Was ist das für eine Evolution, die einen Eulenfisch
hervorgebracht hat? Anders gefragt: Was ist das
für eine Evolution, die das hervor gebracht hat, was
den Eulenfisch hervor gebracht hat, also unser Hirn!
Nur Menschen sind es schließlich, in deren Kopf solche
Lebewesen wie der Bockhirsch Tragelaphos (Vgl.
Platon Kratylos), Zentauren, Einhörner, Sphingen und
dergleichen entstehen.
Symbole sprechen ihre eigene Sprache. In religiösen
Zusammenhängen hängt sehr viel davon ab, dass wir
alphabetisiert sind. Dabei ist nicht nur das Alphabet
der Buchstaben gemeint, sondern auch das Alphabet
der Bilder und Symbole. Wir hielten es daher für keine
schlechte Idee, ein Wappentier zu erfinden, das für
unser Programm stehen könnte.
„Eulenfisch“, was soll
das bedeuten? Der Fisch ist wohlbekannt. Ichthys. Die
griechischen Initialen stehen für Jesous Christos Theou
Hyios, Soter. Die Kurzformel ist ein veritables Glaubensbekenntnis:
Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter.
Das griechische Wort für Fisch IΧΘΥΣ (ichthýs) entält ein kurzgefasstes
Glaubensbekenntnis:
IΗΣΟΎΣ = Iēsous = „Jesus“
ΧΡΙΣΤΌΣ = Christós = „der Gesalbte“
ΘΕΟΎ = Theou = „Gottes“
ΥΙΌΣ = Hyiós = „Sohn“
ΣΩΤΉΡ = Sōtér = „Retter“/„Erlöser“
Aber auch die Eule ist nicht ganz unbekannt. Neu
ist allerdings die Kreuzung der beiden Viecher, die biologisch
so gar nichts miteinander zu tun zu haben
scheinen. (Obwohl mir zur stammesgeschichtlichen
Verwandtschaft von Vögeln und Fischen durchaus
etwas einfiele.) Die Pointe besteht in der Tat in der
Kreuzung der beiden Wappentiere. Der Fisch des Glaubens
verbindet sich mit dem Vogel der Weisheit. Fides
et ratio, Denken und Glauben in einem Blutkreislauf
verbunden... In der Tat gibt es eine erstaunliche Verwandtschaft
von Eule und Fisch.
Wer an den Vogel der
Weisheit denkt, der in der Dämmerung seine Schwingen
ausbreitet, erinnert sich an den „weisesten aller
Menschen“, den Athener Sokrates. Auf ihn geht der Begriff „Philosophie“ zurück. Im Unterschied zu den
Sophisten, die die Weisheit für lehrbar hielten, war er
kein Weisheitsbesitzer, sondern einer, der sich nach
der Weisheit ausstreckte. Er war ein Philosoph, d. h.
ein „Liebhaber der Weisheit“. Das ist der sokratische
Unterschied, auf den es ankommt.
Es ist derselbe Unterschied, auf den es den religionskritischen
Propheten im Alten Testament ankommt.
Der Gott des alten Israel ist nicht ohne ihre Religionskritik
zu denken. Die selbstgemachten Götter des Polytheismus
werden entlarvt, so wie Sokrates den vorgetäuschten
Weisheitsbesitz der Sophisten entlarvt. Die
Weisheit ist ebenso wenig in Besitz zu nehmen, wie der
Gott des alten Israel. Nach beidem strecken wir uns
aus. So wie der Philosoph nach der Weisheit greift, so
sehnt sich der Prophet nach dem, der zugleich da ist
und sich entzieht.
Die Phase, in der man die biblische Religion gegen
die griechische Philosophie ausspielte, ist auch in der
Ideen- und Theologiegeschichte vorbei. Wer die Bemühungen
unseres Verstandes und unserer Vernunft um
die letzten großen Fragen als größenwahnsinnigen
Versuch des Menschen zur Selbsterlösung darstellt,
verkennt die sokratische Differenz zwischen Sophismus
und Philosophie. Die jüngeren Bücher des Alten
Testaments und das ganze Neue Testament sind zutiefst
imprägniert von der Kultur des Hellenismus. Die
Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische,
die legendäre Septuaginta, die Gestalt des Philo von
Alexandrien, aber auch das Johannesevangelium belegen
den griechischen Einfluss. Noch tiefer geht die
Verwandtschaft zwischen der biblischen und der
vorsokratischen Aufklärung. Beide entlarven die psychischen
Mechanismen der Gottesproduktion. Das berühmte
Fragment des Xenophanes, nach dem die Löwen
und Stiere, wenn sie nur Hände und Werkzeuge hätten,
sich Götterbilder machten ihrer eigenen Gestalt entsprechend,
zeigt den selben Denkstil wie Deutero Jesaja,
der sich über die Gottesproduktion der Polytheisten
lustig macht. Auch bei Sokrates selber, dessen Schicksal
frappierend an das Schicksal Jesu erinnert, gibt es
deutliche Hinweise auf einen Monotheismus, der sich
freilich nicht wie im alten Israel kämpferisch gegen
die Götter der Volksreligionen positioniert.
Die intensivste Phase einer Durchdringung von fides
et ratio, Philosophie und Theologie finden wir in der jungen Kirche. In der Theologie unserer Tage erlebt
die Zeit der Kirchenväter derzeit eine erstaunliche Renaissance.
Beste Beispiele bieten die Katechesen Papst
Benedikts XVI., die er bei seinen Mittwochsaudienzen
auf dem Petersplatz zu halten pflegt.
Als Religionslehrer hat mich immer begeistert, dass
wir aufgrund dieser tiefen Verwandtschaft von fides
et ratio, von Glaube und Vernunft zur echten intellektuellen
Zeitgenossenschaft fähig sind. Die Vernunft,
das edelste Geschenk des Schöpfers an uns Menschen,
macht uns modernitätskompatibel. Für einen Religionslehrer,
der seine Hausaufgaben gemacht hat, stehen
die Einsichten der Naturwissenschaften, auch die
der Evolutionstheorie, in keinem Gegensatz zum Evangelium.
Wir sind überzeugt, dass Wissenschaft und
Glaube zwar eine durchaus verschiedene Perspektive
auf unsere eine und einzige Wirklichkeit bieten, dass
sich aber niemand für das eine und gegen das andere
entscheiden muss. Nicht erst seit Anselm von Canterbury
ist von der fides quaerens intellectum, vom Glauben,
der nach der Vernunft strebt, die Rede. Das erste
Vatikanische Konzil und natürlich die Enzyklika Fides
et Ratio Papst Johannes Pauls II. bekräftigen diese Linie
des christlichen Denkens und Handelns.
Für unsere Schülerinnen und Schüler sind die unterschiedlichen
Perspektiven der Naturwissenschaften
und der Geisteswissenschaften, insbesondere der Religionswissenschaften,
ein Pensum, das unbedingt bearbeitet
werden muss, wenn sie nicht in eine falsche
und unnötige Entscheidungsfalle tappen sollen. Die
unterschiedlichen Diskurse und „Sprachspiele“ von Biologie,
Physik, Chemie, von Mathematik, Literatur und
Theologie, stürmen auf die Kinder und Jugendlichen
ein. Passt das alles in einen einzigen Kopf? Wir meinen:
Im Prinzip ja!
Viele von uns schüttelten den Kopf, wie plötzlich
die Evolutionsdebatte des 19. Jahrhunderts, für Aufregung
sorgte. Die Giordano Bruno-Stiftung, der neue
Kampfverband gegen alle Religionen, vertreten durch
Aktivisten wie Schmidt-Salomon, haben in den fundamentalistischen
Christen den Feind des Fortschritts
und Weltfriedens ausgemacht. Auch die Polemiken von
Richard Dawkins haben hohe Auflagen erzielt. Gibt es
tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland nennenswerte
geistige Kräfte, die, auf wissenschaftliche
Exegese verzichtend, zu einem naiv-empiristischen
Verständnis der Bibel anleiten? Es mag sie wohl hier
und da durchaus geben, man muss sie aber suchen. Die
großen Kirchen haben jedenfalls damit kaum etwas zu
tun. Das mag in Amerika anders sein, rechtfertigt aber
nicht den Import eines Kulturkampfs, dessen Feindbild
hier zuerst einmal künstlich erzeugt werden muss.
Nichts gegen eine faire und argumentative Auseinandersetzung
mit Kritikern des Glaubens. Sie zwingen
uns dazu, unsere Argumente zuschärfen und zu differenzieren
Das Thema dieses ersten Heftes von „Eulenfisch“
liegt also genau auf der Spur von fides et ratio, einem
Thema, das uns immer wieder in neuer Form begegnen
wird.