Wie ist Jesus weiß geworden? Warum wurde die Darstellung des weißen Jesus global universalisiert, wenn Jesus eigentlich aus der Region des heutigen Nordiraks stammt und daher eine Person of Color wäre – also selbst von Rassismus betroffen wäre? Dieses Beispiel kann verdeutlichen, wie nicht unproblematische kulturelle Strukturen unser Denken und Handeln bis heute prägen. Indem wir mit dieser Ausgabe Phänomene unterschiedlicher Verwundungen sichtbar machen und anerkennen, wollen wir helfen, neue Nähe und Begegnungen aufzubauen, damit der Traum von einer Kirche für alle Wirklichkeit werden kann.
Als weiß gelesene Menschen haben wir uns als Redaktionsteam in Kooperation mit »missio Aachen« auf einen Selbsterkundungsprozess begeben und unser Weißsein in den Blick genommen.
Was ist Rassismus und auf welchen Ebenen wirkt er? Und wo stehen wir als katholische Kirche in der historischen Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes? Wir haben dabei selbst als teilnehmende Beobachter versucht, einen Perspektivwechsel ein-zuüben: weg von einem weißen Blick auf Rassismus und koloniale Denkmuster hin zu einem selbstbewussten Verständnis von Schwarzer Identität, das versucht, toxische Bilder und Be-griffe aus Geschichte und Gegenwart zu erkennen, zu entlarven und hoffentlich hinter sich zu lassen. Ein Blick auf die Bildauswahl in unserem Magazin verdeutlicht unser Ringen mit den beiden Narrativen des Empowerment (Göttin Kali) und der Ohnmacht (Kolonialbilder).
Das Lernpensum ist groß – in Schule wie in Wissenschaft, institutionell wie individuell. Gerade die deutschsprachige Theologie und mit ihr die Religionspädagogik stehen hier erst am Anfang zu einem längst überfälligen Kulturwan-del. Die Restitutionsdebatte um die Beninbronzen und der Streit um die künftige Ausrichtung des Humboldt Forums hat exemplarisch gezeigt, wie »weiß« und eurozentrisch verengt unsere deutsche Erin-nerungskultur nach wie vor ist. Auf brillante Weise machen die Künst-lerinnen Koleka Putuma und Kara Walker auf diese blinde Flecken aufmerksam.
Wir möchten Sie mit dieser Ausgabe zu einer Lernreise einladen, in-dem Sie Ihren Blick auf Vertrautes überdenken und korrigieren, kurz dekolonisieren. Dabei soll es nicht in erster Linie um Anklage gehen. Ziel muss es immer sein, miteinander ins Gespräch zu kommen und Zuhören zu lernen. Viele Geschichten warten darauf, noch einmal anders oder gar zum ersten Mal überhaupt erzählt zu werden. Hierzu wünschen wir Ihnen Neugier und Freude mit unserem Eulenfisch.
Das Covermotiv unserer Ausgabe über Dekolonisierung und Rassismus stammt von Jedi Noordegraaf, der im niederländischen Ede lebt und arbeitet. 2009 gründete er das Studio Vandaar, das sich auf redaktionelle Illustrationen und autonome Arbeiten spezialisiert hat. Seine Arbeiten können als vielschichtig und konzeptionell sowie minimalistisch und zugleich farbenfroh beschrieben werden. Bei seinen Illustrationen experimentiert er gerne mit analogen und digitalen Techniken. Im Jahr 2015 gewann er mit Woestijnvaders (Illustrationen & visuelle Identität) den Preis für das beste theologische Buch des Jahres. Zurzeit arbeitet er an einem Psalmenprojekt, das die 150 Psalmen gestalterisch neu interpretiert. Im Sommer wird es hierzu eine Einzelausstellung in der Jacobikerk in Utrecht geben. Mit unserem Titelbild »Black Jesus« schaut uns sein Schwarzer Jesus gelassen an. Im Hintergrund sehen wir Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe gegen Rassismus und für Respekt demonstrieren. Inkarnation ist keine Frage der Hautfarbe und trotzdem gibt sie uns 2022 Fragen auf.