Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Carmen Roll, Christoph Kürzeder, Steffen Mensch, Marc-Aeilko Aris (Hg.) Verdammte Lust! Essays

In zwanzig Essays entfaltet der vorliegende Band ein breit angelegtes Sittengemälde des abendländischen Christentums von der Spätantike bis ins 19. Jahrhundert. Er kann, unabhängig vom Katalog der gleichnamigen Ausstellung, als in sich geschlossenes Werk gelesen werden.

Der durch die Sünde der Ureltern geschwächte Wille zum Guten lässt den Menschen seither im Geschirr seiner Affekte und Leidenschaften als deren Sklave einhergehen (Augustinus). Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung heilen diese schwärende Wunde im Wesen des Menschen. Die folgenden Jahrhunderte deuten die Lehre des Augustinus von der Ursprungssünde als primär moralischen Defekt. Askese im Sinne der Abtötung des Leibes und seiner sexuellen Begehrlichkeit wird zum Ersatz für das...

Stephanie Höllinger / Stephan Goertz: Sebastian. Märtyrer – Pestheiliger – Queere Ikone

 

Die beiden in Mainz Moraltheologie lehrenden Stephanie Höllinger und Stephan Goertz erzählen in ihrem Buch die Karriere eines der volkstümlichsten Heiligen, die diesen vom römischen Stadtpatron zum Pestheiligen führt und schließlich zu einem Identifikationsobjekt der außerkirchlichen Schwulen- und Queerenbewegung werden lässt.

Nach der Legenda Aurea des Jacobus de Voragine aus dem 13. Jahrhundert war Sebastian Offizier in der Prätorianergarde des Kaisers Diocletian. Wegen seines Bekenntnisses zum Christentum wurde er zum Tode verurteilt und durch Pfeile von Bogenschützen hingerichtet. Wie durch ein Wunder überlebte er dieses erste Martyrium, wurde daraufhin mit Knüppeln erschlagen und seine Leiche in die Cloaca Maxima geworfen. Doch die Christin Lucina rettete den Leichnam und bestatte...

Kathrin Müller: Das Kreuz. Eine Objektgeschichte des bekannten Symbols von der Spätantike bis zur Neuzeit

In unseren alltäglichen Zusammenhängen erscheint das Kreuz zunächst als Wort und (Bild-)Objekt unproblematisch. Redewendungen wie: „Es ist ein Kreuz mit …“ oder: „XY trägt ein schweres Kreuz“ gehen uns leicht über die Lippen oder man nehme die Tatsache, dass die Ex-Kanzlerin ein „Groß-Kreuz“ als Orden verliehen bekam: Das Phänomen Kreuz regt in diesen Kontexten kaum zu einem strittigen Diskurs an. Es gibt jedoch Lebenszusammenhänge in Gesellschaft und Politik, in denen reale Spannungen zutage treten, etwa dann, wenn man realisiert, dass im Blick auf transnationale humanitäre Hilfeleistungen islamische Länder unter dem Titel „Roter Halbmond“ und Israel entsprechend unter dem „roten Davidstern“ statt unter dem Titel „Rotes Kreuz“ firmieren… Heftiges Konfliktpotential um das Kreuz als...

Elisa Klapheck: Zur politischen Theologie des Judentums

Elisa Klapheck lehrt an der Universität Paderborn; sie gibt die Buchreihe „Machloket“ heraus, in der Streitschriften zu gesellschaftspolitischen Fragen erscheinen, und sie ist Rabbinerin in Frankfurt und gehört dort dem „egalitären Minjan“ an. „Minjan“ ist die Zehnzahl, die im Judentum erforderlich ist, um eine Gemeinde zu bilden, „egalitär“ bezieht sich darauf, dass in liberalen Gemeinden nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen gezählt werden. Weiter möchte ich auf Klaphecks Position in innerjüdischen Debatten nicht eingehen und auch nicht die sieben Aufsätze der Reihe nach wiedergeben, sondern mich auf Kerngedanken konzentrieren, die im Buch wiederholt auftauchen und die mir besonders aufschlussreich erscheinen.

Rehabilitation Kains: „Da wandte sich der Ewige zu Abel und seinem...

Klaas Huizing: Lebenslehre. Eine Theologie für das 21. Jahrhundert

Schon der Titel bläst die Backen auf: Eine Theologie für Gegenwart und Zukunft, ein Buch, das die Unterscheidung zwischen Sach- und Fachbuch nicht gelten lässt und auf die Bereitschaft eines breiten Publikums aus dem lesenden Bildungsbürgertum setzt, sich beim Lesen anzustrengen – so wie sich die Studenten anstrengen mussten, denen die Inhalte des Buches in Vorlesungen präsentiert wurden. Wie wird der pralle Anspruch eingelöst?

Klaas Huizing, systematischer Theologe in Würzburg, stellt in großem Gestus die traditionelle evangelische systematische Theologie – das ist Luther, gestützt auf Paulus und Augustinus, vertreten durch Karl Barth – vom Kopf auf die Füße. Ihn interessiert nicht die Zergliederung der offenbarungstheologischen Herkunft, sondern die Ankunft der „Lebenslehre“ im...

Wolfgang Beinert: Dem Ursprung Zukunft geben

Nichts ist spannender als das Leben. Wer aber eine Autobiographie von über 600 Seiten publiziert, muss nicht nur das Leben kennen, er muss es auch noch beschreiben können. Vor allem darf er nicht an Minderwertigkeitskomplexen leiden. Er muss schon wissen, wer er ist, was er kann und vor allem: dass er etwas zu sagen hat.

Und in der Tat: Wolfgang Beinert, Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte, der von 1978 bis zu seiner Emeritierung 1998 an der Universität Regensburg lehrte, hat etwas zu sagen und vermag das, was er zu sagen hat, geistreich und spannend, gewürzt mit zahlreichen zeit- und kirchenkritischen Durchblicken, aber auch mit viel Humor und Selbstironie darzubieten.

Dem Autor geht es um die Botschaft Jesu. Diese verweist auf den Ursprung von allem, auf Gott. Er allein gibt...

Josef Seifert: Erkenntnis des Vollkommenen. Wege der Vernunft zu Gott

Für einflussreiche aktuelle Strömungen der Theologie ist Gott in absoluter Transzendenz verborgen und damit unerkennbar. Kant, auf dessen Erkenntnistheorie sich diese Richtung beruft, hat mit seinem Subjektivismus, nach dem Erkenntnis erst durch das gebildet wird, was die im Menschen angelegten Anschauungs- und Denkformen an das sinnlich Wahrgenommene herantragen, scheinbar jeder Metaphysik den Boden entzogen. Die Konsequenz ist entweder ein blinder Sprung in den Glauben oder ein radikaler Agnostizismus, von dem es nur ein kleiner Schritt zum Atheismus ist, der Kants Subjektivismus radikalisiert und in Gott eine Erfindung des Menschen zur Selbsttröstung sieht, wie etwa bei Feuerbach.

Das ist die Ausgangslage, an der diese Schrift von Josef Seifert (geb. 1945) ansetzt. Der katholische...

Alexander Schmemann: Zur Freiheit berufen

Dieser kleine Band mit Ansprachen des orthodoxen Priesters und Theologen Alexander Schmemann (1921-1983) stammt aus einer Zeit vor dem Internet, als er noch mit dem gesprochenen Wort über Radiosendungen die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang erreichte und die stärkende Botschaft der Freiheit verbreitete, einer echten positiven Freiheit, die aus der Hinwendung zu Wahrheit, Wert und Liebe kommt. Schmemann, der als Kind russischer Eltern in Estland aufgewachsen ist, damals Teil der Sowjetunion, dann in Frankreich studierte und lehrte, erhielt 1951 einen Ruf an das St. Vladimir’s Orthodox Theological Seminary in New York, das er ab 1962 leitete, und wurde einer der einflussreichsten orthodoxen Theologen der USA. Als Beobachter nahm er am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Neben seinen...