Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Bernhard Grümme: Öffentliche Politische Theologie. Ein Plädoyer

Als sich die Deutsche Bischofskonferenz im Rahmen ihrer Frühjahrsvollversammlung am 22. Februar 2024 mit ihrer Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ an die Öffentlichkeit wandte, waren die medialen und gesellschaftlichen Resonanzen sowie die Zustimmung zu dem Text hoch. Die Gruppe „Christen in der AfD“ fühlte sich von ihm dermaßen provoziert, dass sie am 29. Februar 2024 einen offenen Brief an die Deutsche Bischofskonferenz richtete. Im Gegensatz zu vielen anderen öffentlichen Verlautbarungen erzielte diesmal eine Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, die sich als politische versteht, eine breite Wirkung.

Dass Kirche und Theologie politisch sein müssen und sollen, ist ein Diktum, das der Theologe Johann Baptist Metz immer wieder in das gläubige...

Daron Acemoglu / Simon Johnson: Macht und Fortschritt. Unser 1000-jähriges Ringen um Technologie und Wohlstand

Das Buch ist eine wirtschaftshistorische Untersuchung. Bei der gegenwärtigen digitalen Technologieorientierung stellen sich die alten Konflikte verschärft neu. Bei der Einführung neuer Technologien gibt es immer die Optionen Beteiligung am Fortschritt versus Ausbau der bestehenden Machtverhältnisse. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Vision und die Überzeugungsmacht derer, die eine neue Technik einsetzen. Paradigmatisch steht dafür Ferdinand de Lesseps (1805-1894): Der Erfolg beim Bau des Suezkanals half ihm, Geldgeber zu überzeugen, doch sein Beharren auf einem Kanal ohne Schleusen führte zu seinem Scheitern, weil er die Topographie in Panama und die Kritik anderer Ingenieure ignorierte.

Die Untersuchungen von Daron Acemoglu und Simon Johnson konzentrieren sich auf England und die...

Ben Wilson: Die Weltgeschichte der Menschheit in den Städten

„Anhand der Lichtspuren, die nachts die Erdoberfläche sprenkeln, lässt sich das Ausmaß unserer aktuellen Urbanisierung vom Weltraum aus erkennen“, schreibt Ben Wilson. Der Historiker folgt seiner Profession und geht der Frage nach, inwieweit die Städte im Wandel historischer Epochen und geographischer Räume selbst ein „Schaubild der Conditio humana“ darstellen. Warum leben heute – mit steigender Tendenz – mehr als 50% der Menschheit in Agglomerationen? „Wir werden gerade Zeugen der größten Migrationsbewegung der Geschichte“, schreibt der Verfasser der „Weltgeschichte der Menschheit in den Städten“ über den bisherigen „Höhepunkt eines seit sechstausend Jahren währenden Prozesses, der uns bis zum Ende dieses Jahrhunderts zu einer urbanisierten Spezies gemacht haben wird.“

Wilson wählt eine...

Peter Frankopan: Zwischen Erde und Himmel. Klima – eine Menschheitsgeschichte

Der Oxforder Historiker Peter Frankopan widmete sich über 9 Jahre hinweg der Herkulesaufgabe, eine Globalgeschichte des Zusammenhangs zwischen Klima und Menschheitsentwicklung zu verfassen. Da das Buch bereits im Einband auf die Verbindung von Umweltveränderungen und der Entstehung von Religionen hinweist, verspricht es auch für religionsgeschichtlich Interessierte eine bereichernde Lektüre. Diese Erwartungshaltung wird nicht enttäuscht. Das Werk fordert die Kirchen und Religionen dazu heraus, ihre eigenen historisch gewachsenen Einstellungen und Glaubensüberzeugungen zur belebten wie unbelebten Natur vor dem Hintergrund eines der drängendsten Probleme der Gegenwart, die menschengemachte Klimakatastrophe, neu zu reflektieren.

In 24 Kapiteln spannt Frankopan einen reichen und facettenreich...

Julian Nida-Rümelin / Klaus Zierer: Demokratie in die Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidet

Bei der Landtagswahl in Bayern erreichten CSU (37%) und Freie Wähler (15,8%) wieder eine Mehrheit, die AfD gelangte mit 14,6%, die Grünen mit 14,4% und die SPD mit 8,4% in den Landtag. Die Wähler mit hohem Bildungsabschluss hätten die Regierung Söder/Aiwanger hingegen abgewählt (31+11%) und der AfD ein Drittel weniger Stimmen gegeben, dafür den Grünen 27 und der SPD 9 Prozent. Es liegt dem hier anzuzeigenden Werk zwar fern, seine nach separaten Vorworten miteinander verbundenen demokratie- und bildungstheoretischen Texte parteipolitisch oder auf formale Bildungsabschlüsse zu fokussieren, doch den grassierenden Populismus verstehen sie als Gefahr für die Rationalität der liberalen Demokratie. Ihr Haupttitel mag etwas nach „Nürnberger Trichter“ klingen, doch ihr Plädoyer für mehr...

Luke Russell: Das Böse

Der Autor, Philosophie-Professor an der Universität Sydney, publizierte diesen Text unter dem Titel „Being Evil“ in der englischen Originalausgabe anno 2020. In dankenswerter Klarheit exponiert der Verfasser gleich mit dem ersten Satz das Ziel seiner Erörterung: Existiert das Böse? Den halbwegs informierten Zeitgenossen überrascht diese Frage angesichts millionenfacher Grausamkeiten in der Weltgeschichte bis in die letzten Jahrhunderte mit Weltkriegen und Holocaust; aktuell ist das Böse mit dem Blick auf die Ukraine und auf Israel/Gaza doch mit den Händen zu greifen.

Luke Russel möchte im Kontext seiner Leitfrage zugleich klären, was der sprachliche Terminus „böse“ überhaupt bedeuten soll. Obwohl der Autor dies nie explizit benennt, ist er mit diesem Ansatz offensichtlich ein Vertreter...

Cynthia Fleury: Hier liegt Bitterkeit begraben

Angesichts von Krieg, Flucht und Vertreibung (Migration), Klimawandel, steigender sozialer Ungleichheit und vielen anderen bedrängenden Problemen wäre es zweifelsohne gelogen zu behaupten, die Welt von heute bereite keine bitteren Erfahrungen. Unerfreulicherweise fällt es heute diesbezüglich so schwer zu lügen, dass dies kaum jemandem noch öffentlichkeitswirksam gelingt, so dass man sich wenigstens kurz auf der Lüge ausruhen und ein wenig an ihr aufwärmen könnte – die Realität ist zu offensichtlich und erdrückend: So unterschiedlich ihre jeweiligen Beurteilungen, die Einstellungen und Perspektiven zur Realität faktisch auch ausfallen und sogar miteinander ringen, ja sich bekämpfen, es besteht zurzeit dennoch eine Art bitterer Weltkonsens – sogar über die Generationen hinweg. Nur Ignoranten...

Thomas Brose: Zwischenbilanz. Von Aquin bis Zweifel

Der zum 60. Geburtstag von Thomas Brose zusammengestellte Band bringt eine Auswahl von Arbeiten aus dem Werk dieses Philosophen und Theologen. Er versammelt Texte verschiedener Genres, von kurzen feuilletonistischen Artikeln, etwa zum Werbespruch eines Möbelhauses mit Hinleitung zum „metaphysischen Obdach“, über Rezensionen und Würdigungen anlässlich von Jubiläen bis zu längeren Essays. Die in unterschiedlichste Richtungen ausgreifenden Texte lassen aber bald ihr inneres Band und ihren besonderen Wert erkennen, es ist der Blick des „Berliner Diasporakatholiken“, der aus der „Erfahrung in einem militant-atheistischen Umfeld“ auf Religion, Philosophie, Politik und Gesellschaft schaut und seine Schlüsse zieht. Diesen besonderen Blick, den Brose beim Schriftsteller Günter de Bruyn konstatiert,...