Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Teddy 1942 – Das Gleis in Auschwitz, Leinwand, Acrylfarben, Teddybären, ca. 2005, 160 x 210 cm

Bilder gegen Gewalt und Krieg

Gewalt und Krieg gehören zur Verfasstheit des Menschen – und sind infolgedessen unweigerlich ein Gegenstand der bildenden Kunst

In der Kunstgeschichte gibt es zahllose Statuen und Bilder, die erfolgreiche Kriegsherren und siegreiche Staatswesen
verherrlichen. Es gibt ebenso Künstler, die schonungslos den
abgründigen Schrecken von Gewalt und Krieg darstellen; prominente Vertreter sind beispielsweise Francisco de Goya, Otto
Dix oder Pablo Picasso. Kunst als Anklage – und die damit verbundene implizite Option für Frieden und Menschenwürde –
bilden einen Schwerpunkt im Werk des Malers Ferdinand Friess.

Biografisches

Ferdinand Friess wird am 4.5.1940 in Bad Kreuznach in eine Schmuckhändler-Familie geboren. Von
1957 bis 1959 besucht er eine Goldschmiedeschule in Pforzheim, macht Abitur in seiner Heimatstadt
und erhält 1962 den Gesellenbrief als Juwelengoldschmied. Der Widerspruchsgeist des zeichnerisch begabten Schülers richtet sich gegen politisch rechts
orientierte Lehrer; später verweigert er den Kriegsdienst. 1962/63 studiert er ein Semester Bildhauerei
an der Städelschule Frankfurt. Wegen der schweren
Erkrankung des Vaters steigt er in den familiären Betrieb ein.

2001 folgt der Einschnitt: Ferdinand Friess verkauft die Juwelenmanufaktur und arbeitet seitdem
als freiberuflicher Künstler. Um das, was ihn bewegt,
künstlerisch angemessen ausdrücken zu können, hat
er zwischen 2001 und 2019 regelmäßig Studien in
Zeichnen und Malen an der Europäischen Kunstakademie (EKA) in Trier betrieben. Unter seinen Ausstellungen sind »Das muss mal raus« (2010) und »gezeichnet gemalt installiert« (2021), beide in Bad Kreuznach,
sowie »Kunst wi(e)der das Vergessen« (2023) im b-05
bei Montabaur von besonderer Bedeutung.

»Blümchen und Landschaften«, so Ferdinand
Friess, »haben mir nichts mehr gebracht«. Als ein vom
Kunstmarkt völlig unabhängiger Künstler malt er nur
die Themen, die ihn innerlich berühren – und diese
sind oftmals unbequem und von politischer Natur.
Er malt figürlich, aber nicht (foto-)realistisch. Seine
Bilder fordern heraus: Sie lassen das Publikum nicht
kalt und erschließen sich nicht auf den ersten Blick;
deshalb sucht der Maler bei seinen Ausstellungen
stets das Gespräch mit den Besuchern.

Teddy 1942 – Das Gleis in Auschwitz

Das 160 cm breite und 210 cm hohe Gemälde konfrontiert den Betrachter frontal mit zwei ganz verschiedenartigen Personen. Auf der linken Seite steht
ein kleines, etwa 4-jähriges Mädchen in kindlicher
Kleidung; es trägt eine gepunktete Mütze und einen
rosafarbenen Kurzmantel, unter dem ein Rock, eine
helle Strumpfhose und ein Paar Schnürschuhe sichtbar werden. Ihr Gesicht ist nur grob gemalt. Der große
Mann neben ihr trägt eine braune Uniform mit Emblemen und schwarze Lederstiefel. Den Kopf bedeckt
eine graue Schirmmütze mit einem aus Adler und
Hakenkreuz gebildeten Hoheitszeichen. Sein Gesicht
scheint verwundet, ja in Auflösung begriffen zu sein.
Die linke Hand neben dem Fahrtenmesser besteht nur noch aus Knochen, über die rechte Hand ist ein
schwarzer Lederhandschuh gezogen. Weil das Mädchen steht, hält der Uniformierte inne.

Verbunden wird das so ungleiche Paar durch einen
Teddybären: Das Kind hält das eine Ärmchen mit
seiner linken, der Uniformierte umgreift das andere
Ärmchen mit seiner behandschuhten rechten Hand
und ist dabei leicht zu dem Mädchen gebeugt. Auf
der linken Seite führen Bahngleise in einen Hintergrund, wo Nazifahnen im Wind flattern und Gebäude angedeutet sind. Der Maler hat sein Bild zu einer Installation erweitert, denn unterhalb des gemalten
Teddys ist auf dem Boden ein kleiner Hügel aus Spielzeugbären aufgeschichtet. Das steigert die Irritation
des Betrachters: Wo spielt die Szene und – dringlicher
noch – in welchem Verhältnis stehen die beiden Protagonisten zueinander?

Der Titel »Teddy 1942 – Das Gleis in Auschwitz«
spielt mit der Jahreszahl und dem Ort eine bestimmte historische Situation – den der Shoa – ein: Am 20.
Januar 1942 wurde in der Wannseekonferenz in Berlin die sogenannte »Endlösung der Judenfrage« verwaltungstechnisch geregelt und die Weichen für den
Massenmord an Juden gestellt; in das von 1941 bis
1945 von der SS betriebene Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurden in Zügen die zur industriellen Vernichtung bestimmten Menschen »angeliefert«.
Bekannt ist das Foto von einem Berg aufgehäufter
Brillen dort Ermordeter. Damit ist der Un-Ort der Szenerie geklärt, aber noch nicht die Konstellation der
beiden Personen: Wohin führt die
gemeinsame Wegstrecke von Kind
und uniformiertem Nazi? Ist es ein
Todesmarsch in die Gaskammer –
wofür der Teddy-Berg unterhalb
des Bildes spricht und der höchst
seltene Umstand einer Rettung.
Oder besteht doch Hoffnung für
das Mädchen? Dafür spricht zum
einen, dass auf der Schirmmütze
des Mannes der Totenkopf der SS fehlt, und zum anderen die höchst rätselhafte Verbindung beider über
den Teddy.

»Kunst als Anklage von
Krieg und Gewalt
wirbt für Frieden und
Menschenwürde«

Thomas Menges

Eine Antwort muss offenbleiben, eindeutig freilich
ist die mit dem Bild transportierte Aufforderung, die
Shoa niemals zu vergessen und die damit verknüpfte
Konsequenz, sich konsequent für die universale Gültigkeit der Menschenwürde einzusetzen. Diese Botschaft ist angesichts des Aufstiegs rechtsextremer
Parteien in Europa und ihrer Geschichtsverdrehungen nur allzu virulent.

Die Erschaffung des A. – Test the West

Dieses 262 cm breite und 196 cm hohe Gemälde rechnet mit dem Bildgedächtnis der Betrachter: Die beiden
sich fast berührenden Hände, auf die sich der Blick
fokussiert, beziehen sich auf die Erschaffung des ersten Menschen durch Gott in der Sixtinischen Kapelle.
Allerdings hat Ferdinand Friess Michelangelos Figurenkonstellation verändert: An der Stelle, wo in der
Sixtina Adam lagert, der durch den Finger Gottes das Leben empfängt, sitzt ein behelmter Soldat in Tarnuniform mit Sonnenbrille und einem Maschinengewehr zwischen den Beinen; bei der Uniform handelt es
sich um einen US-amerikanischen Kampfanzug. Und
dort, wo bei Michelangelo der Schöpfer mit seinem
Gefolge heranrauscht, kauert ein Mann mit weißem
Turban, der seinen Kopf mit der linken Hand stützt.
Beide Gesichter sind nicht detailliert ausgeführt und
bleiben ohne individuelle Züge. Das Geschehen ist aus
der himmlischen Sphäre an einen unbestimmten Ort,
der an eine Wüste denken lässt, verlegt.

Der Uniformierte, der die Stelle Gottes eingenommen hat, trägt schwarze Handschuhe. Mit der rechten Hand umfasst er eine auffällig helle Zigarettenpackung, mit der linken Hand bietet er eine ins Auge
springende weiße Zigarette an. Empfänger ist der im
Bild tiefer platzierte Mann auf der rechten Bildhälfte, der seine rechte Hand mit abgespreiztem Finger
der rot glimmenden Zigarette entgegenstreckt. Die Bewaffnung des Soldaten und seine
höhere Position heben die asymmetrischen Machtverhältnisse
hervor. Wieder ist der Betrachter
irritiert: Wie ist die Geste des
Bewaffneten zu interpretieren?
Und kann der Hockende die ihm
angebotene Zigarette überhaupt
mit bloßen Händen entgegennehmen?

Der erste Teil des Titels – »Die Erschaffung des A.«
– bezieht sich selbstverständlich auf die Sixtina, nämlich die Erschaffung des ersten Menschen. Weil aber
kein Soldat einen Adam erschaffen kann, ist die Frage nach dem »A.« noch nicht beantwortet. Hinweise
gibt die zweite Titelhälfte »Test the West«. Sie zitiert
den in den 1980er Jahren bekannten Werbeslogan für
die Zigarettenmarke »West«. Eine bereits angezündete »West« wird dem Kauernden – vielleicht als eine
Geste der Freundschaft? – zu rauchen angeboten. Des
Weiteren hat »Test the West« eine weitere, metaphorische Bedeutung: Nicht nur eine westliche Zigarette,
sondern dazu der Westen als ein bestimmtes gesellschaftspolitisches Modell wird dem Mann mit Turban
zur »Verkostung« angeboten.

Diese Gedanken legen eine politische Auslegung
nahe: Der US-Soldat repräsentiert den Westen – sein
Gegenüber »A.« steht für das Land Afghanistan. Um
die »Erschaffung« Afghanistans geht es insofern,
als die USA nach dem Sieg über die Taliban 2001
das politische Konzept einer »Nation Building« am Hindukusch mit der Durchsetzung westlicher Demokratie verfolgte. Dieses Konzept
hat nie funktioniert und dem Land weder
Frieden noch Wohlstand gebracht. – Das Gemälde veranschaulicht einen von mehreren
Gründen des Scheiterns durch die im Zentrum stehende Geste: Wie kann der Afghane
die glimmende Zigarette in die eigene Hand
nehmen, ohne sich dabei zu verbrennen?
Politisch formuliert: Wird sich das kulturell
so anders geprägte Afghanistan vom – in der
Bildlogik: sich wie ein Gott aufspielenden –
Westen dessen Wertvorstellungen oktroyieren lassen? – Die »Mission« Nationenbildung
ist mit dem überstürzten Rückzug des Westens und der anschließenden Proklamation
des »Islamischen Emirats Afghanistans« am
19. August 2021 durch die siegreichen Taliban schmachvoll gescheitert; das hat insbesondere Frauen neues Leid aufgebürdet. Das
Bild ist um 2015 entstanden: Im Rückblick
von heute wirkt es fast schon prophetisch.

Schlaf-Mohn

Das 260 cm breite und 190 cm hohe Acrylbild
besteht aus zwei Hälften. Das untere Drittel
zeigt ein langgestrecktes Schlafmohnfeld
aus unzähligen sorgfältig gemalten und hell
leuchtenden Samenkapseln. Die Naturidylle ist trügerisch. Denn auf dem nächtlichen
Hintergrund zeichnet sich ein schwer bewaffneter Soldat mit Schutzhelm ab. Seine
Umrisse sind in die schwarze Farbe geritzt
und werden durch die hinter dem Bild angebrachte Beleuchtung hervorgehoben. Das
Bild mit dem Titel »Schlaf-Mohn« ist daher
eine Installation und steckt voller Ambivalenzen.

Der Schlafmohn zählt zu den ältesten Kulturpflanzen. Aus der Samenkapsel kann zum
einen Bäckermohn für Mohnkuchen gewonnen, zum anderen Morphin und Opium hergestellt werden. Morphium ist bekanntlich
ein Schmerzmittel, das bei starken Schmerzen unter ärztlicher Aufsicht etwa bei Krebserkrankungen eingesetzt wird; sein Konsum
als Droge führt zu massiver Abhängigkeit.

Die um 2014 geschaffene Installation bezieht sich auf Geschehnisse in Afghanistan:
Dieses Land zählt zu den weltweit größten
Produzenten von Opium. Um den höchst lukrativen Anbau zu unterbinden, wurden in
Militäraktionen immer wieder Mohnfelder
zerstört; weil in Afghanistan Opium billig
und leicht zu beschaffen sind, waren viele
dort stationierte und bei solchen Einsätzen
beteiligte Soldaten abhängig: Mit tödlichen
Waffen bekämpften drogenabhängige Soldaten die Mohnbauern, die deren Drogen herstellten; Ferdinand Friess bezeichnet das als
»eine Spirale von Verführung und Gewalt«. –
Anfang 2023 hat die Problematik eine neue
Wende genommen: Aus religiösen Gründen
haben die Taliban den Anbau von Mohn verboten. Dieses Verbot raubt vielen afghanischen Bauern die Lebensgrundlage und es
wird auf dem europäischen Drogenmarkt –
»Ferdinand Friess malt
nur die Themen, die ihn
innerlich berühren«
mit welchen heiklen Folgen? – zu einer Verknappung des Opiums führen

Wegen Drogen werden Kriege geführt, mit
Drogen werden im Krieg Soldaten aufgeputscht; Drogen werden, gerade im wohlhabenden Westen, nachgefragt und ihr Vertrieb
geht bekanntlich mit massiver Gewaltkriminalität einher; der Drogenkonsum bereitet
den einen intensive Erlebnisse und vernichtet die Persönlichkeit anderer – all dies sind
Aspekte, die mit dem Bild »Schlaf-Mohn«
aufgerufen werden und irritieren, weil sich
keine positiven Lösungen abzeichnen.

www.will-kommen.de

Das 85 cm breite und 190 cm hohe Bild zeigt
im Vordergrund ein Kind und dahinter eine
junge Frau. Das Kind ist zu voller Größe aufgerichtet; über einem rosa Anzug trägt es
eine orangenfarbene Rettungsweste. Sein
Kopf ist etwas geneigt, Mund und Augen
sind geöffnet. Im Gesichtsausdruck spiegeln sich Angst und Schrecken; die verloren wirkenden Augen schauen aus dem Bild heraus.
Rechts oberhalb des Kindes befindet sich das
Haupt einer Frau, vermutlich der Mutter; ihre
blaue Kleidung bleibt im Hintergrund. Sie hat
jugendliche Gesichtszüge; die Mundpartie
wird durch die stützende linke Hand fast verdeckt. Die junge Mutter blickt mit traurigen
Augen auf ihr Kind. – Wieder stellen sich Fragen: Wo spielt die Szene? Selbst wenn es keine
Hinweise auf eine konkrete Örtlichkeit gibt,
verrät der verschlungene Stacheldraht, hinter
dem sich die beiden befinden, dass sie weggesperrt sind. Die Widerhaken legen nahe, dass
es sich um NATO-Draht handelt. Warum aber
glänzen die Widerhaken um die Gesichter von
Mutter und Kind?

Das Entstehungsjahr 2016, der Titel »www.will-kommen.de« und die Rettungsjacke des
Kindes legen nahe, das Gemälde als einen
bildgewordenen Kommentar des Malers zur
immer wieder tödlich endenden Flucht über
das Mittelmeer nach Europa zu deuten. Nicht
die Fluchtursachen, sondern der Umgang mit
den Migranten ist das Thema des Bildes.

Der NATO-Draht trennt uns Betrachter von
den Geflohenen – er sperrt sie weg und schützt
solchermaßen uns und unseren Besitz vor ihnen: Der Stacheldraht ist ein sehr reales Symbol für den gesellschaftlichen Umgang mit
geflüchteten Menschen. Nur wir können Mutter und Kind durch den Draht sehen. Der Maler zeigt ein eingeschüchtertes Kind und eine
anmutige Frau; das Paar weckt unser Mitgefühl und einen Beschützerreflex. Mehr noch:
Die Konstellation der Personen lässt unser
Bildgedächtnis an christliche Darstellungen
von Maria mit Jesuskind denken. Nicht zufällig ist die Mutter blau bekleidet und Blau
ist die Marienfarbe. Hinzu kommt, dass die
glänzenden Widerhaken am Draht um die unverdeckten Häupter an eine Bekrönung oder
einen Heiligenschein erinnern. Das Gemälde
evoziert widersprüchliche Gefühle, weil ihm
eine eigentümliche Ambivalenz von Gewalt
und Zärtlichkeit eigen ist.

Anlass des Bildes war das Entsetzen von
Ferdinand Friess über die vielen Ertrunkenen im Mittelmeer. Papst Franziskus sprach
jüngst von einem »Grab der Menschenwürde« und kritisiert eine »Globalisierung
der Gleichgültigkeit«. Auf dieser gedanklichen Linie lässt sich die moralische und
politische Intention des Gemäldes interpretieren: Vergesst nicht, jeder Geflüchtete
hat die gleiche – von Gott gegebene – Menschenwürde und muss entsprechend behandelt werden! Dieser anschauliche Appell aus
dem Jahr 2016 ist heute, wo die andauernde
Migration zu scharfen politischen Kontroversen führt, aktueller denn je.