Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Christian Friedel, Fotografie: Thomas Rabsch

»Ich möchte mich immer wieder verwandeln«

Christian Friedel ist als Schauspieler und Musiker gefragt und viel unterwegs. Was bewegt diesen kreativen Künstler? Ein Gespräch über die eigene Berufung, die Bedeutsamkeit der Eltern und warum die katholische Kirche manchmal einer Oper gleicht

Die Frage stellte CLEMENS HERMANN WAGNER

In dem Roman »Das Bildnis des Dorian Gray« von Oscar Wilde, der die Grundlage für Ihren
Soloabend »Dorian« in der Regie von Robert Wilson am Schauspielhaus Düsseldorf ist, steht
ein gemaltes Portrait im Mittelpunkt der Handlung. Wenn Sie ein Portrait von sich zeichnen
sollten, was würden Sie in dieses Portrait aufnehmen?

Nun muss ich gestehen, dass ich leider überhaupt nicht gut malen kann, aber vielleicht
kann ich beschreiben, was mir bei diesem Portrait wichtig wäre. Ich glaube,
dass das ganze Leben wohl immer eine einzige Suche nach dem Kern ist, der uns
ausmacht. Und damit ist es von Bedeutung, wann ich dieses Portrait zeichnen würde
und was mir in der jeweiligen Zeit wichtig ist. Das ist sicher auch der Grund, warum
ich Schauspieler geworden bin. Ich möchte mich immer wieder verwandeln, nicht,
um von mir selbst abzulenken, sondern weil dieser Verwandlungsprozess auch eine
Suche nach mir selbst ist. In den vielen Möglichkeiten der Verwandlung in andere
Rollen eröffnet sich die Möglichkeit, andere Facetten von mir zu entdecken und
auszuleben. Darin finde ich das, was mich im Innersten ausmacht. Und, weil ich
vielleicht nicht ganz ohne Humor bin, würde ich mich vielleicht auch als Karikatur
zeichnen, oder auch als einen Clown, denn immerhin war der Zirkus in meiner Kindheit
ein erster Berührungspunkt für mich, der mich zum Theater führte.

Ihre Überlegungen beschreiben ein immer neues Ringen um Identität. Inwiefern erschwert
der Beruf als Schauspieler diese Suche nach Identität?

Der Beruf des Schauspielers ist natürlich auch ein gemeiner Beruf, weil er ein Beruf
der ständigen Spiegelung ist. Ich selbst werde in den unterschiedlichen Rollen
gespiegelt, manchmal wird auch ein Bild von mir im Außen gespiegelt, das ich selbst
vielleicht gar nicht so haben möchte, oder nicht akzeptieren kann. Und sicher formt
der Beruf als Schauspieler die Suche nach Identität auf eine sehr eigene Art, mit all
diesen Verführbarkeiten und Eitelkeiten. Zugleich glaube ich, dass es ein großes Geschenk
ist, eine Aufgabe für das eigene Leben gefunden zu haben und dieses durch
den Beruf füllen zu können und zu erfahren, was einen im Innersten ausmacht. Nur
die Suche danach, die kann sehr kompliziert und herausfordernd sein.

Wie würden Sie diese Suche in Ihrem Leben im Rückblick beschreiben?

Ich hatte sicher sehr großes Glück, wenn ich auf meinen bisherigen Lebensweg
schaue. Heute kann ich das als Beruf ausüben, was ich eigentlich schon seit Kindheitstagen
machen wollte. Vor diesem Hintergrund halte ich manchmal inne und
sage mir ganz bewusst: Danke für diese Möglichkeiten, die sich mir boten. Es gibt
bestimmt viele, die dieses Glück so nicht hatten. Deswegen kann ich es nur jedem
und jeder wünschen, eine eigene Berufung und einen Beruf, der erfüllt, zu finden.
Die Schauspielerei hat mir schon durch viele Höhen und Tiefen geholfen. Man darf
diesen Beruf zugleich nicht als eine Form von Therapie verstehen, das kann nicht
gelingen. Vielmehr geht es darum, ihn als eine Möglichkeit zu begreifen, immer mehr
sich selbst zu finden und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das hört wohl
niemals wirklich auf. Als Schauspieler stehe ich ja immer irgendwo auf einer Bühne
oder vor einer Kamera. Ich werde gesehen, angeschaut und notgedrungen führt das
dazu, dass ich mich mit dem Bild auseinandersetzen muss.

Sie sind in Magdeburg geboren und aufgewachsen. Welchen Einfluss hatte Ihr Elternhaus auf Ihren
Lebensweg?

Für das, was ich bin, bin ich meinen Eltern ungemein dankbar. Sie waren es, die mich
bestärkt und ermutigt haben. Zugleich haben mir meine Eltern eine wirkliche Form von
Bodenständigkeit vermittelt. Mein Vater war ein angesehener Chirurg in Magdeburg und
hat viele Leben retten können, er war Arzt aus Leidenschaft. Vielleicht war es sogar ein
bisschen zu viel Leidenschaft, weil er früh, viel zu früh, verstorben ist und sich fast für
diesen Beruf aufgeopfert hat. Immer dann, wenn er im Mittelpunkt stehen sollte, wenn eine
Zeitung über ihn berichten wollte, dann hat er abgewunken. Er wollte einfach seine Arbeit
ausüben und das Beste geben. Das hat mir immer sehr imponiert. Auch meine Mutter hat
einen Vorbildcharakter für mich, weil sie es so beeindruckend vermochte, mit Menschen
jeglicher Couleur umzugehen. Sie hat mich dafür sensibilisiert, Menschen so zu nehmen,
wie sie sind, sie nicht verändern zu wollen und damit Toleranz zu üben.

Nun sind Sie nicht nur Schauspieler, sondern auch Musiker.
Welche Bedeutung kommt der Musik in Ihrem Leben zu?

Vielleicht ist es sogar so, dass für mich an erster Stelle
immer die Musik steht. Musik ist für mich ein Antrieb
gewesen, auch im Theater und im Film, weil ich letztlich
Sprache als eine Form von Musikalität verstehe. Wenn
ich selbst Musik komponiere oder mache, dann ist das
die für mich persönlichste Form des Ausdrucks. Schauspiel
ist anders: Ich gebe meine Persönlichkeit in eine
Rolle, ich habe aber immer den Schutz der Figur und den
Schutz, den eine Regisseurin oder ein Regisseur durch
sein Konzept der Inszenierung bietet.

»Der Verwandlungsprozess
ist auch
eine Suche nach mir
selbst«

Christian Friedel

Die Feuilletons feiern Sie für Ihr brillantes und fokussiertes
Schauspiel. Es ist die Rede von einem Feuerwerk der Schauspielkunst
und dem Alleskönner Christian Friedel …

… Nicht nur! Natürlich habe ich mich sehr über die Kritiken zu »Dorian« oder »Der Sandmann
« am Theater Düsseldorf gefreut. Aber als ich in Dresden »Macbeth« inszenierte, da
musste ich mir schon einige Verrisse anhören. Da habe ich Regie geführt und selbst mitgespielt
und es gab zu dieser Inszenierung sehr unterschiedliche Urteile.

Wenn Sie unterschiedliche Kritiken über sich lesen, die fremde Personen geschrieben haben: Fühlen
Sie sich erkannt?

Bisher lese ich mir alle Kritiken immer noch durch. Ich nehme eine gut geschriebene
Kritik, egal ob sie nun positiv oder negativ ist, als eine hilfreiche Form der Reflexion und
als Spiegel wahr. Natürlich wünscht man sich, dass man durch eine Besprechung erkannt
wird. Und da schwingt die Gefahr von Eitelkeiten und Narzissmus mit, die dieser Beruf als
Schauspieler, Musiker, Künstler in sich trägt. Viel wichtiger aber ist es mir, dass das, was
ich tue, eine Relevanz entfaltet. Damit meine ich, wenn es nur eine Person gibt, die durch
mein Schauspiel oder meine Musik bewegt wird, die eine Ermutigung durch meine Kunst in
einer schwierigen Zeit erfährt, dann wäre ich sehr froh und zufrieden.

Sie arbeiten mit bedeutsamen Regisseurinnen und Regisseuren und Kolleginnen und Kollegen zusammen.
Wie lebt es sich auf dem Olymp?

In der Tat bin ich in einer sehr privilegierten Situation. In den Stücken oder Filmen, in
denen ich spiele, bin ich oft in der Hauptrolle besetzt oder ich habe einen Solo-Abend am
Theater wie »Dorian«. Für all diese Möglichkeiten bin ich sehr dankbar und merke umso
mehr, wie wichtig es in all dem ist, auf dem Boden zu bleiben und daran zu erinnern, dass
Kunst, ob Theater oder Musik, immer eine Frage des gelungenen Teamplays ist. Im Theater
oder im Film trage ich die Verantwortung für die Figur. Aber trotzdem bin ich nichts ohne
Maske, ohne Kostüm und ohne Technik.

Wie sehr glauben Sie an die Veränderbarkeit von Menschen durch Kunst?

Ich möchte daran glauben und ich denke, dass es immer wieder gelingt, durch Kunst
etwas anzustoßen. Wenn eine Theaterinszenierung oder ein Film einen Gedanken ermöglichen
oder für etwas sensibilisieren kann, dann ist doch schon viel erreicht. Dabei ist diese
Kunstform des Theaters so besonders: Da sitzen viele Menschen unterschiedlicher Couleur,
verschiedenen Alters, Herkünfte und Religion in einem Saal und schauen sich das Gleiche
an. Aber jeder geht anders aus einem solchen Abend heraus und nimmt etwas anderes mit.
Das ist doch ein großartiges Erlebnis von Gemeinschaft.

Als Schauspieler sind Sie sehr viel unterwegs. Sie spielen in Düsseldorf und Dresden am Theater,
zwischendurch drehen Sie Filme und stehen auf dem roten Teppich. Wie bewahren Sie sich Normalität?

Da ist zum Beispiel meine Band »Woods of Birnam«
so wichtig und mir ein wirkliches Geschenk. Diese
vier Musiker stehen fest im Leben, sie sind nicht abgehoben,
sondern wissen als Familienväter um das,
was normales Leben ist. Ich genieße es sehr, wenn ich
aus der Theater- und Filmblase rauskomme und mit
den Jungs Musik machen kann oder auf Tour gehe.
Wir sind richtige Freunde, eigentlich mehr sogar, sie
sind mir zur Familie geworden.

Die vielleicht schwierigste Aufgabe für Künstlerinnen und
Künstler ist es, die eigene Zeit sensibel wahrzunehmen
und Antworten zu finden. Wo finden Sie Impulse für Ihre
Arbeiten und Projekte?

Als Künstler haben wir ja immer die Möglichkeit,
auf etwas, das bereits existiert, aufzubauen, uns davon
inspirieren zu lassen oder es weiterzuführen. Das
war über die vergangenen Jahrhunderte ja auch nicht
anders. Es ist mir wichtig, aus ganz unterschiedlichen
Bereichen Inspiration zu schöpfen. Moderner Tanz
etwa, weil er in der Abstraktion Körperlichkeit und Menschlichkeit besonders zum Ausdruck
zu bringen vermag. Gerade beschäftige ich mich intensiv mit dem Roman »Solaris«
von Stanisław Lem aus dem Jahr 1961. Was immer dieser »Ozean« in dem Roman sein mag,
ob ein höheres Bewusstsein oder eine Person – das Nachdenken darüber nimmt mich sehr
ein. Oder nehmen wir etwa den berühmten Hamlet-Monolog: Das ist ein so großartiger Text,
weil darin zur Sprache kommt, wie viel wir nicht sicher wissen und vor diesem Nichtwissen
große Angst haben. Ich glaube, dass wir Menschen etwas brauchen, um mit diesen Ängsten
umgehen zu können.

»Ich möchte
daran glauben und
ich denke, dass es
immer wieder
gelingt, durch
Kunst etwas
anzustoßen«

Christian Friedel

Welche Bedeutung kann dabei in Ihren Augen Religion zukommen?

Ich bin nicht religiös aufgewachsen, aber ich empfinde ein gewisse Faszination für Religion.
Auch wenn ich kein sehr guter Kenner der Bibel bin: Das, was in diesen sehr alten und
ebenso sehr spannenden, manchmal sogar märchenhaften Geschichten erzählt wird, diese
Essenz von Humanität, die altert doch nicht. Das interessiert mich. Wir können uns ja noch
so sehr mit uns und der Welt

Vielleicht kann Religion dabei nicht alle Antworten geben, aber sie kann etwas zu dieser Kontingenzbewältigung
beitragen.

Ja, unbedingt! Nur, wenn ich einmal so ehrlich sein darf: Ich finde es ausgesprochen
schade, dass es eine Institution wie die Kirche vielfach nicht schafft, Fragen von Menschen
gut aufzugreifen und mit ihnen überzeugend zu bearbeiten. Wenn ich als jemand von außen
darauf schaue, habe ich den Eindruck, dass dort etwas zelebriert wird, das vom Kern
ablenkt und dass es der Modernisierung bedarf. Da sind so viele tiefe Fragen, die wir als
Menschen haben, und da ist es doch wirklich bedauernswert, dass die Kirche hier häufig
nicht in eine Auseinandersetzung geht, die für Menschen etwas austrägt. Dieser Apparat
ist so wahnsinnig groß, aufgeblasen und schwerfällig. Das erinnert mich manchmal fast an
die Gattung der klassischen Oper. Viele dieser Kompositionen sind unbenommen großartig
und ihre Pflege ist sehr wichtig. Aber gleichzeitig frage ich mich: Was können wir mit den
künstlerischen, kreativen Mitteln aus unserer Zeit schaffen und damit heutigen Menschen
innerlich nahe sein und sie erreichen?

Es ist sehr spannend, dass Sie die Kunstform der klassischen Oper und die Kirche parallelisieren.
Beide haben wohl, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen, ein ernstzunehmendes Nachwuchsproblem.

Ja genau. Problematisch wird es wohl vor allem dann, wenn Menschen das Gefühl haben,
dass sie belehrt werden und ihnen vorgeschrieben wird, wie etwas zu sein hat oder was sie
zu denken haben. Das kann in der Oper nicht gelingen und in der Auseinandersetzung mit
Religion sicher auch nicht.

Der Religionsphilosoph Paul Tillich versuchte das Phänomen Religion zu beschreiben als das, was
uns »unbedingt angeht« oder was uns ein »tiefer Daseinsgrund« ist. Was ist das in Ihrem Leben?

Das mag jetzt ausgesprochen kitschig klingen, aber ich meine es sehr ernst: Ich glaube
schon, dass es Liebe ist, die mich trägt. Und das sind sehr unterschiedliche Formen von Liebe.
Die, die ich von meinen Eltern erfahren durfte und die mir im Übermaß bis an mein Lebensende
Kraft geben wird. Da ist die Liebe meiner Freunde, die für mich uneingeschränkt
da sind. Ich erfahre in meinem Leben auf so unterschiedlichen Ebenen Liebe und Akzeptanz.
Ich muss mich nicht verstellen, sondern kann so sein, wie ich bin, und werde dafür
geschätzt. Das erlebe ich als ein großes Geschenk.