Was ist die Kompetenz der Theologie im Umweltdiskurs?
Der Ruf nach einem neuen Bund zwischen Mensch und Umwelt wird lauter und verlangt eine integrale Kultur der Nachhaltigkeit. Kann eine Ökotheologie hierauf eine Antwort geben?
Ökotheologie ist die entscheidende Kompetenz
der Kirchen im Umweltschutz. Nur wenn es
ihr gelingt, die Fragen von Klimawandel und
Umweltschutz konsequent mit der Gottesfrage zu verknüpfen,
wird es ihr gelingen, eine hörbare Stimme im
gesellschaftlichen Ringen um die Zukunft der Schöpfung
zu sein. Dabei dürfen die Anforderungen an eine
sachgerechte und in einer pluralen Gesellschaft verständliche
Kommunikation jedoch nicht vernachlässigt
werden. Die nötige Sprachfähigkeit angesichts
höchst komplexer und vielschichtiger Problemlagen
ist wesentlich eine Aufgabe der Bildung. Die Fridays-
for-Future-Bewegung, mit der Jugendliche die
Impulsfunktion übernommen haben, zeigt, dass die
Schulen hier gute Arbeit geleistet haben. Die Stimme
der Kirchen und Religionsgemeinschaften ist jedoch
schwach. Angesichts der existenziellen Ängste gerade
bei vielen jungen Erwachsenden ist die Ermutigung
des Glaubens dringend gefragt. Doch wie kann der
christliche Glaube angesichts drohender Katastrophen
glaubwürdig Hoffnung vermitteln? Hierzu im
Folgenden fünf Thesen.
Ökotheologie – eine oberflächlich verstandene Kernkompetenz im Umweltdiskurs
Die ökologische Krise hat eine eminent religiöse Dimension.
Sie ist religionsproduktiv: Sie erzeugt eine
neue Form der Frage nach dem, was unsere Existenz
trägt, ihr Zukunft gibt und Sinn verleiht. Was die Menschen
heute zutiefst beunruhigt, ist nicht – wie etwa
im 16. Jahrhundert – die Heilsangst »Wie bekomme
ich einen gnädigen Gott?«, sondern die Frage nach
dem, was unser Tun vor den kommenden Generationen
rechtfertigt. Was befähigt uns individuell und
kollektiv, dem ökosozialen Burnout unserer Zivilisation
wirksam entgegenzutreten? Diese Frage ist heute
ein entscheidender Ausgangspunkt für die Suche
nach dem, worauf es ankommt, was zählt, und damit
auch für neue Perspektiven auf die Gottesfrage.
Mit anderen Worten: Die Umweltkrise ist ein »Zeichen
der Zeit«, an dem sich bewähren kann und muss,
ob die Theologie für unsere Gegenwart etwas zu sagen
hat und ob sie Hoffnung zu vermitteln vermag.
Eine Theologie der Zeichen der Zeit geht davon aus,
dass es Gott selbst ist, der durch die Aufbrüche und
Umbrüche der gegenwärtigen Zeit zu uns spricht und
eine Antwort fordert. Dabei ist die neue erdgeschichtliche
Epoche des Anthropozäns, in der der Mensch
zum geologischen Faktor geworden ist und die Lebensbedingungen auf der Erde massiv verändert,
eine tiefe Herausforderung, unsere
sinnstiftenden Vorstellungen von Entwicklung,
Fortschritt, Wohlstand und Naturbeziehung
zu überdenken. Die ökologische
Transformation ist ein locus theologicus,
ein Ort der Gottesrede heute, an dem sich
die »Geistesgegenwart« von Theologie und
Kirche entscheidet. Der indischstämmige
katholische Priester Raimon Panikkar spitzt
dies offenbarungstheologisch zu:
»Folgendes möchte ich behaupten: Die ökologische
Krise stellt eine Offenbarung dar.
Wenn man sie nicht als Offenbarung sieht,
sieht man sie nicht genügend tief und ernst.
(…) Es geht nicht darum, aus der Ökologie
eine Religion zu machen, sondern die Religion
wird ökologisch. Dieser Unterschied ist
wichtig.«
Es ist eine starke Behauptung, dass die
ökologische Krise eine Offenbarung darstelle.
Gemeint ist damit, dass Gott heute durch
den Schrei der Schöpfung zu uns spricht,
sich uns zeigt in der geschundenen Schöpfung.
Die christliche Rede vom Heil der
Welt wird nichtig und leer, wenn sie nicht
zur Motivation und Befähigung wird, sich
für die Bewältigung der ökologischen Krise
einzusetzen. So wie in der Aufklärung angesichts
der Verachtung des Individuums
im Absolutismus die Verteidigung der unbedingten
Würde des Menschen mit neuer
Dringlichkeit zum unverzichtbaren Ort der
Gottesrede wurde, so ist heute der Schutz
der Umwelt zum Bewährungsort für den
christlichen Glauben geworden. Aus christlicher
Sicht, die mit Weihnachten von der
Fleischwerdung Gottes (Inkarnation) ausgeht,
ist die Schöpfung der Leib Gottes. In
der geschundenen Schöpfung wird Christus
aufs Neue gekreuzigt. Positiv gewendet:
Gottesliebe und Schöpfungsliebe sind
untrennbar verbunden. In der Umweltkrise
steht auch die Gottesbeziehung auf dem
Spiel. Sie ist ein Zeichen der Zeit, das einen
neuen Gesellschaftsvertrag und einen Aufbruch
in Kirche und Gesellschaft zugunsten
einer ökosozialen Verantwortung fordert.
Ökologischer Humanismus – systematische Basis christlicher Umweltethik
Kern der Suche nach einem zukunftsfähigen ethischen
Kompass angesichts der Großen Transformation ist
das Naturverhältnis unserer Zivilisation. Gerade hier
besteht jedoch Bedarf an einer kritischen Aufklärung
gegenüber einem sich ausbreitenden ökologischen
Naturalismus, der die Werte der Natur verabsolutiert
und das vermeintlich in der Natur vorfindliche
Gleichgewicht idealisiert, z. B. als Basis eines verkürzten
Verständnisses von Nachhaltigkeit. Das wäre
»Ökologie als Heilslehre« (Trepl), als »Ersatzreligion«
(Bolz). Die Natur ist jedoch eine offene Ordnung, die
keine Gerechtigkeit kennt. Die Evolution wird durch
Nichtgleichgewichtsprozesse vorangetrieben. Die Natur
ist moralisch indifferent. Das, was als gut und
sinnvoll gelten soll, ist nicht im Sinne einer Deduktion
aus der Natur ableitbar. Das wäre ein naturalistischer
Fehlschluss.
Von daher impliziert die christliche Schöpfungstheologie,
die die Natur als gut bewertet, eine zusätzliche
Dimension. Sie ist nicht einfach der verlängerte
Arm ökologischer Imperative, sondern verweist auf
eine kulturelle Tiefendimension der Erfahrung der
Natur und des Lebens als Gabe, als ein Geschenk, das
sich der beliebigen Verfügbarkeit entzieht. Sie fordert,
den Subjekt-Objekt-Dualismus, der unserem wissenschaftlichen
Denken zutiefst eingeschrieben ist, zu
transzendieren, also Natur, Tiere und Pflanzen nicht
nur als Objekte wahrzunehmen, sondern als Mitgeschöpfe.
Sie sind Akteure, die eigenständigen Zielen
und Gesetzlichkeiten folgen und einen nach ihrem
Entwicklungsgrad abgestuften Eigenwert besitzen.
Um die Schöpfungstheologie für die Umweltethik
fruchtbar zu machen, eignet sich heute besonders die
Prozesstheologie. Diese hilft, ein statisches Verständnis
von Schöpfung zu überwinden. Schöpfungsdenken im
Anspruch der Prozesstheologie zielt nicht primär auf
eine Ordnungsethik im Sinne der Erhaltung des status
quo, sondern auf eine kreative Transformationsethik,
eine Ethik der Umkehr und der ökologischen Innovation.
Dies wäre ein entscheidender Impuls, um die Umweltethik
aus ihrer Defensive herauszuholen. Christliche
Umweltethik ist Innovationsethik, deren Gestaltungsanspruch
sich aus dem Anspruch von Gerechtigkeit und
Humanität sowie dem Streben nach glückendem Leben
ergibt. Man kann diesen Ansatz mit Konrad Ott auch als
eudaimonistische Ethik umschreiben.
Ich trete ein für einen ökologischen Humanismus.
Dieser fordert eine neue Generation der Menschenrechte: Nach den individuellen Freiheitsrechten,
den sozialen Anspruchsrechten und den politischen
Mitwirkungsrechten braucht es heute ökologische
Existenzrechte. Diese umfassen beispielsweise die
formale Anerkennung von Klimaflüchtlingen sowie
Anpassungshilfen für die vielen Millionen Menschen,
deren Lebensraum durch Hitzewellen und Überschwemmungen
unbewohnbar wird. Nur ein solches
umweltethisches Ausbuchstabieren der Menschenrechte
kann verhindern, dass diese heute für einen
großen Teil der Menschheit abstrakt, leer und unerreichbar
werden.
»Kirche und Theologie sind
genauso Teil des Problems
wie Teil der Lösung«
Das Prinzip der Nachhaltigkeit und die Sustainable
Development Goals der UNO sind systematisch von
einer ökologischen Erweiterung der Menschenrechte
her zu denken. Man kann dies mit dem bekannten
Umweltjuristen Felix Ekardt auch als zeitliche und
räumliche Erweiterung der Gerechtigkeit rekonstruieren.
In den Worten von Papst Franziskus: Es gibt nicht
zwei Krisen nebeneinander, eine ökologische und eine
soziale, sondern nur eine einzige ökosoziale Krise. Der
»Schrei der Schöpfung« und der »Schrei der Armen«
sind eng miteinander verflochten. Umweltschutz ist
Menschenschutz und Menschenschutz umfasst heute
notwendig auch Umweltschutz.
Die humanistische Ethik muss im 21. Jahrhundert
ökologisch ausbuchstabiert und eingebettet werden.
Dazu gehört auch die Überwindung des »despotischen
Anthropozentrismus« (Papst Franziskus) und die konsequente
Wahrnehmung des Menschen als »erdverbundenes
Wesen«.
Die Kirche hat Substanzielles zu sagen
Die katholische Kirche ist kein Vorreiter, sondern ein
Nachzügler im Umweltdiskurs. So kamen beispielsweise
die beiden Schlüsselvokabeln des Umweltdiskurses
der letzten zwanzig Jahre, »Klimawandel«
und »Nachhaltigkeit«, vor Laudato si’ nicht ein einziges
Mal in der päpstlichen Lehrverkündigung vor.
Man sollte dies ungeschminkt zugeben, um die oft
verdeckten Widerstände oder Ahnungslosigkeiten gegenüber
dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsdiskurs in
der Kirche zu verstehen. Bis heute sind die Kirchen
beispielsweise in den USA häufig auf Seiten der Klimaleugner
und der Transformationsgegner zu finden.
Es gilt selbstkritisch wahrzunehmen, dass Kirche und
Theologie genauso Teil des Problems wie Teil der Lösung
sind: Sie haben in ihrer Tiefenstruktur erheblichen
Anteil an der naturvergessenen Zivilisation.
Aber gerade deshalb ist der notwendige Kulturwandel
nicht ohne die Kirchen zu erreichen.
Das schließt nicht aus, dass es immer wieder wegweisende
ökologische Vordenker in den Kirchen gegeben
hat – z. B. Franz von Assisi, der 1979 zum Patron
des Umweltschutzes ernannt wurde. Vor allem
mit der Umweltenzyklika Laudato si‘ (2015) hat die
Katholische Kirche mächtig aufgeholt. Diese ist gegenwärtig
der weltweit wichtigste Kompass für die
theologische und ethische Tiefendimension des anstehenden
ökosozialen Kulturwandels.
Mit ihrer harschen Kritik an politischem und technisch-
ökonomischem Machtmissbrauch macht die Enzyklika
die Befreiungstheologie und damit die Kritik
von Machtverhältnissen für die Umweltethik fruchtbar.
Ihre Motivationskraft liegt in der Verbindung von
christlichen Quellen der Schöpfungsspiritualität mit
einem tugendethisch-zivilgesellschaftlichen Ansatz,
der insbesondere die lateinamerikanisch-indigene
Tradition des guten Lebens (buen vivir) aufnimmt.
Sozialethisch ist die Analyse des Klimawandels als
Kollektivgutproblem markant, insofern daraus völkerrechtliche
Konsequenzen für eine gemeinsame,
aber unterschiedliche Verantwortung von Industrieländern
und den Ländern des Globalen Südens für
kooperativen Klimaschutz und für Klimaanpassung
abgeleitet werden.
Das Erfolgsgeheimnis der Enzyklika ist das Konzept
des Dialogs, das die Kirchen als Lernende versteht
– nicht zuletzt ökologisch, interkulturell und
interreligiös. So werden beispielsweise Patriarch
Bartholomaios, das Oberhaupt der orthodoxen Kirche,
das sich seit Jahrzehnten für Schöpfungsverantwortung
engagiert, sowie der islamische Mystiker
Al-Khawwas zitiert. Ebenso wurden säkulare Wissenschaftler,
wie z. B. der Klimaforscher Hans Joachim
Schellnhuber, intensiv für die Entstehung des Textes
der Enzyklika Laudato si‘ zu Rate gezogen. Auch als
verspätet Lernende kann die Katholische Kirche Substanzielles
zum Klimadiskurs beitragen, indem sie
die verschiedenen Stimmen im Blick auf die Herausforderungen
eines kulturellen Wandels und theologisch-
ethischer Fundierung bündelt.
Aufbruch in eine neue Nachhaltigkeitskultur
Trotz aller Klimaverhandlungen und trotz der Corona-
Pandemie wurde 2021 mehr CO2 emittiert als je zuvor
in der Menschheitsgeschichte. Trotz allen Wissens
um Klimawandel und Biodiversitätsverlust wird die
Wahrnehmung der Situation in der Bevölkerung überwiegend
verharmlost und verdrängt. Zu Recht widerspricht
Harald Lesch der Verharmlosung kurz und
bündig in seiner Charakterisierung der ökologischen
Gegenwartsdiagnose des Anthropozäns: »Die Menschheit
schafft sich ab«. Wir befinden uns bereits im Wirkungsraum
von ökologischen tipping points (Kipp-
Punkte), in dem ökosoziale Katastrophen zunehmend
wahrscheinlich werden.
Zu Recht wird von Christinnen und Christen jedoch
erwartet, dass sie eine Botschaft der Hoffnung und
des Heils, ein Evangelium, d. h. eine Frohbotschaft,
ausrichten. Von daher ist die theologische Unterfütterung
von Angstdiskursen mit Hilfe einer Rhetorik
der Ökoapokalypse schlechte Theologie. Es kommt
auf Differenzierung an: Christliche Hoffnung ist
nicht Optimismus, sondern »durchkreuzte Hoffnung«,
eine Hoffnung, die um das Scheitern des Menschen
und um die Katastrophen von Leid und Schuld weiß.
Sie schöpft ihre Zuversicht aus der Gewissheit, dass
uns Gott auch in den Abgründen der Existenz und in
schmerzhaften Transformationsprozessen begleitet.
Das gilt nicht zuletzt für die gegenwärtige Tripelkrise
von Corona, Klimawandel und Biodiversitätsverlust,
die nur durch ein schonungsloses Aufdecken
der sozialökologischen Wechselwirkungen zu bewältigen
ist. Wir beschäftigen uns weitgehend nur mit den
Symptomen der Coronakrise und verdrängen, dass die
Wahrscheinlichkeit von Pandemien – wie der Weltbiodiversitätsrat
bereits Mitte der 1990er Jahre diagnostiziert
hat – durch das aggressive Vordringen in
Naturräume, den Umgang mit Wildtieren, die Hyperglobalisierung
u. a. Faktoren massiv steigt. Die unbequeme
Wahrheit ist, dass wir ohne eine radikale Änderung
des Naturverhältnisses und unserer Lebensweise
diese Wahrscheinlichkeit kaum dämpfen können. Die
aktuelle Energiekrise im Schatten des Ukrainekrieges
zeigt auch im Feld von Frieden und Ökologie vielschichtige
Zusammenhänge. Trotz aller Zielkonflikte,
die kurzfristig dominieren, sind die verschiedenen
Krisen nicht unabhängig voneinander zu lösen.
Wir brauchen eine Transformation des Fortschrittskonzepts:
Statt weiterhin auf das Versprechen von
»schneller, höher, weiter« zu setzen, sollten wir Resilienz,
globale Solidarität und ökologische Transformation
anstreben. Genügsamkeit, Resonanzfähigkeit und
Kreativität sind Leittugenden einer zukunftsfähigen
Zivilisation, die strukturell zu fördern sind, z. B. durch
eine Suffizienzpolitik. Das zum sinnstiftenden Metaphysikersatz
gewordene Wachstumsmodell der Moderne,
mit dem der Verlust von Transzendenzvorstellungen
kompensiert und die Sehnsucht nach Erfüllung in die
Zukunft projiziert wird, ist weder ökologisch noch sozial
zukunftsfähig. Es muss von innen her durch eine
neue Kultur der Nachhaltigkeit aufgebrochen werden.
Eine weder resignative noch in statischen Modellen
erstarrende Abkehr von der »Wachstumsdroge« ist der
wirtschaftsethische Kern einer christlichen Alternative
zum gegenwärtigen Projekt der expansiven Moderne.
Christliche Umweltethik – Lebenswissen für eine kulturelle Revolution
Die wichtigste Kompetenz der Kirchen für ökologische
Verantwortung ist ethische Bildung. Diese ist
ganzheitlich auf eine Integration kognitiver, emotionaler
und praktischer Fähigkeiten angelegt: Bildung
für Hirn, Herz und Hände. Sie ist zumindest dem Anspruch
nach ein Gegenmodell zur »blinden Reflexion«,
also dem folgenlosen und abstrakten Wissen, dem –
so der französische Soziologe Dupuy – ein erheblicher
Teil des gegenwärtigen akademischen Wissenschaftsbetriebes
verfallen ist. Christliche Bildung für Nachhaltigkeit
zielt auf die Einheit von Wissen und Gewissen.
Die Fridays-for-Future-Bewegung hat einem
solchen auf Transformation zielenden Verständnis
von Bildung neuen Schwung gegeben. Students und
Scientists for Future formulieren Konsequenzen für
transformative Wissenschaft. Die Christians for Future
könnten zur weltweiten ökotheologischen Bewegung
werden, die den Kernanliegen einer christlichen
Umweltethik Geltung verschafft. Das weltweite »Laudato
si‘-Movement«, das im Oktober 2022 Schwung
aufgenommen hat und die Umweltenzyklika angesichts
der weltweiten klimapolitischen Notlage mit
Filmen, Kampagnen, Bildungsveranstaltungen und
Kulturevents neu zu Gehör bringen will, könnte sich
als hilfreicher Impulsgeber hierfür erweisen. Ich habe
persönlich durch ein Oratorium zu Laudato si‘, für
das ich das Libretto geschrieben habe und das am 13.
November 2022 in der Berliner Philharmonie uraufgeführt
wird, versucht, dazu beizutragen.
Die Kompetenz der Kirchen ist bei all dem nicht als
oberste »Moralagentur« (Joas) zu verstehen, sondern
im Sinne einer »Moral jenseits des Moralisierens«
(Rahner). Diese verankert ökosoziale Zukunftsverantwortung
in Erzählungen vom Selbstverständnis des
Menschen und seiner Welt, den Dramen von Schuld
und Vergebung, Gewalt und Versöhnung, Hass und
Liebe, von Anthropologie und Kosmologie, von Hoffnung,
Scheitern und Aufbruch. Es gilt, dieses Lebenswissen
auf die Befähigung zur Mitgestaltung der gegenwärtigen
Umbruchprozesse zu beziehen. Bildung
im Anspruch christlicher Umweltethik ist eine Disziplin
des Lebenswissens, die ökologische Imperative
durch Narrative vermittelt und zugänglich macht.
Sie vermittelt Zuversicht und Realitätssinn sowie die
Bereitschaft zu persönlichem Verzicht und solidarischem
Handeln inmitten der multiplen Krisen der
Gegenwart.
Zu Recht sind viele skeptisch gegenüber der gesellschaftlichen
Wirkung der Umweltethik. Dies gilt
jedoch nur gegenüber einer Ethik abstrakter Begründungen.
Wenn sie jedoch mit Erzählungen und
ganzheitlicher Bildung verknüpft sowie in der Breite
von Kultur und Gesellschaft vermittelt wird, hat sie
durchaus ein großes Wirkungspotenzial. Als weltweite
Erzählgemeinschaften können die Kirchen der Ethik
Lebenskraft vermitteln. Christliche Umweltethik hat
heute die Aufgabe, zu einer »kulturellen Revolution«
beizutragen, um – so Papst Franziskus in einem Erlass
zur Neuordnung des Theologiestudiums aus dem
Jahr 2018 – »das Modell globaler Entwicklung in eine
andere Richtung zu lenken und den Fortschritt neu
zu definieren.« Dies gilt auch für den Religionsunterricht
an Schulen: Er soll helfen, »Leaderships für eine
kulturelle Revolution« zugunsten globaler und ökologischer
Verantwortung zu bilden.
Zur Person
Markus Vogt
ist Professor für Christliche Sozialethik
an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine
Forschungsschwerpunkte sind Umwelt-, Wirtschafts- und
Friedensethik. Zum Thema dieses Beitrags hat er 2021
das umfangreiche Kompendium »Christliche Umweltethik
« veröffentlicht, das sich als Grundlage für den Ethikund
Religionsunterricht eignet.