Heilende Beziehungen
Was hat eigentlich die gegenwärtige Corona-Krise mit unserem trinitarischen
Gottesverständnis von Vater, Sohn und Heiliger Geist zu tun? Auf den ersten
Blick werden wir kaum einen Zusammenhang vermuten. Wie kann auch ein
tödliches Virus, das die Menschheit in Angst und Schrecken versetzt, etwas
gemein haben mit dem dreifach lebendigen Vollzug absoluter Liebe in Gott?
Unvorstellbar? Scheinbar!
Die Pandemie mit ihren tiefgreifenden sozialen Folgen steht vielerorts für ein
neues Normal und zwingt uns, auch vertraute Denkgewohnheiten in Frage zu
stellen bzw. wieder neu auf Vergessenes zu blicken. Ich denke hier an erster
Stelle an die große Welle der Solidarität, die unser Land und Europa erfasst
hat. Auch wenn man sich sicherlich noch mehr europäischen Geist gewünscht
hätte, wurde das unsichtbare Virus weltweit zu einem Band sichtbarer Verbundenheit der Menschheitsfamilie – trotz populistischer Verharmloser und
irregeführter Verschwörungstheoretiker, leider auch von den Rändern unserer Kirche. Durch viele Hilfsaktionen auf allen Ebenen wurde deutlich, welche enorme heilende Kraft im gesellschaftlichen Zusammenhalt steckt. Auf
dem Höhepunkt der Krise konnte von einer „Gesellschaft der Singularitäten“
(Andreas Reckwitz) nicht mehr ungebrochen die Rede sein.
Corona hat uns daran erinnert, dass unsere soziale Wirklichkeit zutiefst auf Beziehung aufgebaut ist und daraus
ihre Vitalität bezieht. Dass Relationalität, Vitalität und
Liebe den Grund von allem bilden, drückt die Kirche traditionell in ihrer Rede von Dreifaltigkeit, Dreieinigkeit oder
Trinität aus. Immer dreht sich unser liturgisches Sprechen und Beten um dieses Ereignis von Beziehung. Dabei
geht es primär nicht um Zahlen und ihre innewohnende
Logik – drei ist mehr als eins. Es kommt darauf an, tiefer
in das Geheimnis der Wirklichkeit zu blicken. Hinter die
konkreten Zahlen. Schon der Kirchenlehrer Basilius und
später der Mystiker Meister Eckhart wussten, dass Gott
jenseits aller Zahlen zu suchen ist. Aber damit ist das Dilemma unserer Rede von Gott treffend beschrieben. Diesseitig jenseitig von Gott zu sprechen, geht nur in Bildern.
„Du sollst dir kein Gottesbild machen“ (Ex 20,4).
Der biblisch formulierte Vorbehalt gegenüber einer
umstandslosen Abbildung Gottes gibt uns bis heute
zu denken. Wie lässt sich der an sich Undarstellbare,
von dem wir glauben, dass ER, der in drei Personen
Eine ist, dennoch visualisieren und ins Bild bringen?
Der Chemnitzer Grafiker Jonathan Schöps, dem wir
das Coverbild unserer Ausgabe über Trinität verdanken,
hat sich in seiner Bachelorarbeit an der Bauhaus-
Universität Weimar mit der Darstellung Gottes
gestalterisch auf ungewöhnliche Weise auseinandergesetzt.
Herausgekommen ist eine Art Versuchsreihe
von Gottesbildern als Dialog von Fotografie, Computergrafik
und Fotomontage. Das Titelbild kombiniert,
überblendet oder übermalt mehrere traditionelle
Gottesbilder. Hierbei entsteht etwas Neues, das aber
gleichzeitig die Vorläufigkeit aller Vorstellungen des
Höchsten grafisch zum Ausdruck bringt.
So ist Schöps ein computervisualistisches Palimpsest
gelungen, dessen einzelne Bildschichten vom Betrachter
freigelegt werden wollen.