Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Franz Alt mit seiner Publikation »Frieden ist noch immer möglich - Die Kraft der Bergpredigt«, Herder-Verlag

»Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten«

Wie können Christen angesichts globaler Herausforderungen, Krisen und Kriege konkret Position beziehen? Kann die Botschaft Jesu in der Bergpredigt ein Wegweiser für unser Handeln sein? Franz Alt stellt sich im Interview diesen drängenden Fragen

Die Frage stellte Gunnar Bach

Sie gelten seit über 40 Jahren als Nestor der christlichen Friedensbewegung. Haben Sie Ihre Einstellung
ein oder mehrfach ändern müssen?

Seit 40 Jahren bin ich davon überzeugt, dass Atombomben die größte Kriegsgefahr bedeuten.
Entweder wir schaffen die Atombomben ab oder diese schaffen eines Tages uns ab. Die Gefahr
eines technischen oder eines menschlichen Versagens ist riesig, solange es auch nur eine
Atombombe gibt. »Ein Atomkrieg wäre wahrscheinlich der letzte Krieg der Menschheit, weil
es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch einen Krieg führen könnten«. Das sagt Michail
Gorbatschow in unserem gemeinsamen Buch »Nie wieder Krieg«. Im Ukraine-Krieg wurde mir
klar, dass wir dieses Land mit Abwehr-Waffen unterstützen müssen. Es ist nicht christlich, die
Ohren zuzuhalten, wenn mein Nachbar, der überfallen wurde, um Hilfe ruft. In diesem Konflikt
bin ich eher ein Real-Pazifist als ein Fundamental-Pazifist.

Kaum jemand spricht mehr von »Frieden«, sondern von Lösungen, Strategien oder von einem Waffenstillstand.
Warum begründen Sie Ihren Friedensbegriff biblisch?

Mein Maßstab ist die Bergpredigt Jesu. Seine »Feindesliebe« heißt ja nicht: »Lass dir alles
bieten«. Sondern: »Sei klüger als dein Feind« und »habe den Mut zum ersten Schritt auf deinen
Feind zu«. Einer muss anfangen, den Teufelskreis der ewigen Rache zu durchbrechen. Das angebliche
Jesuswort »Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert«
( Mt 10,34), ist falsch übersetzt. In seiner Muttersprache Aramäisch hat Jesus so gesprochen:
»Ich bin nicht gekommen Harmonie zu verbreiten, sondern Streitgespräche zu führen«. Nur
das passt zu Jesus.

Der Überfall der Hamas auf Israel Anfang Oktober bildet eine historische Zäsur. Wie stehen Sie zur
immer wieder betonten Staatsräson und dem israelischen Selbstverteidigungsrecht?

Deutsche Staatsräson für Israel habe ich immer kritisch gesehen. Wir können nie im vorhinein
wissen, wie sich eine israelische Regierung entscheidet. Ob wir das mittragen können
oder nicht. Israel hat wie jeder Staat das Recht, sich zu verteidigen. Es sollte klar sein, dass
wir Israel dabei unterstützen so wie auch die Ukraine. Der Nahostkonflikt kann nur durch eine
Zweistaaten-Lösung befriedet werden. Das Land reicht für zwei.

»Wir führen heute
einen dritten Weltkrieg
gegen die
Natur. Jeden Tag
rotten wir über 180
Tier- und Pflanzenarten
aus«

Interview mit Franz Alt

Verteidigungsminister Boris Pistorius mahnt an, Deutschland müsse »kriegstüchtig« werden. Sind Sie
auch dieser Meinung?

Pistorius orientiert sich dabei am alten römischen Grundsatz: »Wer den Frieden will, bereite
den Krieg vor«. Doch dieses furchtbare Motto hat seit Jahrtausenden immer wieder zu Millionen
Toten, zu Leid, Elend und Flüchtlingsströmen geführt. Wollen wir das auf ewige Zeit?
Es ist hohe Zeit, dass wir diesen verheerenden Grundsatz vom Kopf auf die Füße stellen: Wer
Frieden will, muss den Frieden vorbereiten! Mir ist wichtig, dass Deutschland friedenstüchtig
wird statt kriegstüchtig. Wir sollten nicht mehr Kriege gewinnen wollen, sondern endlich den
Frieden. Das ist die Vision des wunderbaren jungen Mannes aus Nazareth.

Wie sollten sich Ihrer Meinung nach die Kirchen zu dem Thema verhalten?

Die Kirchen sollten sich eher an Jesus und seiner Bergpredigt orientieren als an den Taten
und Forderungen der jeweiligen Regierungen. Das gilt in Deutschland auch für eine Partei, die
das »C« im Namen trägt.

Wenn Sie dem orthodoxen Patriarchen Kyrill aus Moskau begegnen würden, was würden Sie ihm zum
Thema Ukrainekrieg sagen?

Dieser Patriarch benimmt sich gotteslästerlich, wenn er den Überfall Putins auf die Ukraine
einen »heiligen Krieg« nennt und den Massenmörder Putin »ein Geschenk Gottes«. Ich würde
ihm sagen, dass Jesus sein Chef ist und nicht Putin.

Sie setzen sich auch für Frieden mit der Natur ein. Was bedeutet »Frieden« in diesem Zusammenhang?

Wir führen heute einen dritten Weltkrieg gegen die Natur. Jeden Tag rotten wir über 180 Tierund
Pflanzenarten aus. Wir produzieren täglich 50.000 Hektar Wüste. Wir zerstören täglich
80.000 Tonnen fruchtbaren Boden und emittieren täglich ca. 180.000 Tonnen Treibhausgase in
die Atmosphäre. Dieser dritte Weltkrieg ist ein Krieg gegen unsere eigenen Kinder und Enkel.
Noch nie hat eine Maus eine Mausefalle gebaut. Aber wir sind dabei, unsere Selbstauslöschung
vorzubereiten. Das ist nicht homo sapiens, sondern homo Dummkopf. Diesen Krieg
gegen unsere eigenen Kinder müssen wir als ersten beenden, dann erst können wir einen Beitrag
zur Bewahrung der Schöpfung leisten. Der ökologische Jesus zeigt uns dazu einen Weg.
Er spricht von der »Sonne des Vaters«, die für alle scheint. Die Lösung der Energiefrage steht
am Himmel. Allein die Sonne schickt uns 15.000 mal mehr Energie wie die gesamte Menschheit
heute verbraucht. Mit Hilfe der Sonne können wir den alles entscheidenden Beitrag für die
Bewahrung der Schöpfung leisten. Hinzu kommen die Windkräfte, die Bioenergie, die Geothermie,
die Wasserkraft sowie die Strömungs- und Wellenenergie der Ozeane. Die Welt ist voller
erneuerbarer Energie. Der liebe Gott war nicht doof und die Evolution nicht blöd. Wir haben
alles, was wir brauchen in Hülle und Fülle. Wir müssen es nur endlich umsetzen statt immer
nur davon zu reden. Deshalb haben der Dalai Lama und ich unser Buch zu diesen Fragen so
genannt: »Ethik ist wichtiger als Religion«.