Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Detailsansicht der 2019 eingesetzten Fenster des Münchner Medienkünstlers Christoph Brech in der neogotischen Heilig Kreuz Kirche in München-Giesing, Foto: Christoph Brech

Provokant, profan und doch sakral

Heute sind die modernen Kunstdarstellungen in Kirchenfenstern selten noch figural, eher abstrakt in Form und Farbe. Werden sie aber sakralen Ansprüchen auch gerecht?

Zu allen Zeiten waren die farbigen, bildhaften
Kirchenfenster ein bedeutender Faktor für die
Gestaltung sakraler Räume. Dargestellt wurden
biblische Illustrationen, dann auch Helden, Märtyrer
sowie Heilige und lokal bedeutende Personen
bis hin zu den Stiftern, und das immer von Epoche zu
Epoche anhand eingespielter Ikonographie. Die jungen
Künstlerinnen und Künstler des beginnenden 20.
Jahrhunderts wurden daher des sich mehr und mehr
ausbreitenden Historismus überdrüssig, bis der holländische
Künstler Johan Thorn Prikker mit neuen
Ideen für sakrale Fenster nach Deutschland kam. Die
figuralen Raumillusionen sakraler Fensterbilder lehnte
er ab und propagierte eine rein geometrische Flächengestaltung
mit abstrakten christlichen Symbolen
und einfachen, harmonisch nebeneinanderliegenden
Farbflächen. Diese Fenster sollten zusammen in ihrer
Leuchtkraft eine Lichtführung im Kirchenraum zum
Zentrum, dem Altar hin, ermöglichen. Eigentlich ein
liturgisches Anliegen. Das alles konnte Thorn Prikker
nach einigen kleineren Misserfolgen in der romanischen
Kölner St. Georgs-Kirche 1928, wenige Jahre
vor seinem Tod, künstlerisch zum Ausdruck bringen.
Das beflügelte die jungen deutschen Künstlerinnen
und Künstler, die nach neuen, sinnvollen Wegen suchten.
Denn ihre Fensterbilder sollten lichtdurchflutete,
farbenfrohe symbolische Bedeutungsträger sein im
Einklang mit dem architektonischen Rahmen des sakralen
Raumes.

Gesellschaftspolitischen Themen einen Raum geben

Das entfachte viele Ideen und manche Versuche, die
meist leider zu heftigen Auseinandersetzungen mit
den Kirchenleitungen führten, weil diese für ihre
pastoralen Zwecke leicht lesbare, katechetische Fensterbilder
bevorzugten und moderne Kunst nicht gerne
sahen. Selbst die ersten Kirchenfensterentwürfe
von Thorn Prikker in Krefeld wurden abgelehnt und
schon eingebaute Fenster mussten wieder herausgerissen
werden. Und Johannes Schreiter entwarf in den
1980er Jahren einen Fensterzyklus für die Heiliggeistkirche
in Heidelberg, in der er die geistigen Errungenschaften
des 20. Jahrhunderts in der Universitätskirche
thematisierte, von dem aber nur ein Fenster,
das Physik-Fenster, anerkannt und eingebaut werden
durfte. Es konfrontiert die Betrachter mit der Formel
Einsteins, dem Datum der Zerstörung Hiroshimas sowie
einem Brandmal mit Bibeltexten. Erst Jahrzehnte
später öffneten die Kirchen mehr und mehr ihre Pforten
für moderne Kunst. Nun wurde manch Profanes
sakral.

Besonders Georg Meistermann, der zum
wegweisenden Schülerkreis Thorn Prikkers
gehörte, griff dessen Ideen auf und führte
ständig einen Dialog zwischen Gegenständlichkeit
und Abstraktion. Er war vermutlich
einer der ersten deutschen Künstler, der natürliche
Pflanzenelemente in die Bilder seiner
Kirchenfenster mit einbezog, wie im Hohen
Dom zu Münster zu sehen.

»Erst Jahrzehnte später öffneten
die Kirchen mehr und mehr ihre
Pforten für moderne Kunst«

Karl Heinz König

Künstlerisch waghalsiger war da Hella De
Santarossa, die im Jahr 2002 in der evangelischen
Simon-Petrus-Kirche in Bremen-Habenhausen,
ausgehend vom Felsensymbol
des Petrus, einen großen Kreis mit kleinen
Felsensplittern und angeschwemmtem
Treibgut von der stadtnahen Küste wie ein
Sandwich zwischen zwei Scheiben einklebte.
Und sie animierte pastoral geschickt die Gemeinde,
selbst Hand anzulegen, persönlich
mitzugestalten und Material zu sammeln in
dem Bewusstsein, selbst ein kleiner Fels für
die Gemeinde zu sein.

Röntgenbilder als Kirchenfenster

Da kommt der Künstler Christoph Brech
zu seiner Fenstergestaltung aus einer ganz
anderen Richtung, nicht von der Malerleinwand
her, sondern von der Video- und
Fotokunst. Christoph Brech wurde 1964 in
Schweinfurt geboren. Er studierte nach dem
Abitur an der Akademie der Bildenden Künste
in München, wo er als Meisterschüler bald
selbst Assistent wurde. Und schon früh war
er als Gastdozent an ausländischen Universitäten
gefragt.

Brech kam auf die außergewöhnliche Idee, mit hunderten
Röntgenbildern des menschlichen Thorax die
Kirchenfenster der Giesinger Heilig-Kreuz-Kirche in
München ornamental zu gestalten. Wie kam Brech
nur darauf? Nicht aus heiterem Himmel. Denn »ausschlaggebend
für meinen Entwurf«, so Brech, »war die
gobelinartige Bemalung der Wand im unteren Teil des
Chores.« Diese Muster habe er nach oben hin individuell
verändert weiterführen wollen und dazu standen
ihm die Chorfenster zur Verfügung. Zudem
wollte der aufgeschlossene Pfarrer Engelbert
Dirnberger unbedingt moderne und zeitgemäße
Fenster für seine Kirche. Und das wurde
im Erzbischöflichen Ordinariat München
bereitwillig unterstützt. Nach längerer Überzeugungsarbeit
gewann der Pfarrer mit dem
Künstler gemeinsam die Gemeinde dazu, persönliche
Röntgenbilder zur Verfügung zu stellen.
Und 30 Gemeindemitglieder spendeten spontan
ihre Röntgenaufnahmen. Das war nicht nur ein künstlerisches,
sondern auch ein theologisches Anliegen.
Atmen ist nicht nur etwas, das so nebenbei passiert.
Etwa 20.000-mal atmet ein gesunder Mensch pro Tag.
Atmen bedeutet Leben. Es fängt mit der Geburt an und
begleitet uns in schöner Regelmäßigkeit bis zum Lebensende.
Unser Atem verbindet unsere Außen- mit
der Innenwelt, so wie die Kirchenfenster das Draußen
der Alltagswelt mit dem Drinnen der Andachtswelt
verbinden. »Gott haucht dem Menschen den Atem
ein, und alles ,was Odem hat, lobet den Herrn«, sagte
Brech. »Durch die Aneinanderreihung hunderter Lungenflügel
werden die Unterschiede der menschlichen
Anatomie erfahrbar (…), was bleibt, ist der (einzelne)
Mensch in seinem Menschsein!« »Ebenso kann man
im Anblick der Fenster sagen, jeder nehme sein Kreuz
auf sich und folge mir nach; denn das Schlüsselbein
bildet mit dem Rückgrat das Kreuz (des Menschen)«.
Wer seine Lunge röntgen lässt, hat sicherlich ein persönliches,
gesundheitliches Problem, und das bringt
er hier stellvertretend durch sein Röntgenbild in die
unmittelbare Nähe des Altares, hoffend auf die Zusage
Jesu im Matthäus-Evangelium: »Kommt zu mir
alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch
erquicken« (Mt 11,28). Damit drücken die persönlichen
Röntgenbilder eine tiefe Verbundenheit gläubiger Menschen sowohl mit Gott als auch
mit ihrem Gotteshaus aus. Keine Heiligen
und Kirchenpatrone, sondern ganz normale
Gläubige. Und damit wird Profanes sakral.

»Ein ständiger Dialog
zwischen Gegenständlichkeit
und Abstraktion«

Karl Heinz König

Man ist verwundert, wenn man als Betrachter
den Fensterbildern näher kommt, denn von Weitem erhält man den Eindruck,
es handele sich um ein Ornament aus vielen
kleinen geflügelten Engeln. Zumal es bei den
30 Röntgenbildern aus der Gemeinde nicht
blieb. Schließlich mussten fünf Chor- und
zwei Oratorienfenster gestaltet werden und
es gelang, 900 weitere Thoraxbilder von außen
zu beschaffen. Nachdem nun der Künstler
diese Aufnahmen aufwendig im Computer
bearbeitet hatte, wurden sie »mit blauer
Farbe auf hellblau gefärbtes Glas gedruckt
und gebrannt«, beschreibt Katja Zukic von
der Münchener Hofglasmalerei Gustav van
Treeck das komplizierte Herstellungsverfahren.
Unterschiedliches Tages- und Jahreslicht
von außen schafft hin und wieder
naturbedingt in den Fensterscheiben leichte
Farbveränderungen, deren diffuses Licht auf
die meditative Stimmung des Innenraumes
wesentlichen Einfluss nimmt.

Dennoch stellt sich die Frage, ob die
bläuliche Eintönigkeit nicht zu sehr erdrückt,
ob sieben gleichbleibende Fenstermuster
ästhetisch nicht zu monoton wirken
und ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, vier
oder wenigstens zwei der Fenster anders
in ihrer Formgebung und Farbigkeit an die
drei Chorfenster anzupassen. Gewiss künstlerisch
und theologisch keine leichte Herausforderung.
Dazu wäre sicherlich dem Künstler Christoph Brech noch etwas Sinnvolles eingefallen,
da er ja für »Rauminstallationen und Arbeiten
im öffentlichen Raum« international bekannt ist.
2020 wurde der heute in München lebende Künstler
für die Gestaltung seiner Kirchenfenster in der Giesinger
Heilig-Kreuz-Kirche mit dem Artheon Kunstpreis
der Deutschen Gesellschaft für Christliche
Kunst ausgezeichnet.