Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Pater Richard Henkes

Berufung zum Martyrium

Sie haben widerstanden bis zuletzt: Zeugen der unverbrüchlichen Liebe Gottes aus dem Bistum Limburg

Folgende Bilder aus dem Jahr 2015 fehlten in
keinem Jahresrückblick: Kämpfer des »Islamischen
Staates« ließen an der Mittelmeerküste
Libyens 20 junge koptische Christen und einen Mann
aus Ghana in einheitlichen orangenen Overalls am
Strand niederknien. Ein Exempel war zu statuieren.
Die jungen Männer sollten getötet werden, allein weil
sie Christen waren. Ihr Blut sollte das Meer rot färben
und zu einer Warnung für das gegenüberliegende
Europa werden, das nach Meinung der IS-Kämpfer
seiner Dekadenz hilflos ausgeliefert ist. Die Overalls,
die Schergen, ihre Schwerter waren sorgfältig inszeniert.
Die Henker platzierten eine Videokamera, um
das Geschehen festzuhalten als – so der Sprecher in
seiner Einführung – »Botschaft an die Nationen des
Kreuzes, geschrieben mit Blut«. Hinter jedem der zum
Tode verurteilten positionierte sich ein maskierter
Kämpfer. Plötzlich warfen die Henker die Gefesselten
nach vorne, knieten sich über sie, zogen ruckartig ihre
Köpfe an den Haaren in die Höhe und durchtrennten
ihre Kehlen. Kein Geschrei – stattdessen war ein Gewirr
leiser Stimmen zu vernehmen. Die Lippen der Getöteten
formten ihre Stoßgebete: Jarap Jesoa! – Herr
Jesus! Der Strand und das Wasser färbten sich rot.

Unmittelbar nach der Tat gaben die Henker das Video
im Netz frei. Millionenfach wurde es in kürzester
Zeit geschaut und geteilt. Doch was war geschehen?

Warum das gewaltige Interesse? Sollte die Rechnung
des IS aufgehen und das Video Schrecken verbreiten?
Nein, es war etwas Anderes, das die Wirkung der Videosequenz
in sich veränderte und für Millionen anziehend
machte. Im Moment der Hinrichtung hielt die
Kamera auf die Gesichter der Hingerichteten. Man
sah, wie sich ihre Lippen zur Aussprache des Namens
Jesu Christi formten: Jarap Jesoa – Herr Jesus. Das
Video, das Schrecken verbreiten sollte, übermittelte
plötzlich eine völlig neue Botschaft. Die Hingerichteten
legten ihr Bekenntnis zu Christus in die Herzen
derer, die sich dem Video aussetzten. Die Botschaft
der Bilder verkehrte sich in ihr Gegenteil. Statt Drohung
und Angst verbreiteten die Bilder nun die Botschaft
von dem Glauben an Jesus Christus, den Herrn
über Leben und Tod. Die Bilder machten Mut. Die unscheinbaren
Wanderarbeiter waren Märtyrer und damit
zu Heiligen geworden. Martin Mosebach, der in
seinem Buch »Die 21« ihren Lebensgeschichten nachging
und tief in die koptische Alltagswelt eindrang,
erlebte in dem Heimatort der Hingerichteten keinen
Hass und vernahm keine Rufe nach Vergeltung. Stattdessen
staunte er angesichts der echten und erlebten
Dankbarkeit der Dorfbewohner für die Transformation,
die aus armen Wanderarbeitern aus ihrer Mitte
Heilige gemacht hatte.

Vollkommene Liebe der Märtyrer

Ein Blick in die katholische Kirche. Für sie
hat es das Martyrium zu allen Zeiten gegeben.
Von 1962 bis 1965 tagte das Zweite Vatikanische
Konzil. In ihm stellte die Kirche
ihr Wesen und ihren Auftrag der modernen
Welt vor. Die dogmatische Konstitution über
die Kirche Lumen Gentium spricht deshalb
auch vom Martyrium. Das Martyrium, so
hält das Dokument Lumen Gentium fest,
stellt sich als ein Geschehen der Liebe dar
(Nr. 42). Nach Johannes 15,3, im Hinblick auf
den Tod Jesu, »gibt es keine größere Liebe,
als wenn einer sein Leben für seine Freunde
hingibt.« Im Martyrium erscheint die Liebe
in ihrer vollendeten Größe.

Worin liegt diese Größe oder Vollkommenheit?
Im Kräfteverhältnis zwischen den
Opfern und ihren Verfolgern vollzieht sich
im Martyrium eine fundamentale Verschiebung.
Auf den ersten, vordergründigen Blick
erscheinen die Verfolger als die Stärkeren.
Mit Gewalt entreißen sie den Märtyrern ihr
Leben, löschen es aus, verfügen über sie. In
ihrer Schwäche als Gefangene, Gefesselte,
Ausgelieferte vermögen die Opfer nichts gegen
ihren Tod auszurichten. Aber hier liegt
der entscheidende Punkt in dem, was die
Kirche als Martyrium definiert. Die Märtyrer
wollen es so. Sie wollen ihr Leben nicht
retten. Sie wollen lieben bis zur letzten Konsequenz.
Um der Liebe willen halten sie ihr
Leben nicht fest. In der Kraft der größeren
Liebe werden die Märtyrer zu den Stärkeren,
denn ihre Verfolger vermögen nicht, sie zum
Hass zu zwingen. Der Hass der Henker wird
nicht mit Hass von Seiten der Opfer beantwortet.
Vielmehr geht der Hass der Schergen
in der Liebe, der vollkommenen Liebe
der Märtyrer, unter. Der Hass erweist sich
als der Schwächere, der von der Liebe besiegt
wird. Hier liegt das stille, aufwühlende
Zeugnis des Martyriums, das die Kirche zu
allen Zeiten gehütet und sich in den Zeugen
daran erinnert hat.

Das Martyrium als Erweis der vollkommenen Liebe
nennt das Konzilsdekret über die Kirche ein Geschehen
der Berufung. Nicht die Gesamtheit der Gläubigen,
sondern nur Einzelne sind zum Martyrium gerufen
und geben in ihrer Zustimmung bis zum Tod
ihre Antwort der Liebe. »Dieses höchste Zeugnis der
Liebe vor allen, besonders den Verfolgern, zu geben,
war die Berufung einiger Christen schon in den ersten
Zeiten und wird es immer sein« (LG 42). Gleichzeitig
aber wird präzisiert: »Wenn es auch wenigen gegeben
wird, so müssen doch alle bereit sein, Christus
vor den Menschen zu bekennen und ihm in den Verfolgungen,
die der Kirche nie fehlen, auf dem Weg des
Kreuzes zu folgen« (LG 42).

»Im Martyrium
erscheint die Liebe in ihrer vollendeten
Größe«

Helmut Moll
Deutsches Martyrologium des 20. Jahrhunderts

Nach einer Initiative des hl. Papstes Johannes Paul
II. beauftragte die Deutsche Bischofskonferenz mich
im Jahr 1996 mit der Aufgabe, das deutsche Martyrologium
des 20. Jahrhunderts zu erstellen. Zur großen
Überraschung in der Kirche und der Fachwelt füllten
die Biografien zwei Bände. Inzwischen liegt das Werk
seit 2019 in der siebten Auflage vor und umfasst nahezu
1000 Blutzeuginnen und -zeugen. Sie entstammen
allen Gegenden Deutschlands, Geistliche, Verheiratete,
Alleinstehende, junge und ältere Christen
aus den unterschiedlichsten Berufen und Lebensumständen.
Sie erreichte der Ruf zum Martyrium, von
dem LG sprach. Und diese Personen, die Eingang in
das Martyrologium fanden, hatten auf den Ruf zum
Martyrium mit dem Ja in der Hingabe ihres Lebens
geantwortet.

Es lohnt sich also, dass Martyrologium zur Hand
zu nehmen, um den zum Martyrium Berufenen des 20.
Jahrhunderts nachzugehen, die in eine Verbindung
mit dem Bistum Limburg gebracht werden können.

Pater Alphons Spix

Zu den Arnsteiner Patres gehörte Pater Alphons
Spix. Er wurde am 17. Juni 1894 in Mönchengladbach
geboren und trat am 24. September
1919 in die Ordensgemeinschaft ein. Sein Martyrium,
das später zu seinem Tod im KZ Dachau
führte, begann in den Gefängnissen Frankfurts.
Im Heimatkloster Arnstein ließen die
Patres ungeachtet der entsprechenden
Verbote
polnische Zwangsarbeiter
zu ihren
Gottesdiensten
zu. Die Priester
weigerten sich,
die Gläubigen in
zwei Klassen zu
unterteilen, und
boten den polnischen
Gästen nach der
Feier der Eucharistie, wie
allen anderen auch, Kaffee und Brote an, was
diese dankbar annahmen. Pater Spix traf dafür
hart der Arm der Gestapo. Er hatte sich 1941
vor der Geheimen Staatspolizei in Frankfurt
für sein Verhalten zu verantworten. Die Verhöre
mit Folterungen raubten dem Ordensmann
schnell alle Kräfte. Versuche des Ordens und
verschiedener Anwälte, Pater Spix zu entlasten,
blieben ohne Erfolg. Nach Haft in Frankfurt erfolgte
im Januar 1942 die Überstellung in das
KZ Dachau. Den Strapazen erlag der Pater am
9. August 1942. Eine Urne mit seinen sterblichen
Überresten wurde der Familie übersandt
und auf dem Klosterfriedhof Arnstein am 25.
August 1942 beigesetzt. Seit dem Jahr 1987 erinnert
eine Gedenktafel am Kloster an ihn.

Ordensschwester Luise Löwenfels

Am 5. Juli 1915 erblickte Luise Löwenfels in
Trabelsdorf in Oberfranken das Licht der Welt.
Sie entstammte einer jüdischen Familie. Schon
als Kind fühlte sie sich von der katholischen
Liturgie angezogen, besuchte heimlich die hl.
Messe gegen den Willen ihrer Eltern und wurde
dafür scharf gemaßregelt.
Nach ihrer Ausbildung
zur Erzieherin
lernte sie in Frankfurt-
Süd die Armen Dienstmägde
Jesu Christi von
Dernbach kennen. Die
Schwestern boten ihr den
nötigen Raum, den Glauben tiefer
kennenzulernen. Am 25. November 1935
empfing Luise Löwenfels in der Kapelle der
Schwesterngemeinschaft in Mönchengladbach
das Sakrament der Taufe. Die junge
Frau war sich bewusst, damit weiterhin den
Verfolgungen durch die Gestapo ausgesetzt
zu sein. Für die Gestapo blieb auch die vom
Judentum zum Katholizismus konvertierte
und getaufte Person eine Jüdin. Die Oberen
des Ordens versuchten, Luise Löwenfels zu
schützen, und ließen sie in einem Konvent
in Geleen-Lutterade in den Niederlanden
unterkommen. Hier entschloss sich die Neugetaufte
nach einigen Jahren zum Ordensstand
und legte am 12. September 1940 ihre
ersten Gelübde ab. Maria Aloysia wurde ihr
Ordensname. Im Jahr 1942 wurde die Ordensschwester
Opfer der wütenden Vergeltungsmaßnahmen
der Nationalsozialisten,
die inzwischen die Herrschaft in den Niederlanden
übernommen hatten. Dem mutigen
Hirtenbrief der katholischen Bischöfe
der Niederlande gegen die Judenverfolgungen
fielen alle katholisch gewordenen jüdischen
Ordensleute zum Opfer. Unter ihnen
befand sich auch die hl. Sr. Teresia Benedicta
a Cruce (Edith Stein) (1891-1942). Sie wurden
beide am 9. August 1942 im KZ Auschwitz
vergast.

Franz Geuecke

Der Lebensweg von Redakteur Franz Geuecke,
geboren am 15. Dezember 1887 in
Bracht-Schmallenberg im Hochsauerland,
führte nach Wiesbaden. Hier heiratete er im
Jahr 1914 Cäcilia Puller, mit der er zwei Söh-
FORUM FORUM
ne hatte. Die Familie lebte
in der Friedrichstraße
39. Als Chefredakteur
baute Franz Geuecke die
Rheinische Volkszeitung
zur führenden Tageszeitung
Wiesbadens aus. Durch
seine zahlreichen Artikel verstand
er es, ihr ein unverwechselbares Profil zu geben, das
eindeutig christlich ausgerichtet war. Sein kompromissloser
Einsatz als Journalist für die christlichen
Werte brachte ihm die Todfeindschaft seiner Gegner
ein. »Schutzhaft«, schwerste körperliche Misshandlung
bei Verhören und schließlich eine Leidenstour
durch verschiedene Konzentrationslager führten zu
seinem Tod am 6. Oktober 1942 im KZ Groß-Rosen in
Niederschlesien.

Pater Richard Henkes

Der am 15. September 2019 im Limburger Dom seliggesprochene
Pallottinerpater Richard Henkes wuchs
im Westerwald auf. Am 26. Mai 1900 in Ruppach geboren,
trat er im Jahr 1919 in das Noviziat der Pallottiner
ein. Nach seiner Priesterweihe im Jahr 1925
stellte ihn der Orden in die Bildungsarbeit. Pater
Henkes durchschaute schnell die Kirchenfeindlichkeit
und Menschenverachtung der NS-Ideologie und
warnte davor. Abschriften der Predigten des »Löwen
von Münster«, des sel. Clemens August Graf Kardinal
von Galen (1878-1946), verteilte er an die Mitbrüder.
Gute Ratschläge, sich wegen drohender Verfolgung
diplomatischer zu äußern, schlug er in den Wind. Er
wurde im Jahr 1941 wegen »Wehrkraftzersetzung«
verhaftet und kam im Jahr 1943 in das KZ Dachau.
Hier meldete er sich freiwillig für
die Pflege der Typhuskranken,
wobei er durch Ansteckung
mit dem sicheren Tod zu
rechnen hatte. Richard
Henkes verstarb am 22.
Februar 1945. Seine Asche
setzten die Mitbrüder auf
dem Friedhof der Gemeinschaft
in Limburg bei.

Franz Leuninger

In Mengerskirchen
im Westerwald wurde
der Gewerkschaftler
Franz Leuninger am 28. Dezember
1898 geboren. In einfachen Verhältnissen
aufgewachsen, erlebte er die tiefe
Gläubigkeit und selbstverständliche Kirchlichkeit
seines Elternhauses. Sie sollte ihn
ein Leben lang prägen. Als Bezirkssekretär
der christlichen Gewerkschaft bestellte man
ihn nach Breslau. Franz Leuninger wurde
nicht müde, in seiner Arbeit auf Versammlungen
vor der NS-Ideologie zu warnen. Er
suchte Kontakt zu Widerstandsgruppen. Für
das Schattenkabinett, dem nach dem Attentat
vom 20. Juli 1944 der Neuanfang anvertraut
werden sollte, war Leuninger als Oberpräsident
der Provinz Schlesien vorgesehen.
Nach dem gescheiterten Attentat wurde der
Gewerkschaftler verhaftet und am 1. März
1945 im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Dr. Ludwig Münz

Aus Frankfurt stammt
Oberregierungsrat Dr.
Ludwig Münz. Geboren
am 20. Juli 1893 in der
Pfarrei St. Ignatius, erlebte
er seine Kindheit
und Jugend im Haus der
Familie im Zimmerweg 6.
Nach der Volksschule und
dem Gymnasium studierte Ludwig
Münz Rechtswissenschaften an
den Universitäten Freiburg und München,
unterbrochen durch die Teilnahme am Ersten
Weltkrieg. Seit dem Jahr 1929 arbeitete
Ludwig Münz als Pressereferent im Reichsarbeitsministerium
in Berlin. Seiner christlichen
Grundhaltung blieb er dabei treu,
suchte den Kontakt zu Widerstandsgruppen
und stellte sich gegen die NS-Ideologie.
Nach dem gescheiterten Attentat vom 20.
Juli 1944 bot er einem der Hauptbeteiligten Schutz in seiner Wohnung und wurde daraufhin
verhaftet. Er überlebte zwar das Gefängnis,
wurde aber nach dem Zusammenbruch
Opfer russischer Truppen, die ihn in
das Speziallager Landsberg/Warthe brachten.
Hier verstarb er am 30. September 1945.

»Zeugen für Christus« steht auf dem roten
Einband des deutschen Martyrologiums
des 20. Jahrhunderts. Die vorgestellten Personen
waren berufen, Christus in ihrer Zeit
und ihren Umständen in seiner vollkommenen
Liebe zu leben. Sie waren Berufene, die
als Personen ihre freie Antwort gaben. Sie
wurden zu Zeugen der Liebe und des Jas,
das allen Hass und alle Ablehnung überwindet.
Diese Zeugen hat es zu allen Zeiten gegeben
als Zeugen Gottes und seiner Liebe zu
den Menschen.