Irritation erwünscht! Unsere Hildegarddarstellung auf dem Cover des Eulenfisch kann
durchaus einen veritablen Schrecken einjagen: Mit aufgerissenen Augen, einem fast ängstlichen
Blick und expressiver Farbigkeit kennt man die Heilige und Seherin vom Rhein, die im
letzten Jahr als vierte Frau in der römisch-katholischen Kirche den Ehrentitel „Kirchenlehrerin“
erhalten hat, eigentlich weniger. Bis zum 43. Lebensjahr hält sie ihre Visionen, die sie mit
„großer Furcht und zitternder Aufmerksamkeit“ erfährt, geheim.
Die Künstlerin und Theologin Marie-Luise Reis deutet in ihren zeitgenössischen Hildegard-
Variationen, die zurzeit im Kreuzgang des Bischöflichen Ordinariats in einer aktuellen Ausstellung
zu sehen sind, Hildegards Visionen als keineswegs harmlos und bloß wohltuend.
Vielmehr erfährt die benediktinische Äbtissin in ihren außeralltäglichen, singulären Erfahrungen
die Spannungseinheit von Tremendum und Faszinosum, in der der Theologe Rudolf
Otto das Geheimnis des Göttlichen zu beschreiben versucht. Es ist immer beides zugleich:
anziehend und abschreckend, fesselnd und bedrohlich.
Mystikerinnen sind eben anstrengend – und zwar nicht nur für die anderen, sondern in
erster Linie für sich selbst. Umso mehr erstaunt die ungebrochene Popularität und Faszination
von Hildegard weit über den Binnenraum der Kirche hinaus: Sie gilt als „größte Deutsche“,
es gibt einen „Hildegard-Herbst“ und im „Land der Hildegard von Bingen“ wird die
Heilige professionell touristisch vermarktet.
Im jüngsten Eulenfisch wollen wir Hildegard als Projektionsfläche unabgegoltener Wünsche
hinter uns lassen und uns der Heiligen mit Visionen über die Erfahrung des Fremden, die immer
irritiert und fasziniert, nähern. Im Modus einer alteritären Didaktik entsteht so ein überraschend
facettenreiches Bild einer wahren Medienvirtuosin des Mittelalters, die alle ihr seinerzeit
verfügbaren Medien – Brief, Buch, Malerei, Musik, Tanz etc. – kreativ und adressatengerecht
einzusetzen wusste, um ihre Möglichkeiten geistig wie körperlich zu erweitern und so schließlich
die empfangene audio-visuelle Botschaft der damalig bekannten Welt mitzuteilen.
Die Kommunikationswege sind heute vielfältiger geworden. Das World Wide Web kontextualisiert
alle Medien und führt sie zusammen: Texte, Töne, Bilder, Diskussionen konvergieren
im Internet auf neue Weise. Der Eulenfisch will die Chancen dieser Entwicklung nutzen
und sich cross-medial neu aufstellen: Die Website des Eulenfisch (www.eulenfisch.de) wurde
grundlegend überarbeitet. Künftig wird es Bewegtbilder, einen Eulenfisch-YouTube Kanal und
eine bessere Einbindung der vorhandenen Facebook-Präsenz geben; ein Shop- und Galeriebereich
bringen zusätzlichen Nutzen. Das Literaturmagazin wird als E-Book zur Verfügung
stehen, die Printausgabe kann bei Bedarf angefordert werden. Alles in allem verspricht sich
die Redaktion hierdurch eine größere Varianz in der Nutzung unserer reichhaltigen Inhalte,
damit sich der Religionsunterricht auch medial auf Augenhöhe mit anderen Fächern bewegt –
getreu dem Eulenfischmotto: Wer glaubt, weiß mehr vom Leben!