Wir stehen vor einem uneindeutigen Befund: überall
wohin man blickt, wimmelt es von Engeln: Engel
begleiten uns in der Werbung, im Film und auf Postkarten.
Engel sind beliebt. Nicht der militanteste Laizist
käme auf die Idee, ein Verbot für Engel im öffentlichen
Raum zu fordern, obwohl Engel doch etwas mit
Religion zu tun haben – oder etwa nicht? Engel sind in
unserer technisierten Welt jedenfalls omnipräsent. Sie
scheinen gleichsam durch die Frontlinien des religionspolitischen
Diskurses unbeschwert und unbeschadet
hindurchzuschweben. Niemand käme auf die Idee,
ein Engelverbot analog dem Kruzifixverbot zu fordern.
Engel sind allseits akzeptiert und auch interkonfessionell,
ja sogar interreligiös gut aufgestellt. Engel sind
nämlich nicht nur katholisch, auch bei evangelischen
Christen erfreuen sich die Himmelsboten nicht erst
in jüngster Zeit wachsender Beliebtheit, was das Zitat
von Dietrich Bonhoeffer auf der letzten Seite unseres
Magazins eindrucksvoll belegt. Voll Hochachtung sind
aber auch die Zeugnisse von Engeln im Judentum und
Islam. Engel sind offenkundig religiös absolut pluralitätsfähig
und somit vorauseilende Boten im Dialog der
Religionen.
Sind Engel aber auch ein echtes Thema im Religionsunterricht?
Ein Blick in die Lehrpläne und einschlägigen
Unterrichtswerke ist eher ernüchternd: Engel
spielen religionspädagogisch nur eine untergeordnete
Rolle, sie werden allenfalls in den Zeugenstand gerufen,
wenn es darum geht aufzuzeigen, dass unsere
Medien- und Werbewelt transzendenzsensibel ist, also
nicht ohne die geflügelten Himmelwesen auskommt.
Freilich sind diese marktförmigen Wesen meist Boten
einer eher diesseitigen „frohen Botschaft“.
Die jüngste Ausgabe des Eulenfisch „Lufthoheit - Die
Faszination der Engel“ nimmt diesen uneindeutigen
Befund zum Anlass, einmal genauer auf das Phänomen
der Engel zu blicken - selbstverständlich mit der
unserem Magazin eigenen eulenfischtypischen Doppelperspektive
von Glaube und Vernunft. Dass Engel
bei aller zeitgeistigen Vereinnahmung gerade theologisch
ernst zu nehmen sind, zeigen unsere Autorinnen
und Autoren aus unterschiedlichen Blickrichtungen
auf. Wir spannen dieses Mal einen weiten Bogen vom
Christentum über den Islam bis hin zur Esoterik - mit
einem stark bildtheologischen Schwerpunkt, was angesichts
des Reichtums an Engeldarstellungen in der
bildendenden Kunst auch nahe liegt.
Dabei steht die ikonografische Lufthoheit der Engel
in einem direkten Umkehrverhältnis zum strengen Bilderverbot
des Dekalogs. Du sollst Dir kein Bildnis machen,
damit Gott Gott sein kann und nicht zum Produkt
unserer menschlichen Bedürfnisse schrumpft. Engel
stehen in den drei monotheistischen Religionen für diese
göttliche Alteritätsmarkierung und wollen als göttliche
Wegmarken verstanden werden. Zugleich sind sie
auch göttlicher Unterpfand der Nähe und Liebe Gottes.
Sie sind Boten und zugleich Beistand des Ich-bin-da.
Ausgerechnet in der Weihnachtsausgabe des STERN
findet sich - ausgehend vom „Fürchtet euch nicht“ der
Engelsbotschaft an die Hirten auf dem Feld - eine
wunderbare Kurzbeschreibung eines Engels: „Er ist
da, wenn er gebraucht wird; er weiß genau, was los
ist, er spürt Angst und Unsicherheit; er nimmt diese
Furcht, er beruhigt, macht Mut, gibt Halt. Er beschützt
und behütet.“