Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Foto: Andreas List

»Wir haben den Krieg nicht direkt bebildert«

Das Illustratorenkollektiv Alexandra Kardinar und Volker Schlecht im Interview über die scheinbare Unschuld spielerischer Bildideen, visueller Metaphern und der brutalen Aktualität des Weltgeschehens

Die Frage stellte Martin W. Ramb

Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als wir Sie angefragt hatten, zehn Illustrationen zum Thema Krieg und Frieden für den Eulenfisch zu gestalten? Worin lag genau die Herausforderung?

Spätestens seit dem 24. Februar 2022 ist das Thema für uns alle schockierend präsent. Zu
Krieg und Frieden wäre uns sicherlich schon vorher genug eingefallen, doch ein so offensichtlicher, groß angelegter und geradezu »altmodischer« Überfall wie der russische Angriff auf die
Ukraine war eine Größenordnung, die wir bisher nicht selbst erlebt hatten, und sie traf uns
viel direkter und persönlicher als die meisten anderen Konflikte, an die wir uns leider immer
wieder schleichend gewöhnen. Wir haben diese Anfrage deshalb geradezu als willkommene
Möglichkeit empfunden, den permanent um diesen Krieg kreisenden Gedanken mit unseren
Mitteln irgendwie Herr zu werden. Die Herausforderung war, wie sich diese Gedanken zu Bildern ordnen sollten – eine zweite, noch größere war es, Bildideen zu entwickeln, die über diesen aktuellen, konkreten Krieg hinausgehen, ohne ihn dadurch zu relativieren

Sie haben sich ja bewusst gegen eine graphische Umsetzung uns aller bekannter Pressebilder aus
Kriegsgebieten entschieden. Stattdessen haben Sie einen ikonographisch-metaphorischen Zugang
gewählt. Warum sind Sie so vorgegangen?

Unser Verständnis zur Rolle von Illustrationen ist geprägt durch die selbstverständliche
Verfügbarkeit von Fotografie und Film. Niemand braucht mehr eine Illustration, um sich »ein
Bild zu machen«, sei es von Kriegsgebieten oder von einem Urlaubsort. Illustrationen können
eine andere Betrachtungsebene, eine andere Sicht anbieten, die über diesen einen, belichteten
Moment hinausgeht und die nicht die Illusion von abgebildeter Wirklichkeit erzeugt. Andererseits können Illustrationen auch kein Ersatz für Texte sein. Wir wollen die Welt nicht erklären.
Wir maßen uns nicht an, komplexe Zusammenhänge durch Bilder erschöpfend zu erörtern. Wir
versuchen, visuell zu denken. Wir versuchen, Muster zu erkennen. Und wir haben die Freiheit,
dokumentarisches Bildmaterial mit Zitaten aus der Kunstgeschichte und anderen visuellen
Versatzstücken zu kombinieren und diese einander gegenüberzustellen. Dieser Prozess ist oft
für uns selbst erhellend, eine eigene Form des Entdeckens, des Erkennens, auch der Entlarvung von Propaganda und von Präsentationsstrategien.

Das Bild der Zeitenwende wird in letzter Zeit immer wieder bemüht, um zum Ausdruck zu bringen,
dass die Welt in eine neue Richtung treibt bzw. getrieben wird. Spüren Sie diese Zeitenwende auch
und wie verändert dieser Paradigmenwechsel Ihre Arbeit?

Vor allem hat sich im Denken, in der Wahrnehmung und Wertung der täglichen Nachrichten tatsächlich etwas grundsätzlich umgedreht. Unser wackliges Referenzsystem der letzten
Jahrzehnte ist endgültig kaputt. Welche historischen Parallelen erscheinen jetzt plausibel,
wer oder was kann jetzt ein Kompass sein? Unsere Arbeit betrifft das ganz klar – vor allem bei
diesen Illustrationen hier. Aber auch darüber hinaus – die scheinbare Unschuld oder Neutralität von spielerischen Bildideen, von visuellen Metaphern kollidiert plötzlich mit der brutalen
Aktualität.

Ich könnte mir vorstellen, dass es einen großen Unterschied ausmacht, ob ich aus der Erinnerung heraus mich Themen nähere oder ob ich als Zeitzeuge an einer Illustration arbeite. Wie verändern die
beiden Kriege in der Ukraine und in Gaza Ihre Art zu arbeiten?

Unsere Illustrationen entstanden auch bisher in völlig verschiedenen Kontexten – sowohl
zu aktuellen als auch zu historischen Themen. Unsere Art zu Arbeiten ändert sich also nicht
grundsätzlich. Die persönliche Sicht, mit der wir den Krieg in der Ukraine und die Ereignisse
in Israel und Gaza wahrnehmen, ist aber emotionaler, stärker angreifbar als beim Arbeiten aus
der »sicheren« historischen Distanz wie bei unserer Auseinandersetzung mit Richard Henkes
und mit dem nationalsozialistischen KZ-Staat. Aktuell überschlagen sich die Ereignisse, unsere Illustrationen können von einem auf den anderen Tag überholt sein. Am 7. Oktober war
ein großer Teil unserer Zeichnungen eigentlich fast fertig. Als wäre nicht alles schon schlimm
genug, hat dieser Terrorangriff den nächsten Schock ausgelöst. Das unerträgliche Leid der Zivilisten in Gaza, das Schicksal der Geiseln – all das kommt jetzt Tag für Tag noch »obendrauf«.
Wir stoßen auch an die Grenzen des Genres »Illustration« – unsere Bilder können darauf gar
nicht adäquat reagieren.

Sieht man sich Ihre zehn Illustrationen an, so sind die Illustrationen des Friedens in der Minderzahl.
Fällt Ihnen zu Frieden einfach nicht mehr ein?

> Uns hat tatsächlich diese Unterscheidung nicht interessiert, sondern wir haben »Krieg und
Frieden« als inhaltlichen Zusammenhang aufgefasst, als politische Zustände, die sich gegenseitig bedingen – auch als vertrautes Begriffspaar wie bei Tolstoi. Doch es ist auch ganz klar:
unser bisheriges Koordinatensystem ist beim Thema Frieden durcheinandergekommen, während die Realität der stattfindenden Kriege überproportional präsent ist. Sichtbarer Ausdruck
davon ist zum Beispiel die Anwesenheit Neville Chamberlains in unserer Zusammenstellung
der Personen, die für den Begriff »Frieden« stehen sollen. Durch den Verlauf der historischen
Ereignisse vom Münchener Abkommen bis zum Beginn des 2. Weltkriegs wird klar, welche
Zweifel uns bei diesem Thema beschäftigen. Wir haben allerdings den Krieg auch nicht direkt
bebildert. Unsere Illustrationen sehen wir eher als Vergleiche, als Gegenüberstellungen, als
Gedankengang.

Schaut man auf das bisherige Werk von Drushba Pankow, erkennt man schnell, dass die Themen »Gewalt« und »ungerechte Herrschaft« eine große Rolle spielen. Warum ist das so?

Das ist uns auch höchstens im Rückblick bewusst. Letztendlich hängt die Auswahl der Themen bei uns Illustratoren, anders als bei freien Künstlern, in der Regel davon ab, zu welchen
Aufträgen, zu welchen Buch- oder Filmprojekten, die an uns herangetragen werden, wir Ja
oder Nein sagen. Tatsächlich fällt uns eine Absage schwerer, wenn uns das Thema persönlich
wichtig ist oder wir die Möglichkeit sehen, mit unserer Arbeit zu irgendeinem guten Zweck
beizutragen. Wir sind beide in der ehemaligen DDR aufgewachsen, wir waren 1989 17 bzw. 21. Die eigenen Erfahrungen erscheinen uns manchmal wie ein Schlüssel zum Verständnis der »Mechanik« von Diktaturen, auch wenn dieser Schlüssel nicht immer passt.

»Wir haben
Krieg und Frieden
als inhaltlichen
Zusammenhang
aufgefasst«

Interview mit Drushba Pankow

Sie leben in Berlin, Alexandra Kardinar in Hamburg. Beides
Städte, in denen die Fratze des Antisemitismus sich auf der
Straße und in Gewaltakten gegen jüdische Bürgerinnen
und Bürger wieder zeigt. Sie beide leisten durch Ihre Arbeiten einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur in
unserem Land. Was ist dennoch aus Ihrer Sicht bei der Erinnerungsarbeit schief gelaufen, dass jüdische Bürgerinnen
und Bürger sich nicht mehr in Deutschland sicher fühlen?

Vielleicht hat diese Situation mit der Erinnerungsarbeit gar nichts zu tun. Vielleicht ist es Hybris zu
glauben, dass eine gelungene Erinnerungsarbeit die
Sicherheit von Jüdinnen und Juden, auch von anderen
gefährdeten Minderheiten, in Deutschland gewährleisten kann. Vielleicht überschätzen wir die Wirkung
von Büchern, Filmen, Projekten, wenn grundsätzlichere, wichtigere Probleme ungelöst sind. Bei dem
Neonazi-Anschlag in Halle stand kein einziger Polizist vor der Synagoge, kein einziger Streifenwagen. Bei der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)« gingen die Ermittlungen jahrelang in die falsche Richtung.
Vielleicht liegen die Antworten in den ganz banalen politischen Verteilungskämpfen um die
Finanzierung von öffentlichen Aufgaben – angefangen beim vom Lehrermangel in den Schulen bis hin zur Personalnot bei der Polizei, Jugendämtern und Justiz.

Sie haben sich über die Figur des seligen Pater Richard Henkes mit dem christlichem Widerstand im
Nationalsozialismus intensiv auseinandergesetzt. Welche Rolle spielen Religionen in der Konfliktbewältigung für Sie?

Spielen Religionen (als Plural) überhaupt eine Rolle bei der Konfliktbewältigung? Sind
Religionen nicht auch Ursache oder wenigstens die scheinbare Ursache vieler Konflikte?
Sowohl bei den Leuten um Richard Henkes im Konzentrationslager in Dachau als auch bei
vielen Menschen in der ehemaligen DDR war der christliche Glaube eine Art Rückhalt, ein
Kompass, um nicht geistig zu kapitulieren. Einzelne Kirchen, einzelne Pfarrer, nicht »die
Kirche« insgesamt, boten Schutzräume für die Arbeit der Opposition. Durch ihren Glauben
waren Christen vor den Versuchungen der pseudoreligiösen Weltbeglückungsideologie eher
gefeit. Sobald sich Religionen oder religiöse Autoritäten in Machtpositionen befinden, sieht
es schon wieder ganz anders aus. Da müssen wir im Eulenfisch wohl keine Eulen nach
Athen tragen.

Würden Sie der Kunst eine Relevanz zusprechen, um aus dem Teufelskreis von Vergeltung herauszukommen?

Kunst ist wichtig. Die Ermöglichung von Kunst bedeutet Kultur, bedeutet Zivilisation und
Bildung. Gleichzeitig muss Kunst frei von funktionalen Erwartungen an sie sein. Sie kann
also nur indirekt etwas beitragen. Alles andere wäre Propaganda. Wir selbst als Illustratoren stehen irgendwo dazwischen – mit einem Fuß in der Bildung, mit dem anderen in der
Kunst, wenn wir Glück haben …