitidee ist: Der römische Katholizismus ist in Auflösung. Das bedeutet nicht das Ende des Katholizismus, es könnte sogar zu seiner Wiederentdeckung führen. Dieser vorsichtigen Prognose am Ende des Buches gehen acht luzide und komplexe Analysen voraus, die Hoff anlehnend an die Kameraführung „Blenden“ nennt. Eingerahmt von einer Einblendung und Abblendung, die den Begriff „Auflösung“...
Wen der paradox-prätentiöse Titel nicht abschreckt, der begibt sich in eine spannende Lektüre. Hermann Wohlgschafts Werk bietet einen Überblick über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur, fragt aus theologischer Sicht, wie die Gottesfrage thematisiert wird, und hält Anregungen bereit, persönliche Glaubensfragen zu klären, ohne dass der fachlich-literarische Anspruch der Darstellung darunter litte.
Der Autor ist promovierter Theologe, Priester der Diözese Augsburg, war dort in unterschiedlichen herausgehobenen Ämtern tätig und veröffentlichte zahlreiche Sachbücher zu theologischen und pastoralen Themen, zur Gegenwartsliteratur, aber auch eine Biografie Karl Mays.
In der vorliegenden handbuchartigen Veröffentlichung untersucht Wohlgschaft 53 Autoren der Gegenwartsliteratur von Thomas...
Christian Lehnert zählt zu den feinsinnigsten Flaneuren auf den Feldern von Theologie und Literatur. 1969 in Dresden geboren, verweigerte er den Wehrdienst in der DDR, studierte Theologie und wurde evangelischer Pfarrer. Sein waches Interesse gilt der Verhältnisbestimmung von Poesie und Religion, in zahlreichen Publikationen umkreist er das Zueinander beider Sphären. Innerhalb seines Oeuvres nehmen seine vielfältigen Gedichte eine besondere Stellung ein und lassen sich als reizvolle, tastende, religiöse Suchbewegungen verstehen. Die Rezeption der Gedichte und Texte von Christian Lehnert ereignet sich indes nicht selten herausfordernd: Während ein säkularer Literaturbetrieb mitunter skeptisch und irritiert auf seine religiöse Suche reagiert, erhoffen sich gläubige Menschen von seinen Texten...
Traditionell lässt die europazentrierte historische Forschung die Neuzeit im 16. Jahrhundert, bisweilen sogar gekoppelt an den Thesenanschlag Martin Luthers im Jahr 1517 beginnen. Da dies weder einem Blick in die Weltbelange standhält noch die globalen Einflüsse auf die Dramen in Europa einfängt, geht es Marina Münkler nicht nur um eine Einordnung europäischer Politik in einen größeren Kontext, sondern auch um eine zeitliche Ausdehnung der Epoche, indem sie vom „langen 16. Jahrhundert“ spricht und damit die Zeit zwischen 1453 (Eroberung Konstantinopels) und 1610 (Bedeutungsverlust der Spanier und Portugiesen als Großmächte) meint. Inhaltlich hinterfragt sie in einer terminologischen Analyse die „Leiterzählung einer eurozentrischen Geschichtsschreibung“ (24) und minimiert damit das Gewicht...